Von der Not zur Vorsorge: Als der Ruhestand erfunden wurde

Pension
Die Österreicher sollen länger arbeiten – das regt auf. Wobei früher „bis zum Umfallen“ geschufftet werden musste: Die Idee einer staatlichen Altersvorsorge ist nämlich überraschend jung. Ein Rückblick.
  • Die staatliche Altersvorsorge wurde durch die Industrialisierung notwendig, da traditionelle Strukturen zerfielen und Altersarmut stieg.
  • 1889 führte Otto von Bismarck in Deutschland die erste gesetzliche Rentenversicherung ein, um die Monarchie gegen die Arbeiterbewegung zu stützen.
  • In Österreich wurde 1906 das Pensionsversicherungsgesetz für Privatangestellte eingeführt, während Arbeiter bis 1938 keine Rentenansprüche hatten.

Am 27. September 1902 erschien in der Arbeiter-Zeitung ein Artikel mit dem Titel „Wie die landwirthschaftlichen Dienstboten vor Elend im Alter beschützt werden“: Der niederösterreichische Landesausschuß hat sich entschlossen, etwas für die braven Dienstboten auf dem Lande zu thun. (...) Am reichsten bedacht  wurde der 72-jährige Josef Lebner in Hausbrunn: Seit 1878 dienend, erhielt er  eine Altersrente von 200 Kronen (heute knapp 2.000 Euro) – einmalig für das Jahr 1903.

Noch vor gut 120 Jahren hieß es für einen Großteil der Menschen in Österreich auf die Unterstützung der Kinder  und Almosen hoffen oder Arbeiten bis zum Umfallen. Staatliche Altersvorsorge? Fehlanzeige! Dabei war die Frage, was  mit Menschen passiert, die sich nicht mehr selbst versorgen können, schon immer eine große, weiß der Historiker Werner-Michael Schwarz: „Früh gab es Einrichtungen, wie das Bürgerspital in Wien, in dem Menschen versorgt wurden.“

Infolge der Industrialisierung  des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Gesellschaft aber stark. Die Menschen zogen in die Städte, arbeiteten in Fabriken und traditionelle Familienstrukturen zerbröselten. Die Lebenserwartung stieg, gleichzeitig erhöhte sich das Risiko für Krankheiten, Unfälle und Altersarmut. Schwarz: „In der Stadt lebten die Leute unter unglaublich prekären Verhältnissen“.

Soziale Frage

So begann die Diskussion über die sogenannte „soziale Frage“ –  Themen wie Arbeitsausfall durch Krankheit oder Invalidität, Arbeitslosigkeit und die Herausforderung, älteren Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen, wenn sie nicht mehr leistungsfähig sind, kamen auf.

Schon im 18. Jahrhundert wurden erste Pensionssysteme für gewisse Staatsangestellte und Militärangehörige eingeführt (Grafik unten).

Die breite Masse blieb unversorgt. Daher schielte so mancher nach Deutschland.

Weltweit erste Rentenversicherung

In Deutschland fiel 1889 also der Startschuss für  die staatliche Altersvorsorge: Otto von Bismarck führte die erste gesetzliche Rentenversicherung der Welt ein – nicht aus purer Menschenfreundlichkeit, sondern mit politischem Kalkül. „Wir müssen das Pferd satteln, bevor die Sozialisten es tun“.

Die wachsende Arbeiterbewegung untergrub die Monarchie, also steuerte der Reichskanzler gegen: Arbeiter sollten ab dem 70. Lebensjahr eine Rente erhalten. Ein Mitarbeiter erinnerte sich, wie Bismarck mit seiner Pfeife im Mundwinkel murmelte: „Man muss den Leuten zeigen, dass der Staat für sie da ist – dann werden sie auch für den Staat da sein.“

In Österreich war es Eduard Taaffe, der konservative Ministerpräsidenten, der  erkannte, dass die aufkommende Arbeiterbewegung nicht nur mit Polizei und Verboten zu bremsen war.  Inspiriert von Bismarcks Sozialgesetzen  wurden auch hierzulande Unfallversicherung, Krankenkasse, Invaliditäts- und Altersrente für staatliche Industriearbeiter gesetzlich verankert. 1906 folgte das Pensionsversicherungsgesetz für Privatangestellte. Zum ersten Mal versprach der Staat ein Mindestmaß an Sicherheit im Alter.

Eine Gruppe aber blieb außen vor: Österreichische Arbeiter mussten bis 1938 warten. Traurig, aber wahr: Erst der Anschluss an Nazi-Deutschland brachte ihnen einen Pensionsanspruch.
 

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