Neos-Spitzenkandidat Brandstätter: "Ohne Brüssel kann niemand großartig sein"
Der ehemalige Journalist und KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter wird für die Neos ins EU-Parlament wechseln. Er rechnet bei der Wahl am 9. Juni sogar mit zwei pinken Mandaten.
Von Martin Gebhart und
Ingrid Steiner-Gashi
Der Nationalratsabgeordnete Helmut Brandstätter (68) wurde von den Neos zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahl am 9. Juni gekürt. Von allen Parteien vertreten die Neos den offensivsten Pro-EU-Kurs. In den bisherigen Umfragen liegen sie damit recht gut.
KURIER: Wie ist das Gefühl in dem Haus zu sein, wo Sie vor wenigen Jahren noch als Journalist aus- und eingegangen sind?
Helmut Brandstätter: Ein sehr gutes Gefühl, und ich freue mich, ich war immer ein begeisterter Journalist.
Jetzt kandidieren Sie für das Europaparlament. Warum eigentlich? Kann man im EU-Parlament mehr bewegen als im Nationalrat?
Was in der EU entschieden wird, ist extrem wichtig für Österreich. Was in Brüssel beschlossen wird, wird zu 80 Prozent auch in Österreich angewendet. Und außerdem bin ich ein glücklicher Europäer. Weil ich alle Chancen in diesem Europa hatte, im Ausland zu studieren und arbeiten zu können. Zu sehen, wie Grenzen fallen, wie die Mauer in Berlin gefallen ist. Aber ich sehe vieles vom Frieden und der Freiheit heute gefährdet. Und ich glaube, es sind gemeinsame politische Entscheidungen, die wir treffen müssen, um diesen Gefahren zu begegnen. Putin hat den Frieden auf diesem Kontinent kaputt gemacht, hat ein anderes Land überfallen, nimmt Grenzen nicht mehr ernst und bedroht letztlich auch uns. Und wenn Trump die Wahlen gewinnt, dann wird auch das, was wir jetzt noch haben, nämlich der Schutz durch Amerika, auch nicht mehr da sein. Die einzige Antwort darauf ist ein starkes, geeintes Europa.
Es gibt diesen Spruch: Hast du einen Opa, schickt ihn nach Europa. Schreckt Sie das nicht?
(Lacht): Offensichtlich nicht, weil er in meinem Fall nicht stimmt. Weder schickt mich jemand, noch bin ich Opa.
Zuweilen aber schwingt die Andeutung mit, dass man, wenn man im Nationalrat nicht mehr gebraucht wird, ins EU-Parlament entsandt wird. Vor allem bei den ehemaligen Großparteien weckte es oft diesen Eindruck.
Im EU-Parlament sitzen heute zum Teil ehemalige Ministerpräsidenten und Minister, aber auch junge Leute, die in ihrer Partei schon eine Bedeutung haben. In anderen Ländern wird Europa viel ernster genommen. Wir haben eine Europäische Union, mehr Gemeinsamkeiten, eine gemeinsame Währung. All das ist jetzt erreicht, und vieles von dem ist jetzt möglicherweise gefährdet. Österreich profitiert von dieser Europäischen Union. Dieses Gerede von dem Öxit ist so wahnsinnig. Wir würden innerhalb von kurzer Zeit 700.000 Arbeitsplätze vernichten. Wir hätten weniger Investitionen in Österreich, es wären weniger Tourismus in Österreich. Es ist Wahnsinn, dauernd darüber zu spekulieren, wie es die FPÖ tut.
Manchmal hat man auch den Eindruck, dass Sie als glücklicher Europäer in Österreich in der Minderheit sind.
Das liegt auch daran, dass wir hier Ministerinnen und Minister haben, die sagen: Ich habe etwas Großartiges erreicht, aber wenn was schiefgeht, haben „die in Brüssel“ irgendetwas kaputt gemacht. Den Höhepunkt lieferte ein gewisser Finanzminister, der meinte, er würde wegen der Coronakrise so gerne mehr Förderungen herausholen, „aber leider, die Bösen in Brüssel lassen es nicht zu“. Dann gab es den uns bekannten Botschafter Selmayr, der sagte: Der Minister müsse ja nur das Formular richtig ausfüllen. Das ist ein Problem der nationalen Politik: „Die Bösen in Brüssel“, aber ohne Brüssel kann hier niemand großartig sein.
Aber es gäbe genug zu verbessern in Brüssel.
Wenn Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer die Bürokratie in Europa beklagt, hat er natürlich recht: Aber weniger Bürokratie, das ginge auch in Österreich. Ich habe zweimal ein Unternehmen gegründet und weiß von der vielen Bürokratie ein Lied zu singen.
