"Unernsthaftigkeit": Bures mit scharfer Kritik an Bablers Wahlprogramm

"Unernsthaftigkeit": Bures mit scharfer Kritik an Bablers Wahlprogramm
Die hochrangige SPÖ-Funktionärin befürchtet Eindruck der "Unernsthaftigkeit". Babler ortet großen Unmut über die Bures-Aktion.

Die SPÖ hat ihr Programm für die Nationalratswahl praktisch fertiggestellt. Im Parteipräsidium diese Woche wurde ein Entwurf vorgestellt, der der APA vorliegt und viele bekannte Forderungen wie die Millionärssteuer, eine Facharzt-Garantie und einen Testlauf für eine Vier-Tage-Woche enthält. Dazu kommen zahlreiche finanziell aufwändige Wünsche.

 

Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) befürchtet in einem Brief an das Präsidium den Verdacht der "Unernsthaftigkeit".

"Zahllose Steuererhöhungen"

Aus dem Schreiben der Wiener Spitzenkandidatin an die Mitglieder des Spitzengremiums der Sozialdemokraten zitiert die Kronen Zeitung umfangreich. "Die Schwerpunktsetzung auf zahllose Steuererhöhungen bei gleichzeitigen Forderungen nach zahlreichen kostenlosen staatlichen Leistungen könnte im Angesicht der von der ÖVP-Regierung verursachten schwierigen finanzpolitischen Lage der Republik den Verdacht der Unernsthaftigkeit entstehen lassen."

Tatsächlich nimmt sich die SPÖ in ihrem Programmentwurf einiges vor, was Ausgaben angeht. Das Feld dabei ist breit von kostenloser Zahnbehandlung für Unter-23-Jährige über die Gelegenheit für jedes Kind, ein Musikinstrument kennenzulernen, kostenloses Mittagessen (und in weiteren Etappen auch Frühstück und Jause) für Schüler, eine Schule ohne private Nachhilfe, ein Nein zu Studienbeiträgen bis zu einem Rechtsanspruch sogar auf geblockte Altersteilzeit. Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters wird ausgeschlossen.

Breiten Raum nimmt auch das Klimakapitel ein. 20 Milliarden bis 2040 sieht SP-Chef Andreas Babler in dem Entwurf für einen Klima-Transformationsfonds vor, der unter der Ägide der ÖBAG stehen soll.

Einnahmenseitig setzt man wiederum auf eine Millionärssteuer für ein Nettovermögen von über einer Million. Zusätzlich wäre das selbst bewohnte Eigenheim bis zu einer "Luxusgrenze" von 1,5 Millionen Euro ausgenommen. Eine Schenkungs- und Erbschaftssteuer soll es nur für Millionen-Erbschaften geben, wobei Eigenheime, die an Lebensgefährten oder Kinder weitergegeben werden, komplett steuerfrei blieben. 

Anheben will die Babler-SPÖ die Banken-Abgabe, weiters soll die Körperschaftssteuer-Senkung rückgängig gemacht werden. Die Digitalsteuer soll auf Plattformumsätze ausgeweitet werden, betroffen wäre z.B. Airbnb, wobei die SPÖ die Dienste des Privatwohnungsvermieters ohnehin einschränken will. Auch sollen Supermärkte nur noch in Ortszentren entstehen dürfen.

Für Bures zu detailverliebt

Das Papier mit seinen gut 60 Seiten ist durchaus detailverliebt, was Bures offenbar nicht goutiert: "Die Relationen der einzelnen Politikfelder zeigen zu wenig Schwerpunktsetzungen und Priorisierungen, verlieren sich aber dafür - in relativ unbedeutenden Bereichen - in liebevollen Details", zitiert die "Krone" ihren Brief: "Beim Forschungsthema wird lapidar die erhöhte Finanzierung für Grundlagenforschung avisiert, während im Landwirtschaftsteil die Erhöhung des Anteils der Bio-Imker von derzeit drei auf zehn Prozent angekündigt wird."

