ORF: Interventionen im medialen Maschinenraum

"Zeit im Bild": Wer sich in diese Sendung hineinreklamiert, hat es geschafft – aus Politikerlogik.
Die ORF-Journalisten stehen traditionell unter starkem Druck: Die Politik wünscht, das Unternehmen soll spielen. Doch eigentlich ist jedes Mal nachgeben einmal zu viel.

Was ist das eigentlich, eine Intervention? Ein Politiker oder Pressesprecher will, dass ein Bericht unangenehme Fakten unterschlägt, gar nicht stattfindet oder eine bestimmte politische Lesart befördert. Dieser Vorgange weist durchaus Nuancen auf: Die Journalistinnen und Journalisten werden zunächst direkt kontaktiert. Im persönlichen Gespräch werden Argumente ausgetauscht. Hilft das nichts, folgen (zunächst subtile) Drohungen. Etwa, dass man künftig von Informationen abgeschnitten werde. Geht immer noch nichts weiter, wird im Unternehmen Druck gemacht.

Aber wie? In den meisten Häusern wäre ein Anruf beim Chefredakteur etwa so sinnvoll wie ein Fax ans Salzamt. "Wir berichten, basta", lautet üblicherweise die Devise in den Zeitungsredaktionen. Hier kann schwer jemand hineinregieren, weil die politischen Anker fehlen.

Freunde in Kreisen

Im ORF ist das anders. Früher saßen Politiker direkt im obersten Aufsichtsgremium und setzten die Führung unter Druck. Heute sind ihre Vertrauensleute in "Freundeskreisen" im Stiftungsrat organisiert. Ein politisches Gremium wacht somit über ein durchpolitisiertes Unternehmen. Insofern ist die Drohung, man werde "etwas unternehmen", keine hohle: Wer immer in der Chefetage sitzt, auf dem knien förmlich die Verantwortlichen der Tagespolitik mit ihren Beschwerden. In den meisten Fällen führen Interventionen zu nichts. Andererseits muss man betonen: Jedes Mal nachgeben ist einmal zu viel.

Weltanschauung? Egal

Der KURIER hat mehrere dieser bekannt gewordenen Polit-Zugriffe gesammelt, um zu zeigen, wie unverblümt die Einmischung erfolgt. Und wie egal letztlich die Weltanschauung der Intervenierenden ist: Von linken Sozialdemokraten bis zu rechten Freiheitlichen griff jede Partei zum Hörer. Und setzte auch so manches durch – das behinderte Karrieren oder beförderte sie. Manche mussten überhaupt gehen – siehe das Beispiel Elmar Oberhauser, der als Infodirektor einen Personaldeal zwischen rot und schwarz nicht mittragen wollte. Er wurde abgewählt.

"Am illegalen Einfluss der Parteien sind nicht nur die Parteien schuld, sondern auch der ORF, der sich das gefallen lässt", lautete damals der Befund des mittlerweile verstorbenen legendären ORF-Generals Gerd Bacher dazu. Ihm wird auch das Diktum zugeschrieben, der Politik gehe es nie darum, wie es dem ORF gehe, sondern immer nur darum, wie es ihr mit dem ORF gehe.

Die Belegschaft wehrt sich mitunter subtil. Was heutzutage salopp als "Leaks" bezeichnet wird, beherrscht man im ORF schon lange: Das gezielte Streuen von Indiskretionen gehört zur Selbstverteidigung in einem Haus, auf dem großer Druck lastet.

Die "Zeit im Bild" sehen täglich bis zu einer Million Leute. Wer sich in diese Sendung hineinreklamiert, hat es geschafft – aus Politikerlogik. Nahezu täglich wird auf die Redaktionen Druck ausgeübt, auch bei der Auswahl von Interviewgästen. Als Journalist gilt es, nüchtern abzuwägen. Denn wie oft diese Übung gelingt, ist auch ein Gradmesser dafür, wie berechtigt die ORF-Gebühren sind.

Wie intervenierte man in den Nullerjahren am schnellsten? Man zückte das Handy und rief seine Kontaktleute im ORF an. Am berühmtesten sind aus dieser Zeit die kolportierten GSM-Durchsagen des damaligen Mediensprechers Wilhelm Molterer, dessen Partei ÖVP gerade den ORF umgefärbt hatte. Als intern gefürchteter Vertrauensmann in der Redaktion galt der schwarze Werner Mück, der als allmächtiger Chefredakteur Themen in allen Sendung pushen oder abschießen konnte. Die Mobilverbindung auf den Küniglberg wurde zum geflügelten Wort, als ausgerechnet in der ORF-Comedyschiene „Donnerstalk“ der Begriff „Moltofon“ geprägt wurde. Der Protest der Redakteure wurde jedenfalls irgendwann zu stark: Mücks umstrittene Methoden wurden zu einem eigenen Schlagwort. Später verwiesen Politiker aller Couleur distanzierend auf das „System Mück“, wenn sie die Unabhängigkeit des ORF unterstreichen wollen.

