Drexler: "Gewessler ist eine NGO-Aktivistin, die sich in die Regierung verirrt hat"
Im Juli 2022 übernimmt er das Amt des steirischen Landeshauptmannes von seinem langjährigen Mentor Hermann Schützenhöfer, der ihm dereinst Intellektualität aber wenig Beliebtheit attestierte. Zwei Jahre später spricht der vierfache Familienvater im KURIER-Gespräch über die blaue Nummer eins, das grüne Njet und warum der Stimmzettel jeden Tag länger wird.
KURIER: Sie fordern ein Nationalstadion, einen Steuerfreibetrag für Ehrenamtliche – das klingt alles mehr nach Populismus, denn nach der Partei der "vernünftigen Mitte“, als die Sie die ÖVP einmal beschrieben haben.
Christopher Drexler: Insbesondere die Forderung nach einem Steuerfreibetrag für ehrenamtliche Mitglieder von Einsatzorganisationen ist eine zutiefst aus der Mitte entsprungene Position und ein Gebot der Stunde. Ich bin geprägt von sehr vielen Hilfseinsätzen in diesem Jahr, begonnen beim größten Waldbrand in Wildalpen bis hin zu den jüngsten Unwettern in Graz-Umgebung, Hartberg-Fürstenfeld und zuletzt von Voitsberg bis Aflenz. Es ist unglaublich, mit welchem Engagement, mit welcher Entschlossenheit, die Kameradinnen und Kameraden insbesondere der Freiwilligen Feuerwehren alles dazu tun, um größeren Schaden abzuwenden.
Bisher ist Ihnen keiner der Landeshauptleute beigesprungen.
Für mich ist es eine sinnstiftende Forderung, für die ich weiter eintreten werde. Es gab viele Maßnahmen in den vergangenen Jahren, die das Budget belastet haben. Der Steuerfreibetrag wäre eine sinnvolle Belastung, weil der Mehrwert, der durch das Ehrenamt für die Gesellschaft entsteht, durch nichts aufzuwiegen ist.
Wie "sinnstiftend“ ist das Nationalstadion?
Wenn der Bund gewillt ist, viel Geld in die Hand zu nehmen, dann halte ich es für legitim, vorzuschlagen, dieses Geld nicht in Wien auszugeben. Es gibt ein klares Bekenntnis, ein Nationalstadion zu bauen und die Steiermark ist das Fußball-Bundesland Nummer eins: Meister in der ersten und zweiten Liga, in der kommenden Saison wird ein Viertel der Klubs in der ersten und zweiten Liga aus der Steiermark kommen. Und: Das Nationalstadion soll eine multifunktionale Arena sein – für die es in Südösterreich jedenfalls einen Bedarf gibt.
Wenn die Koralmbahn fertiggestellt sein wird, wird mit Klagenfurt ein derartiges Stadion in weniger als einer Stunde erreichbar sein.
Ja, es wurde sogar schon ein Wald in diesem Stadion gepflanzt, was dazu führte, dass der WAC, als er einmal international gefragt war, nicht im eigenen Stadion spielen konnte. Ein bemerkenswertes Stadion, das aber für ein wirkliches Nationalstadion zu klein ist – denn der ÖFB hat hier durchaus größere Vorstellungen.
Ihr Stadion wäre nicht in Graz, sondern in Premstätten. Die Grazer Klubs würden sich freuen…
Ich glaube, die Grazer Klubs spielen lieber in Premstätten als in Klagenfurt. Abgesehen davon wäre das Stadion als Ort für internationale Spiele der steirischen Klubs gedacht und die Stadt Graz nicht aus der Pflicht genommen, für die Revitalisierung der Merkur-Arena in Liebenau zu sorgen. Ich glaube, dass es für die Politik wichtig ist, gelegentlich auch visionäre Projekte vorzuschlagen und einzufordern. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um Stillstand zu verwalten.
In Linz stehen drei Stadien.
Das neueste Stadion ist ebenfalls zu klein.
Was haben Sie in Ihren ersten zwei Jahren verändert statt verwaltet?