Das ist nicht das einzige Beispiel, wo sich die SPÖ im Programm-Entwurf Themen annimmt, die bisher wenig im Mittelpunkt standen. Gefordert werden beispielsweise ein Recht auf "analoges Leben" für Bauern, ein Recht auf persönliche Banktermine, Wartemöglichkeiten an Stationen im Schatten, eine "feministische Außenpolitik" und die Etablierung Österreichs als "diplomatischer Verkehrsknotenpunkt".

Klar abgelehnt wird ein Beitritt Österreichs zur NATO, gleichzeitig ein Bekenntnis zur Beibehaltung der Wehrpflicht abgegeben. Was den Nahost-Konflikt angeht, unterstützt die SPÖ internationale Friedensbemühungen, um eine für Israelis und Palästinenser "gerechte Zweistaatenlösung" zu erreichen. Die russische Aggression gegen die Ukraine wird verurteilt, jedoch spricht man sich für ein Offenhalten von Gesprächskanälen für Verhandlungen ein, um zu einem Ende des Kriegs zu finden.

Ziemlich rigide zeigt sich die SPÖ, was die Asylpolitik angeht. Es wird zwar angemerkt, wie stolz Österreich darauf sein kann, was es schon mit der Aufnahme von Flüchtlingen geleistet hat, jedoch wird gleichzeitig betont: "Es ist aber klar, dass wir nicht die gesamte Verantwortung alleine tragen können." Mehr oder weniger auf einer Linie mit Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) befindet man sich, wenn im Papier gefordert wird, in der EU abgelehnte Asylwerber in "sichere Drittstaaten" abzuschieben, wenn eine Rückkehr in das Heimatland nicht möglich ist. Eine Ausnahme vorgesehen ist für junge Flüchtlinge, wenn sie eine Ausbildung absolviert haben. Diese könnten unter bestimmten Umständen eine andere Aufenthaltsberechtigung erhalten.

Was das Schulwesen angeht, setzt die SPÖ jetzt in erster Linie auf die Ganztagsschule, aber nicht nur auf die verschränkte Form. Man werde darauf achten, dass auch das Modell mit vormittags Unterricht und nachmittags Betreuung angeboten werde.

Kritik an Erstellungsprozess

Wie breit die Erarbeitung des Programms war, ist umstritten. Bures meint in dem Brief an die Präsidiumsmitglieder: "Es ist leider nicht das erste Mal, dass bei öffentlich präsentierten Forderungen der SPÖ insinuiert wird, dass diese auf breiter demokratischer Basis beschlossen worden seien. Auf diese Fehlentwicklung wollte ich hinweisen, weil wir uns dadurch nach innen und außen schwächen und angreifbar machen."

So reagiert Babler

Babler selbst reagierte Samstagfrüh auf die scharfe Kritik durch seine Stellvertreterin: "Ich kann verstehen, dass über diese Aktionen großer Unmut herrscht, von der Gewerkschaft, über die Bundesländer bis nach Wien." Und weiter "Doris Bures hat die Mail aber nicht an die Medien geschrieben, sondern an ein internes Gremium. Daher werde ich dazu öffentlich heute nichts sagen, sondern das vorher intern besprechen." Wie im Fall Luger  wolle er aber zeitgerecht ausführlich und sehr klar dazu Stellung beziehen.

Und zum Wahlprogramm: "Für die Medien und damit für die Öffentlichkeit gibt es dann die Präsentation eines ernsthaft gelungenen Wahlprogramms Anfang September."

Bures-Lager erklärt Vorgehen

Bures selbst rechtfertigte sich am Samstag auf Facebook: "Ich bin als Mitglied des Bundesparteipräsidiums der SPÖ der Aufforderung zur internen Stellungnahme zum Vorschlag des Wahlprogramms nachgekommen. Wer immer diese oder möglicherweise auch andere Stellungnahmen weitergeleitet hat, trägt für die weitere Form der inhaltlichen Diskussion die Verantwortung." 

