ÖVP will Strafmündigkeit von "Intensivtätern" auf zwölf Jahre senken
Die ÖVP bleibt bei ihrer Forderung, die Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre zu senken. Das erklärten Innenminister Gerhard Karner und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP) am Freitag bei der Präsentation des ersten Berichts einer interministeriellen Arbeitsgruppe zum Thema Jugendkriminalität.
Die Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, nachdem Anfang März bekannt geworden war, dass rund 18 Burschen und junge Männer über Monate hinweg ein zwölfjähriges Mädchen missbraucht haben sollen. Dieser "grausame Fall" habe gezeigt, dass wir im System etwas ändern müssen, sagte Karner.
Der Bericht der Arbeitsgruppe enthält Empfehlungen - daraus habe man dann "politisch Maßnahmen abgeleitet", erklärte Karner. Den Bericht mit den tatsächlichen Empfehlungen bekam der KURIER auf Nachfrage nicht. Dieser werde nicht veröffentlicht, weil der Prozess noch weitergeht, hieß es da.
Beteiligt waren u. a. Innen-, Bildungs-, Familien-, Jugend- und Verfassungsministerium - allesamt ÖVP-geführt. Das grüne Justizministerium oder andere grüne Ministerien (etwa Soziales) waren nicht involviert.
Die Vorschläge sind damit nur ÖVP-Vorschlage, die mit dem grünen Koalitionspartner erst abgestimmt werden müssten. Und Justizministerin Alma Zadic hat sich schon zu Beginn der Debatte klar gegen eine Senkung der Strafmündigkeitsgrenze ausgesprochen.
1. Strafmündigkeit ab zwölf Jahren
"Wir müssen die Strafmündigkeit senken, weil wir vielfach sehen, dass wiederholt Straftaten von 12- oder 13-Jährigen derzeit konsequenzlos bleiben", so Karner. Ähnlich argumentierte Edtstadler: Viele junge Täter würden das System genau kennen - "und es ausnützen".
Der Innenminister kann sich eine solche Senkung einerseits bei "Intensivtätern" vorstellen, die zahlreiche Delikte in kurzer Abfolge begangen haben - beispielsweise Körperverletzung, Suchtmittelhandel oder Einbruch. Und andererseits bei schweren Straftaten wie Mord, Vergewaltigung, bewaffnetem Raub und bestimmten Begehungsformen der schweren Körperverletzung.
Gleichzeitig solle festgestellt werden, ob der junge Straftäter die Reife hatte, das Unrecht zu erkennen.
Von einem Journalisten auf die ablehnende Haltung der Grünen angesprochen, sagte Karner, er sei "Optimist" und überzeugt, dass sich die Vernunft durchsetzt. Nachsatz: "Wenn man von etwas überzeugt ist, dann muss man dafür kämpfen. Und das werden wir tun." Deshalb werde er diese Gespräche mit dem Koalitionspartner führen.
Edtstadler sagte in Richtung Grüne, sie wünsche sich eine "ideologiefreie" Debatte über das Thema. Es gehe nicht darum, Kinder einzusperren, fügte Edtstadler hinzu. Es seien durchsetzbare Konsequenzen im Fall schwerer Straftaten nötig.
Als Argument für eine Herabsetzung der Strafmündigkeit zitierte Edtstadler den bekannten Psychiater Reinhard Haller, der jüngst in den Vorarlberger Nachrichten erklärte, dass durch die früher auftretende körperliche und psychische Entwicklung der Eintritt in die Pubertät und damit "die erste Risikophase für kriminelles Verhalten", gut zwei Jahre früher erfolge als zur Zeit, in der die aktuelle Strafmündigkeitsgrenze festgelegt wurde. Der Staat müsse seine Verantwortung wahrnehmen, "hier auch einzugreifen", folgerte Edtstadler.
Im Justizministerium heißt es am Freitagnachmittag, man warte noch auf die Übermittlung konkreter Vorschläge, die man erst dann kommunizieren könne.