Wir sind eine Landesregierung, die nicht nur arbeitet, sondern buchstäblich zusammen arbeitet und zwar sehr vertrauensvoll. Das ist eine Tugend in der Politik. Wir haben 130 Millionen Euro in die Hand genommen, um adäquate Gehälter für Ärzte und Pflegepersonal zahlen zu können. Erstmals haben wir dadurch mehr Zugänge in die steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft als Abgänge. Wir sind das einzige Bundesland, das an der Umsetzung eines neuen Spitals – im Bezirk Liezen – arbeitet.
Und abseits der Gesundheit?
Wir haben eine Wohnraumoffensive gestartet und ein 200.000 Euro-Darlehens-Modell mit 0,5 bis 1,5 Prozent Zinsen kreiert, das es jungen Menschen ermöglichen soll, sich Wohnraum zu schaffen. Das ist gerade angesichts der Entmündigungsverordnung namens KIM, die uns das Leben schwer macht, wesentlich. Wir haben die 25 Prozent Minderheitsanteile an der Energie Steiermark zurückgekauft und in der Kinderbildung ein neues Gehaltsschema für Pädagogen geschaffen und bauen das Angebot laufend aus…
Wie erklären Sie sich dann, dass die ÖVP in Umfragen zweistellige Verluste in der Steiermark einfahren wird?
Ich gebe immer weniger auf Umfragen und sehe mich durch das Ergebnis der EU-Wahl darin bestätigt. Mein Ziel ist es, die Wahlen im Herbst zu gewinnen und nicht die Umfragen im Frühjahr. Mir ist wichtig, dass wir Erster werden – und sei es nur mit einem Nasenspitzerl vorne. Mein zweites Ziel ist, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der SPÖ fortzusetzen.
Würden Sie auch als Zweiter mit der SPÖ regieren wollen?
Mir ist das zu viel an Spekulation. Das gilt für die Nationalrats- wie die Landtagswahl. Die Steiermark ist das, was man in den USA einen Swing State nennt. Das ist nicht neu. Wir hatten bei der Wahl 2015 drei gleich starke Parteien. Die ÖVP war bei LT-Wahlen in der Steiermark vier Mal nicht die Nummer Eins 2005, 2010, 2015 und für die Historiker unter uns 1953. Die Steiermark ist nicht Niederösterreich oder Wien: Bei uns ist es immer spannend!
Sie weichen der Frage aus: Würden Sie auch als Zweiter mitregieren wollen?
Es geht in jedem Fall darum, die gute Zusammenarbeit nach Möglichkeit fortzusetzen. Ich bin zuversichtlich, dass wir als Nummer Eins hervorgehen und mit der SPÖ eine Mehrheit haben.
Ihr Vorgänger Herrmann Schützenhöfer nannte Sie einen Intellektuellen, der in puncto Beliebtheit noch Aufholbedarf habe. Hat Sie das gekränkt?
Mich kränkt gar nichts, was Hermann Schützenhöfer sagt, denn wir haben 30 Jahre zusammengearbeitet und eine tiefe Freundschaft.
Hatte er damit Recht?
Ich glaube nicht, dass er damit recht hat.
Nicht recht, was welche Eigenschaft betrifft?
Er hat nicht recht, was den Intellektuellen betrifft. Meine Ansprüche an einen Intellektuellen sind viel weit gehender, als dass ich sie erfüllen könnte.
Können Sie jemand namhaft machen, der Ihren Ansprüchen genügt?
In der jüngeren Geschichte fällt mir zum Beispiel Vaclav Havel ein.
Zurück zu Ihren Beliebtheitswerten.
Ich erinnere mich an Phasen meiner Vorgänger, in denen die Beliebtheitswerte auch nicht berauschend waren, aber abgesehen davon: Beliebtheit ist nicht die harte Währung der Politik. Es geht um Kompetenz, Entschlossenheit und den kompromisslosen Einsatz für unser Heimatbundesland und da kann ich es mit allen Mitbewerbern aufnehmen.
Haben Sie das Amt des Landeshauptmann gelernt, wie Schützenhöfer es Ihnen empfahl?