Der KURIER sprach mit Christian Deutsch einen ihrer engen Vertrauten. Der ehemalige Bundesgeschäftsführer und nunmehrige Wiener Gemeinderat zählt auch zum engsten Umfeld von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig.  

Wie Bures kritisiert auch er das Zustandekommen des Programms: "Jenes für die Wahl 2019 wurde noch unter Einbindung des Klubs erstellt und dann im Bundesparteirat beschlossen. Diesmal ist es so, dass nicht einmal ich als Kandidat es kenne. Es wurde bis dato lediglich im engsten Kreis kommuniziert, es fehlt die demokratische Legitimierung."

Eine Darstellung, die man im Babler-Umfeld zurückweist. Wie alle anderen hätte auch Bures im Vorfeld genug Gelegenheit gehabt, sich inhaltlich einzubringen. Das Programm sei mit Experten erarbeitet worden, aber auch die Bereichssprecher aus dem Parlament seien eingebunden gewesen. Der Entwurf sei dann ans Präsidium gegangen, wobei Rückmeldungen noch eingearbeitet worden seien. Am Dienstag sei an den Parteivorstand ergangen, um weiteres inhaltliches Feedback einzuholen. Das Programm soll in den nächsten Tagen beschlossen werden.

Inhaltlich, so wiederum Deutsch, sei es Bures darum gegangen, noch soweit nachzuschärfen, "dass wir ein herzeigbares Programm haben". Es gehe dabei um die Finanzierbarkeit der Projekte und um die inhaltliche Basis für Koalitionsverhandlungen nach der Wahl. Insofern sei ein Wahlprogramm etwas anderes als "die Zusammenfassung der Wünsche, die auf einem Parteitag eingebracht werden", sagt Deutsch. Er betont, dass nicht beabsichtigt gewesen sei, dass der Brief an die Öffentlichkeit gelangt.

Bei der Wiener Landespartei formuliert man es ähnlich: „Der ausschließlich für intern bestimmte Beitrag ist eine Aufforderung sich stark inhaltlich zu fokussieren und die Umsetzbarkeit der sozialdemokratischen Vorschläge immer im Blick zu haben. Wichtig ist vor allem die Kernthemen der Sozialdemokratie zu adressieren, denn das sind auch jene für die Bevölkerung am wichtigsten Themen.“

Rache für Klaus Luger?

In Parteikreisen kursiert aber auch eine andere Theorie darüber, wie es zum Bures-Vorstoß kam: Demnach sei sie, aber auch etliche Ländervertreter empört über den Umgang Bablers mit dem Linzer Bürgermeister Klaus Luger gewesen. Wie berichtet hat Babler den Stadtchef, nachdem dessen Lügen im Zusammenhang mit der Brucknerhaus-Affäre bekannt geworden waren, öffentlich und unter Androhung eines Schiedsgerichtsverfahrens zum Rücktritt aufgefordert. Dieser Schritt sei nicht mit dem Präsidium akkordiert gewesen. Zudem sei es menschlich nicht in Ordnung, mit einem verdienten Funktionär so umzuspringen, so die Ansicht mancher Genossen. 

Deutsch bestreitet das allerdings: "Das ist eine Verschwörungstheorie. Man soll diese beiden Dinge nicht miteinander vermengen." Zur Causa Luger will er sich nicht äußern.

Ob Babler überhaupt noch einen Rückhalt in der Partei und speziell in der Wiener Landesgruppe hat, beantwortet der lang gediente Funktionär so: "Wir werden alle zusammenhelfen, damit die SPÖ ein gutes Wahlergebnis zustande bringt." 

Im Babler-Lager hat man ohnehin eine andere Lesart der jüngsten Ereignisse: "Das ist das letzte Aufbäumen der alten Funktionärsgarde". 

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