ORF: Interventionen im medialen Maschinenraum

Josef Broukal stolperte im Jahr 1997 über Karl-Heinz Grasser, damals Landeshauptmannstellvertreter im Kärnten der Ära Haider. Broukal fasste den Jungpolitiker in der Sendung "Report" recht unsanft an und wies ihn im Studio zurecht. Die Folge: ORF-Generalintendant Gerhard Zeiler berief den Journalisten von diesem Job ab. Fortan durfte er keine kritischen Interviews mehr mit Politikern führen. Ein roter Kotau vor Blau, den Zeiler einigermaßen originell begründete: Das Management des Senders würde „auch nach außen als ‚Hitzeschild‘“ wirken. Damals dürfte es allerdings geschmolzen sein, wiewohl beide der SPÖ nahestehen. Broukal verließ den ORF und saß von 2002 bis 2008 für die SPÖ im Nationalrat. Zeiler machte in Deutschland Karriere und wurde immer wieder als Personalreserve für die SPÖ gehandelt. Er galt als möglicher Parteichef genauso wie als neuerlicher roter ORF-General. Derzeit arbeitet Zeiler als Manager des US-Konzerns Turner.

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Dem heutigen Chefredakteur Fritz Dittlbacher hängt eine Affäre aus den späten Neunzigerjahren nach: Im Nationalratswahlkampf 1999 war er einer jener diensthabenden Redakteure, die dafür gesorgt haben sollen, dass in einem „ZiB“-Beitrag über die Euroteam-Affäre eine Passage, in der der Sohn des damaligen SP-Kanzlers Viktor Klima vorkommen sollte, wieder herausgenommen wurde. Als „Acht-Sekunden-Schneider“ wird Dittlbacher deshalb in ÖVP-Kreisen bezeichnet. Dittlbacher ist auf die Geschichte zwar nicht besonders stolz, wies Kollegen gegenüber aber darauf hin, dass er und andere sich damals dafür eingesetzt hätten, dass es überhaupt eine Geschichte zur für die SPÖ unangenehmen Euroteam-Affäre gegeben hat. Man habe damals eine Grundgeschichte ohne Kanzler-Sohn gegen den expliziten Wunsch der damaligen Geschäftsführung aufgestellt, die nach SPÖ-Interventionen der Meinung war, die ganze Causa sei keine Geschichte. Kollegen meinen denn auch, man habe sich damals im Nachhinein an Dittlbacher abgeputzt.

ORF: Interventionen im medialen Maschinenraum

Niko Pelinka ist heute erfolgreich in der Werbewirtschaft tätig. Der jugendliche Manager mit noch jüngerem Aussehen schwang im ORF-Stiftungsrat lange Zeit das rote Zepter, bis er auf Wunsch seiner Partei direkt in die Generaldirektion wechseln sollte – als Büroleiter. Der Vorschlag sorgte für Entrüstung, schließlich war Pelinka nicht nur durchsetzungsfähiger Leiter der SPÖ-Fraktion im Stiftungsrat, sondern ein Intimus der damaligen SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas. „Warum nicht gleich Laura Rudas?“, fragt ein prominenter Redakteur auf Twitter. Kurz vor Weihnachten 2011 schrieb Wrabetz den Posten aus. Nach knapp vier Wochen andauernden Protesten gegen parteipolitisch paktierte Postenbesetzungen zogen Pelinka und Wrabetz die Notbremse und bliesen die Aktion ab. Pelinka zog seine Bewerbung um die Büroleitung des Generaldirektors selbsttätig zurück, nachdem die „andauernde öffentliche Debatte über meine Person und meine mögliche Bestellung zum Büroleiter ein Ausmaß erreicht hat, das nicht mehr akzeptabel ist“, wie er meinte.