Ich konnte mir bei Josef Krainer, Waltraud Klasnic, Franz Voves und Hermann Schützenhöfer einiges abschauen und füge meinen eigenen Beitrag hinzu.
Ich glaube, dass die FPÖ im Sog der Bundespartei wie ein Waggon mitfährt. Wir haben auch miterlebt, wie die FPÖ 2005 aus dem Landtag geflogen ist. Die steirische FPÖ spiegelt die Konjunktur der FPÖ im Bund wider. Beim Finanzskandal gilt die Unschuldsvermutung und ich hoffe schon, dass es der Justiz gelingt, möglichst vor der Wahl Licht ins Dunkel zu bringen.
Sie sind Teil der Landeshauptleutekonferenz. Wie mächtig ist dieser Zusammenschluss, der nirgendwo offiziell festgeschrieben ist?
Der Austausch und die Abstimmung in der Landeshauptleutekonferenz sind außerordentlich wichtig. Ich bin kein Freund von Verfassungsverankerungen, brauche auch keine Staatszielbestimmungen und halte all diese Ideen für verzichtbare Gesetzeslyrik.
Ihre Vorgänger haben sich oft lautstark zu Wort gemeldet, um Kritik am Bund oder dem ÖVP-Chef zu äußern. Sie sind leise. Liegt das an Ihrem Naturell oder wird Ihnen kein Gehör geschenkt?
Es gab Zeiten, da fühlte man sich in der Bundespartei nicht wohl, wenn man wusste, ich gebe ein Interview. Es geht aber nicht um den billigen Effekt, sondern darum, etwas zu erreichen. Und wenn es um die Steiermark geht, dann werde ich niemals leise sein. Genau deshalb bin ich auch der Meinung, dass eine Frau Gewessler keinesfalls einer künftigen Bundesregierung angehören sollte, die eine NGO-Aktivistin ist, die sich in eine Regierung verirrt hat. Wir haben leidvolle Erfahrungen mit der Frau Bundesminister gemacht, wiewohl sie gebürtige Steirerin ist.
Welche leidvolle Erfahrung?
Jeden Tag hört man über den Stau auf der A9 im Süden von Graz, wo ein dreispuriger Ausbau alternativlos ist. Nicht, weil wir Uralt-Politik betreiben, sondern weil wissenschaftliche Studien besagen, dass die Autobahn zu 103 Prozent ausgelastet ist. Ich brauche weder promovierter Mathematiker noch gar ein Intellektueller zu sein, um zu wissen, dass sich der Verkehr auf die niederrangigen Netze bis in die Ortschaften und vor Schulen verlagert.
Das Argument, wenn wir die Straße ausbauen, dann wird der Verkehr mehr, das ist unrichtig. Der Verkehr ist schon da. Der zweite Schildbürgerstreich, der sich abzeichnet, ist das Njet der Frau Gewessler bei der Haltestelle der Koralmbahn am Grazer Flughafen. Eine der modernsten europäischen Eisenbahnstrecken einen Steinwurf vom Flughafen ohne Halt vorbeizuführen ist grotesk.
Das ist aber Jörg Haider zu verdanken.
Nein, das ist Teil einer Legendenbildung. Die Entscheidungen sind viel jüngeren Datums.
Die ÖVP will nicht mit der FPÖ unter Herbert Kickl, nicht mit den Grünen und Leonore Gewessler, mit wem denn dann?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass zumindest der Kern einer Bundesregierung im Idealfall eine Zusammenarbeit zwischen ÖVP und SPÖ sein soll, weil ich an die Gestaltungskraft bürgerlich-sozialdemokratischer Koalitionen glaube.
Eine große Koalition gibt es aber nicht mehr. Blieben im Bund also die Neos?
Jeden Tag wird der Stimmzettel länger. Ich weiß nicht, wer im Spätherbst im Nationalrat sitzt. Ich weiß nur: Sollte es im Bundesparteivorstand oder einem anderen ÖVP-Gremium darum gehen, mit dieser Kickl-FPÖ eine Zusammenarbeit einzugehen, dann werde ich viel Energie und Vehemenz an den Tag legen, das zu verhindern.
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