Was wären Ihre Schwerpunkte?
Ich werde jetzt nicht 27 Themen aufzählen, was ich alles machen werde, weil man sich auf wenige Punkte konzentrieren muss. Das eine ist: Wir müssen unsere Wirtschaft und Industrie stärken, sie leben von der Forschung. Wir haben großartige Forschungsprogramme in Europa, aber noch zu wenige davon, und wir müssen in der Kooperation besser werden. Bildung ist mir ein riesiges Anliegen, sie ist die Grundlage für eine verbesserte Wirtschaft. Und ich möchte einen Rechtsanspruch. Ich möchte, dass es keinen Unterschied gibt, wo und unter welchen Umständen jemand aufwächst.
Und weiter?
Die digitalen Plattformen - sie agieren wie Medien, aber tragen keine Verantwortung wie Medien. Man kann über die Sozialen Medien die größten Grauslichkeiten und Gemeinheiten ohne strafrechtliche Vorwürfe verbreiten. Da müssen wir überlegen, wie wir die Freiheit der Meinungsäußerung stärken und gleichzeitig auch jene in die Pflicht nehmen, die für die Sozialen Medien zuständig sind. Und dann ist mir noch die EU-Erweiterung ein wichtiges Thema.
Auf einer der digitalen Plattformen ist ein Foto von den Neos zu sehen: Ein Bus, der die „Vereinigten Staaten von Europa“ preist. Daran gibt es viel Kritik.
Man muss schon eine Perspektive haben und wissen, wo man hin will. Unsere Vision sind die Vereinigten Staaten von Europa und wie wir dorthin hinkommen, dafür haben wir auch ein Programm: Bildung, Reformen in der Wirtschaft und Verteidigung, gemeinsame Sicherheit. Auf der anderen Seite gibt es eine Partei, die FPÖ, die sagt: Wir wollen Europa zerstören, und zum Teil sagen sie wortwörtlich dasselbe wie Putin. Mein Punkt ist: Wir wollen ein Europa, das gemeinsam funktioniert mit sicheren Außengrenzen, ohne innere Grenzen, mit einer gemeinsamen Verteidigung, mit Sicherheit für die Menschen, mit dem Anspruch, im Ausland studieren zu können.
Stichwort gemeinsame Sicherheit. Wie argumentieren Sie das in Österreich, wo doch die große Mehrheitsmeinung ist, die Neutralität nicht aufzugeben?
Wir sind neutral. Aber Artikel 23 in den EU-Verträgen besagt, dass wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik haben, auch mit Verantwortung für andere Länder. Der Bundeskanzler hat gesagt, über die Neutralität gibt es keine weitere Debatte. Und er hat vergessen, dass wir eine österreichische Sicherheitsstrategie haben, wo drinnen steht, dass Russland unser strategischer Partner ist. Das steht in der aktuellen Sicherheitsstrategie.
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Die ja nun ersetzt werden soll.
Wir sagen, wir brauchen eine Sicherheitsstrategie, die für Europa gemeinsam für uns Sicherheit schafft, auch wenn das viele Leute nicht gerne hören. Die Neutralität alleine schützt uns nicht. Wir müssen uns auch militärisch schützen und da wird uns unser Bundesheer alleine vielleicht über ein paar Tage helfen. Aber dann werden wir Partner brauchen.
Sie haben auch die inneren Grenzen angesprochen.
Diese vielen inneren Grenzen gibt es wegen der Angst mancher Regierenden. Nach dieser absurden Entscheidung, Bulgarien und Rumänien nicht in den Schengenraum aufzunehmen, bin ich nach Rumänien gefahren und habe dort mit vielen Abgeordneten und auch Mitgliedern der Regierung gesprochen. Sie haben uns kritisiert und gesagt, dass es allen schaden wird. Das ist eingetreten bei allen Unternehmen, mit denen ich zuletzt gesprochen habe, die in Rumänien tätig sind. Auch die Pflegerinnen, die wir brauchen, werden weniger kommen. Es gibt keinen rationalen Grund für diese Blockade. Es gab die niederösterreichische Landtagswahl und es gab die Angst vor der FPÖ. Wohin hat es geführt? Schengen ist nicht geöffnet worden und die ÖVP hat trotzdem verloren. Jetzt könnte man so gescheit sein und öffnen.
Apropos verlorene Wahlen. Richtig gut hat es für die Neos bei den letzten Wahlen in Salzburg und Innsbruck nicht ausgesehen . Wie wollen Sie denn diesen Trend umkehren?
Gerade, was Europa betrifft, haben wir ein klares Profil und hervorragende Persönlichkeiten, die sich beworben haben: Und ich scheue mich auch nicht, ein ehrgeiziges Wahlziel zu nennen, nämlich zwei Mandate.
