Neutralität oder NATO: Wie sicher ist Österreich?

Was bedeutet der NATO-Beitritt von Schweden und Finnland für Europa? Soll, ja kann Österreich neutral bleiben – und wie sinnvoll ist ein höheres Militärbudget, wenn man von EU-Freunden umgeben ist? Der Ukraine-Krieg hat viele grundsätzliche Fragen – wieder – aktuell gemacht. Der KURIER beantwortet die wichtigsten davon mit vier Thesen:
Österreich ist sicherheitspolitisch nicht neutral, sondern opportunistisch
Österreich ist nur auf dem Papier, also in der Verfassung, neutral. Realpolitisch erfüllt es die Anforderungen der „immerwährenden Neutralität“ längst nicht. Da ist etwa der militärische Aspekt: Laut Neutralitätsgesetz müsste Österreich sein Staatsgebiet „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ verteidigen. Das kann das Bundesheer nicht leisten, es fehlt an Budget, Gerät und Ausbildung. Auch politisch ist Österreich nicht neutral.
"Wahre Neutralität zeigen Länder wie Indien, die zwar den Ukraine-Angriff verurteilen, sich aber nicht den Russland-Sanktionen anschließen“, sagt Silvano Silvestri, ehemals italienischer Verteidigungsstaatssekretär und Ex-Präsident des Instituts für internationale Studien IAI. Auch für Franz-Stefan Gady, Experte am Institute for International Strategic Studies in London, ist klar, dass Österreich „keine Neutralitäts-, sondern eine Glücksdoktrin“ hat. „Wir sind Trittbrettfahrer“, sagt der Analyst zum KURIER. Seit Jahrzehnten hätten Österreich und Europa die konventionelle Abschreckung an die NATO bzw. an die USA delegiert. Erst dadurch sei die europäische Friedenspolitik überhaupt möglich.
Es wird keine schlagkräftige europäische Armee geben
Der Ukraine-Krieg hat viel verändert. Den Umstand, dass die EU eine schlagkräftige Armee aufbaut, aber nicht, im Gegenteil: Mit Finnland und Schweden drängen zwei weitere europäische Staaten in die NATO. Abgesehen von Österreich werden künftig in der EU nur Irland, Malta und Zypern und damit vier kleine Staaten nicht NATO-Mitglied sein.
Eine parallel zur NATO-Struktur etablierte EU-Armee ist damit noch unwahrscheinlicher. Wie hat Österreichs Botschafterin bei der NATO vor Monaten im Sicherheitsbericht festgehalten? „Militärisch wird die NATO ihren Vorsprung gegenüber der EU beibehalten.“

Aufrüstung ist nicht sympathisch – aber alternativlos
Nicht nur aus Solidarität zu den EU-Nachbarn, sondern aus purem Selbsterhaltungstrieb ist Österreich angehalten, seine (militärische) Sicherheit stärker selbst in die Hand zu nehmen. „Es ist nicht nur moralisch falsch, die Sicherheit auszulagern, sondern auch ausnehmend kurzsichtig“, sagt Sicherheitsanalyst Gady. Nationale militärische Fähigkeiten seien die „Sicherheitspolizze“ eines Landes, die man – analog zu einer Haushaltsversicherung – im Idealfall nie benötigt.
Bei den Bedrohungen, vor denen einsatzfähige Streitkräfte schützen, geht es nicht nur um Panzer, die die Staatsgrenze überrollen. Tatsächlich muss die Armee – auch – auf großflächige Cyberangriffe, Blackouts, etc. vorbereitet sein. Die Szenarien sind mannigfaltig. So könnten sich militärisch gut ausgebildete Terroristen für einen großflächigen Anschlag auf eine internationale Institution in Wien verschanzen. Für das Bundesheer wäre das derzeit eine erhebliche militärische Herausforderung.
Die größte Gefahr besteht im Glauben, dass alles immer so bleibt, wie es ist
Wer in diesen Tagen Militärs fragt, wie es passieren konnte, dass die Nachrichtendienste den flächendeckenden Einmarsch von Russland in der Ukraine ganz einfach übersehen haben, der bekommt vielfach zur Antwort: Die USA und England, also kriegserfahrenere Nationen, haben ihn absolut nicht übersehen, sondern nachweislich davor gewarnt. Nur Europa konnte nicht sehen, was man nicht sehen wollte. Dahinter steckt der – fatale – Glaube, dass Geschichte linear abläuft, dass also Staatsgrenzen und -verhältnisse unabänderlich sind, und dass es keine Umbrüche gibt. „Der Krieg in der Ukraine ist nicht der Auslöser, sondern ein Symptom dafür, dass sich die Welt ständig ändert“, sagt Analyst Gady.

Der größte Sicherheitsfaktor für die Globalisierung seien nicht Amazon oder Apple, „sondern die US Navy, die die internationalen Handelsrouten beschützt“. Sobald sich das ändere, müssten viele Staaten die Seewege wieder selbst sichern. „Und wer garantiert überhaupt, dass die USA in der NATO bleiben oder dass Ungarn der EU angehört? Die Zweite Republik ist gerade einmal 70 Jahre – also ein Menschenleben – alt. Es wäre geradezu paradox, wenn sich in den nächsten 70 Jahren überhaupt nichts mehr ändern würde.“
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