Allein beim grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrug sprechen wir von Schäden im Ausmaß von 50 Milliarden Euro im Jahr. Das ist zwar nur eine Schätzung, sie ist aber durchaus realistisch. Immerhin geht es um Vorgänge, wo mit komplizierten Unternehmenskonstruktionen innerhalb von wenigen Monaten Hunderte Millionen Euro an Mehrwertsteuer hinterzogen werden.
Welche Vorteile hat Ihre neue Behörde im Vergleich zum bestehenden System – immerhin arbeiten die Staatsanwälte in Europa ja auch jetzt schon zusammen.
Wenn eine Staatsanwältin in Wien oder Eisenstadt zeitgleich Hausdurchsuchungen in Bulgarien, Rumänien und Italien machen will, kann sie das nur, indem sie die Kollegen in den Ländern um Rechtshilfe bittet. Die Europäische Staatsanwaltschaft braucht das nicht. Wir haben über 100 Delegierte Europäische Staatsanwälte in den Mitgliedstaaten und führen unsere Verfahren autonom. So können wir auch Hausdurchsuchungen ohne Rücksprache mit den lokalen Staatsanwaltschaften in mehreren Staaten gleichzeitig durchführen.
Wobei dies nur für Staaten gilt, die an Ihrer Staatsanwaltschaft teilnehmen.
Richtig. Derzeit sind nur 22 von 27 EU-Mitgliedsstaaten Mitglied unserer Staatsanwaltschaft. Aber wir hoffen, dass sich das irgendwann ändert. Grundsätzlich sind wir als Staatsanwaltschaft spezialisiert. Wir haben Finanzanalysten an der Hand, die komplexe internationale Zahlungsströme untersuchen können. Und gerade bei Korruptionsdelikten, die auch in unsere Zuständigkeit fallen können, ist es eine zusätzliche Qualität, dass wir absolut unabhängig und weisungsfrei von der nationalen Politik und den EU-Institutionen sind.
Agiert Europa mit der Europäischen Staatsanwaltschaft endlich auf Augenhöhe mit internationalen Betrügern?
Es ist zumindest ein Schritt in diese Richtung. Wir leben in einer Welt, in der mit einem Mausklick binnen Sekunden Millionen von Euro über Ländergrenzen hinweg verschoben werden können. Da sind wir als Strafjustiz immer hinten nach. Allerdings lohnt sich die Arbeit – und das nicht nur aus einer rechtlich-moralischen Perspektive.
Was meinen Sie?
Im ersten Jahr haben wir 260 Millionen Euro sichergestellt bzw. gerichtlich beschlagnahmt. Unser Jahresbudget als Europäische Staatsanwaltschaft beträgt demgegenüber nur 50 Millionen Euro. Vereinfacht gesagt bringen wir als Behörde mehr Geld herein, als wir kosten. Dennoch können wir unser Potenzial noch nicht zur Gänze ausschöpfen. Um auch Fälle bearbeiten zu können, bei denen nicht nur EU-Gelder, sondern auch österreichische Gelder hinterzogen werden, benötigen wir Anpassungen im EU-Recht.
Noch kurz zu Österreich: Hier läuft gerade die Debatte um eine neue Struktur bzw. Reform der Staatsanwaltschaften. Die Weisungsspitze soll neu aufgesetzt und vom Justizminister an einen Generalstaatsanwalt übertragen werden. Wie sehen Sie die Sache?
Das Justizministerium hat zu dieser Frage eine Arbeitsgruppe eingerichtet und in dieser durfte ich das Modell der Europäischen Staatsanwaltschaft vorstellen. In unserem System hat die Europäische Generalstaatsanwältin kein Weisungsrecht, das heißt: Sie kann nicht sagen: „Klagt diesen oder jenen an“ oder „Stellt dieses Verfahren ein“. Die inhaltliche Letztverantwortung haben Vierer-Senate, sogenannte Kammern.
Und genau das ist in der Regierung einer der Streitpunkte. Derzeit ist eine Person – die Justizministerin – dem Parlament verantwortlich, wenn Staatsanwaltschaften grobe Fehler passieren. Bei Senaten oder Kammern gibt es keine einzelne Person, die Verantwortung gegenüber dem Souverän übernimmt.
Ich kann und will der Politik nicht empfehlen, welches System am besten in Österreichs Rechtsordnung passt. Ich kann nur sagen: Auch bei der Europäischen Staatsanwaltschaft gibt es klare Verantwortlichkeiten. Inhaltlich übernehmen das die erwähnten Kammern. Zusätzlich gibt es Möglichkeiten wie Amtshaftungsansprüche, die Behörde ist als Ganzes verantwortlich. Unser Modell funktioniert in unserer Behörde sehr gut, es hat sich bewährt.
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