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Niko Pelinka

SPÖ und ÖVP einigten sich 2009 auf eine Finanzspritze für den ORF: 160 Millionen Gebührenrefundierung auf vier Jahre halfen dem Unternehmen aus einer schweren Krise. Der Deal war aber nicht ganz gratis: Die ÖVP forderte die Beförderung des Chefredakteurs des Landesstudios Niederösterreich, Richard Grasl, zum Finanzdirektor. ORF-Chef Alexander Wrabetz tat, wie ihm geheißen und plädierte für Grasl, der fortan einen tadellosen Job als Ober-Finanzer machte. 2016 ging er gegen Wrabetz ins Rennen um den Job des Generaldirektors, unterlag aber knapp. Vom teuersten ORF-Transfer aller Zeiten war deshalb in der ironieverliebten Medienbranche die Rede, und Grasl musste sich intern Vergleiche mit Christiano Ronaldo gefallen lassen, der damals um heiße 93 Millionen Euro zu Real Madrid gewechselt war. In der ÖVP wurde ein Gegengeschäft – Gebührenrefundierung gegen Grasl-Aufstieg – jedenfalls vehement in Abrede gestellt und als „Unsinn“ bezeichnet. Faktum ist, dass Grasl Finanzdirektor blieb, bis er 2016 gegen Wrabetz verlor und das Unternehmen verließ.

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Richard Grasl

Elmar Oberhauser konnte sehr stur sein. Als Infodirektor hielt er nach der journalistisch eher unfreien Ära Mück seinen Leuten den Rücken frei. Er ließ auch die Parteien bei Personalbestellungen anrennen. Einmal (bei der ÖVP) ging das gut. Ein zweites Mal nicht mehr: Oberhauser legte sich 2010 gegen den SPÖ-Wunsch Fritz Dittlbacher als TV-Chefredakteur für den aktuellen Dienst quer. „Ich muss eingestehen, dass ich offensichtlich nicht mehr in der Lage bin, völlig unzulässige Einmischungen, in diesem Fall von der SPÖ, zu verhindern“, kritisierte Oberhauser Politik und ORF-General in einem internen Mail. Wrabetz beantragte Oberhausers Abwahl. Vor dem Stiftungsrat redete Oberhauser dann Tacheles: Sowohl SPÖ-Rat Niko Pelinka als auch die rote Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas hätten ihm deutlich gemacht, dass die Hauptabteilungsleiterjobs für TV-Magazine und die aktuelle Fernsehinformation politisch paktiert seien. Es half alles nichts: Die wählten ihn knapp, aber doch ab. Vor allem die Stimmen des roten „Freundeskreises“ halfen dabei.

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Elmar Oberhauser und Alexander Wrabetz

KURIER-Recherchen im März 2012 zeigen: Die Wahl von Alexander Wrabetz zum ORF-Chef im Jahr 2006 war ein Politpoker mit hohen Zugeständnissen. Ein DIN-A4-Zettel mit handschriftlichen Notizen zur Postenvergabe wird dem KURIER zugespielt. Darauf finden sich in Skizzen die Personalabsprachen zwischen Wrabetz und dem BZÖ-Chef Peter Westenthaler. Der Politiker dürfte Schlüsselpositionen in der obersten Führung verlangt haben – und er erhielt schließlich auch drei zentrale Positionen im ORF. Auf dem Beleg findet sich etwa der Infodirektor Elmar Oberhauser. Weitere BZÖ-Bedingung war der Radio-Direktor – das musste ein Kärntner werden, wobei der damalige Landeshauptmann Jörg Haider (BZÖ) schließlich doch Willi Mitsche nach Wien schickte und den auf dem Zettel angeführten Willi Haslitzer zum Chef des Landesstudios in Klagenfurt machte. Die dritte BZÖ-Forderung betraf offenkundig Thomas Prantner – er wurde Online-Direktor. (Die FPÖ setzt heute erneut auf Prantner und will ihn dem Vernehmen nach wieder zum Direktor machen.)

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Thomas Prantner

Peter Westenthaler, FPÖ-Urgestein und zeitweiliger BZÖ-Obmann, war einmal der Star der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“. Er rief in der Redaktion an, um sich über die gerade laufende Debatte zu beschweren und wurde glatt durchgeschaltet. Live auf Sendung war ein wütender Westenthaler zu hören, der die Rolle des Politrüpels spielte. Später meinte er in einem Interview, er sei im Rahmen einer telefonischen Intervention ohne sein Wissen zugeschaltet worden. „Das war so skurril. Ich habe das dann, das gebe ich zu, weidlich ausgenutzt. Ich habe eine Suada losgelassen, die recht anständig war. Wenn man mich lässt, tu ich’s. Kein Problem.“ Er habe öfters im ORF interveniert, bekannte Westenthaler freimütig. Dies sei sowohl in der Zeit der Opposition der Fall gewesen als auch in der ersten schwarz-blauen Regierung ab dem Jahr 2000. Westenthaler war auch eine der maßgeblichen Fädenzieher der Politdeals rund um die Regenbogen-Koalition, die Alexander Wrabetz 2006 auf den Generalsstuhl hievte.

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Peter Westenthaler

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