Mit dem jüngsten Hochwasser geraten in der Schlussphase des Wahlkampfs die Themen Klimaschutz und Bodenversiegelung wieder stärker in den Fokus. In den jüngsten TV-Diskussionen betont Bundeskanzler Karl Nehammer gleich mehrfach, dass 3,5 Prozent der Gesamtfläche Österreichs versiegelt seien. Gehe es um die gesamte vom Menschen in Anspruch genommene Fläche, seien es 6,7 Prozent.
Die Stoßrichtung der Argumentation ist klar: Das Problem Bodenversiegelung sei in der Realität deutlich geringer als vielfach befürchtet.
Franz Essl, Biodiversitätsforscher an der Uni Wien, kann ihr aber nur wenig abgewinnen. „3,5 Promille Alkohol im Blut klingt auch nach wenig, ist aber trotzdem sehr viel“, stellt der „Wissenschafter des Jahres 2022“ gegenüber dem KURIER einen Vergleich.
Die von Nehammer angeführte Zahl sei nur dann klein, wenn man ein vom Bodensee bis zum Neusiedler See komplett zubetoniertes Österreich als Maßzahl heranziehe. Dabei sei mehr als die Hälfte der Landesfläche (allem voran die alpinen Gebiete) gar nicht bebaubar.
Große Auswirkung
Unterschätzt werde vielmehr, dass selbst kleine versiegelte Flächen sich sehr negativ auf den Hochwasserschutz auswirken würden, gibt der Experte zu bedenken. „Denn auf einer betonierten Fläche fließt hundert Prozent des Niederschlags ab.“
Wienerwald
Im ORF-TV-Duell mit Grünen-Chef Werner Kogler am Freitag hatte Nehammer zudem darauf hingewiesen, dass selbst der „völlig unversiegelte Wienerwald“ nicht verhindern konnte, dass die enormen Regenmengen vor einer Woche den Wienfluss im Wiener Stadtgebiet beinahe zum Übergehen gebracht hätten.
Für Essl ebenfalls ein wenig stichhaltiges Argument. Denn mittlerweile gebe es auch im Wienerwald schon beträchtliche Schneisen mit Besiedelung. „Und damit wird die Abflussgeschwindigkeit der dortigen Bäche verstärkt.“
Zuletzt hatte sich Nehammer wiederholt gegen fixe Grenzen gegen Bodenversiegelung ausgesprochen. Das türkis-grüne Regierungsprogramm hätte ja an sich vorgesehen, sie bis 2030 auf zweieinhalb Hektar pro Tag zu reduzieren. Wie mehrfach berichtet, gelang es dann aber doch nicht, sich darauf zu einigen.
„Kein Raster“
Laut dem ÖVP-Chef sei es falsch, einen solchen Raster über ganz Österreich zu legen. Nötig seien vielmehr die richtigen Maßnahmen am richtigen Ort. Statt zentral seitens des Bundes sollten darüber vor Ort die Bürgermeister mit ihrer Bevölkerung entscheiden.
Auch hier widerspricht Experte Essl dem Bundeskanzler. Nötig sei das eine wie das andere: Also verbindliche nationale Ziele wie die im Regierungsprogramm genannten 2,5 Hektar, aber auch konkrete Schritte auf Gemeindeebene. Also etwa Maßnahmen, um den Flüssen mehr Platz zu geben und Hochwasserschutz-Einrichtungen für die Siedlungen. Der Forscher betont: „Weiters wird man sich die Verbauungspläne genau anschauen und die Widmungen hinterfragen müssen.“
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