2. Polizeiliche Regelbelehrung
Wenn Kinder und Jugendliche straffällig werden, sollen sie zu einer verpflichtenden "Regelbelehrung" bei der Polizei geladen werden - in Begleitung der Eltern. Bei diesen Gesprächen soll über die Straftat und die Konsequenzen aufgeklärt werden. Dass die Eltern dabei sind, sei besonders wichtig, so Karner. Auch ihnen gegenüber solle verdeutlicht werden, was das bedeutet und welche Hilfsangebote es gibt.
Nicht-Teilnahme an diesem Gespräch soll sanktioniert werden - für Erziehungsberechtigte sollen Geldbußen von bis zu 1.000 Euro und im Wiederholungsfall sogar bis zu 4.600 Euro fällig werden.
3. Sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen für minderjährige Mehrfachtäter
Fallkonferenzen kennt man bereits aus dem Bereich des Gewaltschutzes. Dabei sitzen mehrere Institutionen - Polizei, Sozialarbeiter etc. - an einem Tisch und beraten über konkrete Fälle, die laufend beobachtet werden.
Dieses Modell will Karner nun auch für "minderjährige Mehrfachtäter" umsetzen. Vernetzen sollen sich hierbei Polizei, Jugendbehörden, Justiz und Jugendbetreuungseinrichtungen.
4. Orientierungshilfen und Hilfsangebote
Geplant sind weiters ambulante und stationäre Orientierungshilfen für unmündige Straftäter nach dem Vorbild der Bewährungshilfe sowie eine gesetzliche Pflicht zum Aufenthalt in Einrichtungen zur Pflege und Erziehung Minderjähriger unter Berücksichtigung des Schutzes der persönlichen Freiheit, wurde erläutert. Anlaufstellen und Hilfsangebote sowie bestehende Maßnahmen zur Integration sollen ausgebaut werden.
Zahlen verdoppelt
Zwischen 2013 und 2023 hat sich die Zahl der Tatverdächtigen im Alter zwischen zehn und 14 Jahren fast verdoppelt, sagte Karner. 2013 gab es 4.821, 2023 waren es 9.729. Um welche Delikte es sich dabei handelt, hat der Innenminister nicht dazugesagt.
Die im März gegründete Einsatzgruppe gegen Jugendkriminalität hat in den vergangenen sechs Wochen bundesweit 326 Anzeigen erstattet, davon 259 gegen Minderjährige. Zudem wurden 13 Festnahmen durchgeführt, davon neun gegen Minderjährige.
Reaktionen
Die Bundesjugendvertretung sieht in der von der ÖVP vorgeschlagenen Herabsetzung der Strafmündigkeit eine "Verletzung der Kinderrechte". Statt härteren Strafen brauche es eine Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe und einen Ausbau der Jugendarbeit, damit Kinder erst gar nicht in den Konflikt mit dem Gesetz kommen, heißt es in einem Statement Freitagmittag.
FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz kritisierte, dass die ÖVP bereits im März im Nationalrat zwei Mal bei blauen Anträgen zur Senkung der Strafmündigkeit nicht mitgestimmt habe. (Dazu muss man wissen: Hätte die ÖVP mitgestimmt, wäre das ein Koalitionsbruch gewesen. Regierungsparteien stimmen in der Regel nicht gegen die andere.)
Die Neos lehnen die Maßnahme "wie nahezu alle Fachexperten" ab, sagte deren Jugendsprecher Yannick Shetty. Stattdessen brauche es Maßnahmen wie gerichtlich angeordnete Antigewalttrainings oder eine Verpflichtung zu sozialer Arbeit mit entsprechender Sanktionierung der Eltern, wenn die Kinder dieser Verpflichtung nicht nachkommen.
"Kinder einzusperren ist kein taugliches Instrument", reagierte SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim in einer Aussendung. Es gebe keine Experten, die das Einsperren von Unter-14-jährigen für eine passende Maßnahme halten. "Ziel muss aber sein, Täterkarrieren zu stoppen", forderte sie die Wiedereinführung des Jugendgerichtshofs sowie engmaschige Betreuung in Wohngemeinschaften für Zwölf- bis 14-Jährige.
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