Personalmangel in Spitälern: Wenn die Helfer nicht mehr helfen können

Personalmangel in Spitälern: Wenn die Helfer nicht mehr helfen können
Krise und hausgemachte Probleme als toxische Mischung, wie das Beispiel Wien zeigt.

Mit leeren Händen musste die kleine Delegation aus Wien im Mai vom Kongress der Kinder- und Jugendpsychiater in Magdeburg zurückkehren. Vertreter des Wiener Gesundheitsverbundes (Wigev) und des Psychosozialen Dienstes wurden auf die Tagung nach Deutschland geschickt, um dort Fachärzten einen Wechsel nach Wien schmackhaft zu machen. Denn in den städtischen Spitälern herrscht, wie berichtet, ein dramatischer Mangel an Kinder- und Jugendpsychiatern.

Doch die Rekrutierungsaktion blieb bis dato erfolglos, schildert Stefan Ferenci, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer und selbst Kinder- und Jugendpsychiater. Ein Fehlschlag, der ihn nicht überrascht: „Die Gehälter in Österreich sind einfach nicht kompetitiv genug. Dabei ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie nur die Spitze des Eisberges.“

Das zeigte sich in den vergangenen Wochen, als Wiens Gemeindespitäler fast am Fließband Negativ-Schlagzeilen produzierten: Kaum ein Tag verging, an dem nicht eine Gefährdungsanzeige bekannt wurde, mit der Abteilungen auf ihre prekäre Personalsituation aufmerksam machten. Etwa die Urologie-Abteilung im AKH. Dort haben sich die OP-Wartezeiten massiv verlängert. Doch auch in der Akutversorgung gebe es laut Anzeige in Einzelfällen schon Probleme. Schuld ist der Mangel an Pflegepersonal.

Zwischen Mai 2021 und April 2022 gab es allein in Wiens Gemeindespitälern 53 Gefährdungsanzeigen. Neu ist, dass immer mehr an die Öffentlichkeit geraten. „Das zeigt, wie verzweifelt die Kollegen sind, weil ihre Warnungen intern ignoriert werden“, sagt Ferenci.

Lücken überall

Laut einer Wigev-Sprecherin seien derzeit 203 Arztstellen vakant. Das entspricht 5,6 Prozent der Dienstposten. Schlimmer ist die Lage in der Pflege, wo 893 Mitarbeiter fehlen (8,3%). Von den 5.300 Betten sind aktuell 825 gesperrt, gleichzeitig allerdings auch 869 frei.

In den anderen Bundesländern schaut die Lage kaum besser aus: In NÖ mussten zuletzt wegen Personalnot 278 Betten gesperrt werden, in Kärnten sucht man verzweifelt 40 Spitalsärzte. Auch hier sind Sperren an der Tagesordnung.

Hinter den Engpässen steckt eine gefährliche Mischung aus widrigen Rahmenbedingungen, die ganz Europa betreffen – wie etwa die demografiebedingte Pensionierungswelle (sie betrifft bis 2030 rund 8.000 der 30.000 Wigev-Mitarbeiter) sowie coronabedingte Überlastung.

Und hausgemachten Probleme, wie in Wien das neue Spitalskonzept, das die Übersiedlung, Umstrukturierung und Zusammenlegung zahlreicher Abteilungen vorsieht. „Pandemie, Ausfälle, Mangel und dann noch der raue Wind des Change – es ist zu viel, verlangt unmenschlich viel“, formuliert es Personalvertreter Edgar Martin, Vorsitzender der für den Wigev zuständigen Hauptgruppe II. Hinzu kämen oft individuelle Probleme auf Abteilungsebene – etwa Mängel in der Organisation oder Führung, die Kollegen die Reißleine ziehen lassen würden – mit der Folge, dass für die verbleibenden Mitarbeiter der Druck noch mehr steigt.

„Man muss sich die emotionale Belastung vorstellen, wenn man einen Patienten vor sich hat, der potenziell Schaden nimmt, weil man ihm mangels Ressourcen nicht mehr ausreichend helfen kann“, schildert Ferenci die mitunter auftretenden Folgen des Personalmangels.

Viele Ärzte würden in den Privatbereich wechseln, während im Pflegebereich nicht wenige ihrem Beruf überhaupt den Rücken kehren.

Lösungen

Doch was tun? „Alle Beteiligten gehören an einen Tisch – aber nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich. Es braucht einheitliche, gesetzliche Personalberechnungen am besten Beispiel“, fordert Martin. Er plädiert für den Ausbau von Ausbildungsmodellen wie dem BHS Modell (Pflegeausbildung mit Matura). Hinzu brauche es bessere Bezahlung und Anreize beim Rekrutieren.

Die Wigev-Sprecherin verweist auf 1.400 Personen, die aktuell intern die Pflege-Ausbildung durchlaufen, genauso viele würden sich in der postgraduellen Ärzte-Ausbildung befinden. „Unsere Ausbildungsplätze werden laufend aufgestockt“, sagt sie. Freilich: Die akuten Probleme löst das nicht.

Ferenci fordert für den ärztlichen Bereich: „Es braucht attraktivere Gehälter, aber auch – gerade in Wien – ein flexibleres Dienstrecht. Wichtig ist zudem der wertschätzende Umgang mit dem Personal.“

All das kostet viel Geld. Deshalb gehe es laut Martin letztlich auch um die Frage: „Was ist uns Gesundheit und Pflege wert?“

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