Ein heiß umstrittenes Thema in Europa ist der Green Deal. Wie stehen die Neos zum Verbrenner-Verbot oder zum Aufstand der Bauern?
Klar ist, dass wir den Klimawandel haben. Klar ist, dass wir jetzt etwas tun müssen. Und zwar so, dass wir das Klima schützen und gleichzeitig die Industrie nicht kaputt machen. Da gibt es mehrere Antworten. Wenn wir eine Energieunion haben, können wir gemeinsam auch für Energie sorgen. Dann werden wir auch die besseren Netze haben.
Und der Verbrenner-Motor?
Ich habe schon im KURIER einen E-Dienstwagen gehabt und war sehr zufrieden damit. Ich fahre jetzt einen Hybrid. Aber wir müssen auch ein Stück Industrie nach Europa zurückholen. Also wir müssen auch für die Arbeitsplätze sorgen und das müssen wir miteinander auf einen Nenner bringen. Der Green Deal ist ein großer Fortschritt gewesen, wir müssen Europa natürlich CO2-neutral machen.
Sie teilen also nicht die Ansicht, dass der Deal teilweise die Industrie vertreibt?
Nein, das glaube ich auch nicht. Als ich in Deutschland Korrespondent war, wurde der Katalysator eingeführt. Die Reaktion der Autoindustrie war: Das ist das Ende des deutschen Autos. Völlige Katastrophe! Der Katalysator ist trotzdem eingeführt worden. Und was ist passiert? Die deutsche Autoindustrie hat sich sehr schnell umgestellt und mehr Autos verkauft als vorher. Was jetzt passiert, ist, dass Tesla und die Chinesen beim Elektromotor etwas schneller waren. Aber als die Konkurrenz da war, haben die Deutschen auch auf einmal mitgemacht. Deswegen glaube ich sehr wohl an Konkurrenz in positivem Sinne.
Ein emotionales Thema für Österreicher in Bezug auf die EU ist das Thema Migration. Was ist Ihr Standpunkt?
Wenn wir innen keine Grenzen haben wollen, brauchen wir gemeinsame Außengrenzen und auch ein gemeinsames Asylverfahren. Das ist der nächste Schritt, den wir erreichen müssen. Das Wesentliche, weil jetzt in Österreich gerade um Leitkultur diskutiert wird, sind für mich die Menschenrechte. Natürlich sind wir für die Menschenrechte. Aber es kann auch nicht sein, dass jeder, der kommt und sagt, er möchte Asyl bekommen, es auch bekommt, sondern er muss nachweisen, dass er wirklich verfolgt ist. Das können wir nur gemeinsam machen; und wenn man den Ländern an den Außengrenzen nicht hilft, dann funktioniert es nicht. Wir werden das Thema nur gemeinsam lösen können.
Soll es Asylzentren an der EU-Außengrenze geben?
Ich glaube, dass wir das so machen müssen.
Ein strittiges Thema ist, die Ukraine in die EU zu holen. Wie soll das funktionieren?
Die Ukraine ist ein großes Land mit einer völlig anderen wirtschaftlichen Struktur, mit einer sehr starken Landwirtschaft, mit einer sehr starken IT Industrie übrigens. Ich war während des Krieges viermal dort, habe sehr viele schreckliche Szenen und Zerstörungen gesehen. Das Ziel Putins ist, die Struktur und den Lebenswillen der Ukrainer zu zerstören. Und da müssen wir helfen, so gut wir können.
Also soll die Ukraine in die EU?
Ich glaube, dass wir jetzt einmal helfen müssen, weil ein Land im Krieg kann nicht aufgenommen werden kann. Natürlich sehe ich keinen schnellen Beitritt. Aber wenn der Krieg vorbei ist, werden die Verhandlungen sich intensivieren und es wird die nächsten Schritte geben. Sie werden beim Wiederaufbau Arbeitskräfte und Investitionen brauchen. Da wird Europa einiges zu tun haben. Aber es ist wichtig, dass wir in Europa klarstellen, dass man nicht einfach ein Land überfallen und ein Terrorregime über das Land ziehen kann.
Haben Sie einen Wunschkandidaten für den Posten des nächsten EU-Kommissars?
Nein. Aber was mich stört, ist dieses parteipolitische Hin und Her. Was ich nicht möchte, ist: „Du kriegst den Nationalbank-Präsidenten und wir den Kommissar.“ Das ist uralte Politik und uralte Koalition. Ich würde mir ein Hearing im österreichischen Parlament wünschen – unter etwa drei Persönlichkeiten, die sich dafür interessieren. Eine Art Vorauswahl.
(kurier.at, mag)
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