Corona: Wie Impfstoff-Mangel in armen Ländern Mutationen begünstigt
Ein Desaster mit Ankündigung – so wird die Entstehung der Omikron-Variante in einem aktuellen Artikel der Deutschen Welle genannt. Wissenschafter, Politiker und NGOs weltweit hätten seit Monaten gewarnt, dass die ungerechte Verteilung der Covid-Impfstoffe und die extrem niedrigen Impfquoten in vielen ärmeren Ländern die Entstehung von Virusmutationen begünstige.
Der britische Ex-Premier Gordon Brown schrieb zuletzt im Guardian, das Versagen reicher Staaten, Entwicklungsländer mit Vakzinen zu versorgen, beginne nun, „uns heimzusuchen“. Was ist an dieser Behauptung dran?
Impfquote unter 0,1 Prozent
Tatsächlich gibt es starke Unterschiede bei den Impfquoten, besonders mit Blick auf Afrika. Während in der EU derzeit rund 70 Prozent der knapp 450 Millionen Einwohner vollständig gegen Covid-19 geimpft sind, sind es in Afrika 6,6 Prozent – bei 1,2 Milliarden Einwohnern.
Südafrika, wo die Omikron-Variante erstmals nachgewiesen wurden, weist dabei noch eine „hohe“ Quote von 24 Prozent auf – es ist allerdings nicht bekannt, ob die Mutation auch hier entstanden ist.
In Südafrikas nördlichen Nachbarländern sind zwischen 10 bis 20 Prozent der Einwohner vollständig geimpft, in Nigeria, Tansania und Niger 2 Prozent. In der Demokratischen Republik Kongo sind es weniger als 0,1 Prozent.
"Schreibfehler"
„Je mehr man dem Virus Gelegenheit gibt, sich zu vermehren, desto höher ist das Risiko von Mutationen“, erklärt Gerald Gartlehner gegenüber dem KURIER, warum das problematisch ist.
Beim Abschreiben der DNA und der RNA im Zuge der Virenvermehrung passierten ständig Schreibfehler, so der Epidemiologe. Zufällig könnten solche Schreibfehler zu Mutationen führen, die das Virus etwa widerstandsfähiger oder ansteckender machten.
„Wenn die ganze Welt durchgeimpft wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert“, sagt Gartlehner unter Verweis auf die Länder des globalen Südens mit hoher Bevölkerungsdichte und Einwohnerzahl: „Mutationen entstehen nicht im kleinen Österreich.“
Patentschutz aufheben
Das Bewusstsein, dass niedrige Impfquoten nicht nur der lokalen Bevölkerung schaden, sondern auch dem Rest der Welt, gibt es schon länger. Ebenso wie Initiativen, die die Impfstoffverteilung gerechter machen sollen.
Mehr als 100 Länder unterstützen etwa die Forderung Südafrikas und Indiens an die Welthandelsorganisation, den Patentschutz für Covid-Vakzine temporär aufzuheben. Dadurch könnten größere Mengen näher an den Verbrauchern produziert werden.
Die EU und Großbritannien sperren sich bislang aber dagegen, was Gartlehner nicht verstehen kann: „Wenn sogar die USA dafür stimmen, die nicht gerade als wirtschaftsfeindlich bekannt sind, sollte das der EU zu denken geben.“
Die EU und ihre Mitglieder haben sich allerdings im Rahmen der weltweiten Initiative Covax verpflichtet, bis Jahresende 300 Millionen Impfdosen an Entwicklungsländer zu spenden. Angekommen ist laut Deutscher Welle ein knappes Drittel. Spenderstaaten und Pharmafirmen schieben sich ob der zögerlichen Lieferungen den schwarzen Peter zu.
In Afrika springt nun China – wieder einmal – in die Bresche. Es stellte am Montag eine Milliarde Impfdosen in Aussicht.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte ebenfalls am Montag, dass Impfstoffspenden besser geplant werden müssten. Diese erfolgten oft spontan, viele Impfdosen seien mit nur noch kurzer Haltbarkeit am Bestimmungsort eingetroffen.
Auch sollten Impfmaterialien – etwa Spritzen und Verdünnungsmittel – sowie die Frachtkosten nach Ansicht der WHO in der Spende eingeschlossen sein. Nur so sei es Empfängerländern möglich, Impfkampagnen nachhaltig zu planen. Ob dadurch ausreichend hohe Impfquoten erzielt werden können, um Mutationen künftig zu erschweren, ist derzeit noch nicht absehbar .
Auf Booster verzichten?
Während Millionen Menschen in Entwicklungsländern also weiter auf den Erststich warten, haben westliche Staaten mit Booster-Impfungen begonnen. „Das ist zwar ein gewisses ethisches Problem“, räumt Gartlehner ein. Es sei aber völlig unrealistisch, dass durch den Verzicht auf den Drittstich im Süden mehr Impfstoff zur Verfügung stehe.
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