Nervosität steigt: Noch ein Jahr bis zur Wahl
Es war der 29. September 2019, als sich Sebastian Kurz ein zweites Mal der Wahl stellen musste, nachdem der damalige ÖVP-Chef wegen des Bruchs des türkis-blauen Koalition nach dem Ibiza-Video und einem Misstrauensantrag aller anderen Parteien als Kanzler gehen musste.
Kurz gewann auch diese Wahl ganz klar mit 37,5 Prozent und ließ SPÖ (21,2 %) und FPÖ (16,2 %) weit hinter sich. Und er wählte danach die Grünen als Regierungspartner aus.
Wenn diese türkis-grüne Koalition hält, dann finden genau in einem Jahr die nächsten Nationalratswahlen statt. Und die Vorzeichen haben sich komplett geändert. Sebastian Kurz musste gehen und nach einem Zwischenspiel mit Alexander Schallenberg führt seit Dezember 2021 Karl Nehammer die Regierung und die ÖVP.
In der SPÖ musste nach langwierigen Querelen und einer Mitgliederbefragung Pamela Rendi-Wagner abdanken. Dort setzt man nun auf den Traiskirchner Andreas Babler. Und in der FPÖ hat Norbert Hofer im Juni 2021 als Bundesparteiobmann genervt das Handtuch geworfen. Seither hört die Partei ohne jeglichen internen Widerspruch auf Herbert Kickl.
Karl Nehammer, Andreas Babler und Herbert Kickl – drei Newcomer als Spitzenkandidaten ihrer Parteien rittern in einem Jahr um den ersten Platz, wobei die Rangliste mit der Wahl nicht mehr zu vergleichen ist. Von den Werten eines Sebastian Kurz können alle drei nur träumen. Dessen Nachfolger Karl Nehammer war vor einigen Monaten bei Umfragen sogar unter die 20 Prozent gerutscht, liegt aber nun bereits seit einiger Zeit mit seiner Partei stabil bei 23 Prozent. Zufrieden kann man damit in der Bundesparteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse aber ganz und gar nicht sein.
Andreas Babler ist mit seiner SPÖ meist gleich auf mit der ÖVP, in manchen Umfragen liegt er leicht dahinter. Die politische „Rakete“, die nach seiner Wahl angekündigt wurde und ihn auf den ersten Platz katapultieren soll, konnte bisher nicht gezündet werden.
Sonderstatus für Kickl
Unangefochten an erster Stelle liegt seit Monaten FPÖ-Chef Herbert Kickl in den Umfragen. Dabei sucht blaue Regisseur im Gegensatz zu seinen Konkurrenten kaum die Öffentlichkeit. Themen und Auftritte werden gezielt ausgewählt. Die Wirtshausgespräche auf Puls24, die mit allen Parteichefs stattfinden sollen, hat er kurzfristig abgesagt. Dafür hat er sich in Wien mit Alice Weidel von der in Deutschland als rechtsextrem eingestuften AfD den Medien gestellt.
Bei den Grünen und den Neos werden die bisherigen Spitzenkandidaten wieder in den Ring steigen. Vizekanzler Werner Kogler will es noch einmal wissen, nachdem eigentlich lange Zeit davon ausgegangen worden war, dass seine Umweltministerin Leonore Gewessler diesmal die Grünen in die Wahl führen wird. Und bei den Neos setzt man wieder auf Beate Meinl-Reisinger. Für beide Kleinparteien wird es angesichts des Dreikampfs an der Spitze ein sehr, sehr schwieriger Wahlkampf werden.
Der Koalitions-Poker
Obwohl die Wahl regulär erst in einem Jahr ist, sind einige Koalitionslinien schon jetzt abgesteckt worden. Karl Nehammer und seine Regierungskollegen haben klar gemacht, dass sie mit Herbert Kickl nichts zu tun haben wollen. Wobei es für den heimlichen Wunsch, dass Kickl nicht mehr an Bord sein wird, wenn die FPÖ den ersten Platz nicht erreicht, keinerlei Anzeichen gibt. Andererseits kann man davon ausgehen, dass Karl Nehammer nicht mehr dabei sein wird, sollte sich seine Partei entgegen den Ankündigungen nach der Wahl doch dazu entschließen, mit der Kickl-FPÖ in eine Koalition zu gehen.
Ähnlich sieht es bei der SPÖ aus. Andreas Babler hat versichert, dass die FPÖ kein Regierungspartner sein kann – auch wenn es zuletzt im Parlament rot-blaue Achsen gegeben hat. Für ihn wäre natürlich eine Ampel-Koalition mit Grünen und Neos die Wunschkonstellation. Gemäß den Umfragen ist das derzeit aber nicht möglich. Womit klar ist, dass ÖVP und SPÖ eine Partnerschaft eingehen müssten, um Kickl zu verhindern. Bei der schlechten Stimmung, die derzeit zwischen den Parlamentsfraktionen von ÖVP und SPÖ herrscht, kann man sich aber kaum vorstellen, dass die beiden Parteien wieder gemeinsam an einem Regierungstisch sitzen. Deswegen soll es auch schon Versuche von gemäßigteren Kräften geben, hinter den Kulissen eine Gesprächsbasis aufzubauen.
Was nach dem Wahltag 2024 auf keinen Fall mehr möglich ist: die Fortsetzung der türkis-grünen Koalition. Dabei hat diese Konstellation trotz der verschiedensten Krisen (Corona, Ukraine-Krieg, Energiepreise, Teuerung) einiges zustande gebracht – auch wenn ein paar große Brocken aus dem Regierungsprogramm noch offen sind. Aber es bleibt ja noch ein Jahr Zeit, falls nicht doch noch überraschend eine Partei vorzeitig die Reißleine zieht.
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