Nehammer reist zu Selenskij: Wie es dazu kam. Was dahinter steckt
Kanzler Karl Nehammer wird nach Kiew reisen und den ukrainischen Staatspräsidenten Wolodimir Selenskij besuchen. Das gab Selenskij in seiner täglichen Videoansprache in der Nacht auf Dienstag bekannt.
Wenig später bestätigte das Kanzleramt in Wien: Die Reise werde „in den nächsten Tagen“ stattfinden, mehr werde aus Sicherheitsgründen nicht bekannt gegeben.
Alle Hintergründe zur Reise, das nicht ganz konfliktfreie Verhältnis zur Ukraine und wie Sebastian Kurz Vorarbeit geleistet hat lesen Sie hier.
Österreichs Parteien sind sich in ihrer Haltung zu Selenskij nicht einig. Der heimische Nationalrat hat es bis heute nicht geschafft, den ukrainischen Präsidenten zu einer Video-Ansprache, wie es sie bereits in vielen Parlamenten gegeben hat, einzuladen. Nun fährt eben der Kanzler zu Selenskij, um auf diese Weise Unterstützung zu zeigen.
Die Ersten, die sich Mitte März auf eine viel beachtete Solidaritätsreise in das von Russland attackierte Land aufmachten, waren die Premierminister Mateusz Morawiecki (Polen), Petr Fiala (Tschechien) und Janez Janša (Slowenien).
Noch diese Woche wird sich die erste Spitzenfrau ins Kriegsgebiet wagen: die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell wird sie begleiten.
Spontaner Besuch in der Bar
Nehammer ist danach an der Reihe, heißt es. Der Besuch wurde am Montagabend in einem Telefonat zwischen dem ukrainischen Präsidenten und Nehammer vereinbart.
Entriert wurde die Zusammenkunft über das Brüderpaar Klitschko. Wladimir Klitschko hatte Nehammer spontan während dessen Berlinreise Ende vergangener Woche in der Hotelbar aufgesucht. Am Montag hatte der Kanzler mit dem Bruder, dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, telefoniert, bevor es zur Vereinbarung mit Selenskij kam.
Beziehungsarbeit von Kurz
Nehammer und Klitschko kennen einander aus Wien. Aufgebaut hatte die Beziehung Sebastian Kurz, zuerst als Außenminister und dann als Kanzler. Klitschko und Kurz halfen einander in Wahlkämpfen aus, beide – der Ex-Boxer und der damalige EVP-Jung-Star – besaßen einen gewissen Glamourfaktor. Die beiden kannten sich von der gemeinsamen europäischen Parteienfamilie EVP.
Spannung wegen Putin
Die Beziehung war nicht immer spannungsfrei. Als 2018 die damalige Außenministerin Karin Kneissl in ihren tiefen Knicks vor Wladimir Putin versank, eilte Kurz höchstpersönlich nach Kiew, um die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Die prowestlichen ukrainischen Politiker hatten laut gegen die österreichische Kungelei mit Putin protestiert. „Versöhnungstrip nach Knicks vor Putin“ titelte der KURIER den Bericht über die damalige Kurz-Reise. Kurz versicherte den Ukrainern, dass Österreich seine neutrale Rolle nicht zugunsten Russlands aufgebe.
Der Trip hatte offenbar gewirkt. Ein Jahr später – die ÖVP musste wegen „Ibiza“ überraschend in Neuwahlen – kam Klitschko bereitwillig als Wahlhelfer nach Wien und posierte bei der Auftaktveranstaltung auf der Politischen Akademie. ÖVP-Generalsekretär war damals ein gewisser Karl Nehammer.
Kontakte über Europäische Parteienfamilien
Als Kanzler hat sich Nehammer in dem russischen Angriffskrieg sofort und deutlich auf die Seite der Ukraine gestellt. Österreich sei „militärisch neutral“, aber klar in seiner Haltung auf der Seite der Demokratie und der europäischen Werte. Selenskij rief Nehammer bereits am 24. Februar, am Tag des Kriegsausbruchs, an und sagte: „Ich weiß nicht, wie lange es mein Land noch geben wird, und ich weiß nicht, wie lange ich noch leben werde.“
Noch engagierter als Nehammer legen sich in Österreich nur die Neos für die ukrainische Sache ins Zeug, Selenskijs Partei „Diener des Volkes“ ist zur liberalen EU-Parteienfamilie ALDE assoziiert.
Anfragen aus Kiew
In den vergangenen Kriegswochen sind immer wieder Anrufe aus Kiew im Kanzleramt eingegangen. Die Ukrainer haben angefragt um humanitäre Hilfe, um Schutzhelme und Schutzwesten. Österreich hat nach Möglichkeit geliefert. „Die Ukrainer kennen unsere Geschichte, sie wissen um die Neutralität und fragen daher nicht nach militärischer Unterstützung, die wir ihnen nicht geben können“, heißt es auf dem Ballhausplatz.
Gasboykott als Streitpunkt
Differenzen zwischen Wien und Kiew gibt es auch jetzt: Immer wieder deponieren die Ukrainer ihre Forderung, Österreich möge einem Gasboykott zustimmen und aufhören, die russische Kriegsmaschinerie zu finanzieren. „Wir antworten ihnen dann, dass das für uns nicht in Frage kommt“, heißt es.
Mit welchem Fahrzeug und auf welcher Route Nehammer in die Hauptstadt des umkämpften Landes reisen wird, wird gerade erörtert. „Puncto Sicherheit“, heißt es im Kanzleramt, „verlassen wir uns auf die Ukraine.“
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