Mehr Christians als Menschen mit Migrationshintergrund

Erster Tag für die jüngste Abgeordnete: Claudia Plakolm (ÖVP).
Am heutigen Donnerstag wurde der neue Nationalrat angelobt. Wer genau vertritt die Österreicher künftig im Parlament? Die wichtigsten Daten im Überblick.

34 Prozent der Abgeordneten sind Frauen und 66 Prozent Männer. Das entspricht natürlich nicht der Gesamtbevölkerung, die (in statistischer Ermangelung eines dritten Geschlechts) zu 51 Prozent aus Frauen besteht. Die "Liste Pilz" ist durch den Verzicht von Peter Pilz (zumindest vorübergehend und etwas unfreiwillig) die einzige, die das Prinzip "Halbe-Halbe" erfüllt. Mit 46 Prozent kommt die SPÖ dem auch nahe, die Neos stehen bei 40 Prozent. Das vollmundig angekündigte Reißverschlusssystem der "Neuen Volkspartei" hat schließlich nur knapp 31 Prozent ergeben. Absolutes Schlusslicht bleibt die FPÖ: 22 Prozent sind Frauen.

Namen

Die ersten fünf häufigsten Namen gehören zu Männern. Christian (8x), Peter (7x) und Wolfgang (7x) führen die Liste nicht nur an, sondern sind damit auch häufiger im Parlament anzutreffen, als Menschen mit Migrationshintergrund insgesamt (6x). Frauen heißen am häufigsten Petra (4x)

#NR2017: NamenInfogram

Alter

Die jüngste Abgeordnete ist 22 (Claudia Plakolm, ÖVP), die älteste 71 (Irmgard Griss, Neos). Dazwischen liegen fast fünf Jahrzehnte und eine Dominanz älterer Jahrgänge. Im aktuellen Parlament erlebt die Generation 1969 ihren Sommer. Die je elf Personen aus diesem und dem unmittelbar davor liegenden Sommer machen 12 Prozent der Kammer aus.

Die 1960 insgesamt stellen 38 Prozent aller Nationalräte und damit die stärkste Gruppe Zum Vergleich: Alle Jahrgänge ab 1980 zusammen kommen lediglich auf 20 Prozent. Das wird übrigens die letzte Wahl gewesen sein, bei der in diesem Jahrtausend geborene Menschen nicht kandidieren durften.

Bundesländer: Wiener Übergewicht ohne drastische Auswirkungen

Die relativ meisten Mandatare haben als Wohnsitz Wien (50) angegeben. Damit ist die Hauptstadt überrepräsentiert. Da das Parlament in Wien ist, ist das möglicherweise aber auch nicht ganz überraschend. Dafür spricht, dass Länder, die geographisch weiter weg liegen, auch eher etwas unterrepräsentiert sind. Insgesamt verteilt sich das aber gut, sodass trotz des Wiener Übergewichts kein anderes Bundesland drastisch weniger Mandatare stellt, als es Bürger und Bewohner hat.

Berufe: Politiker und Akademiker

Laut der Angaben auf der Wahlliste - und diese müssen nicht vollständig sein - sind 48 der 183 Nationalratsabgeordneten derzeit hauptberufliche Politiker (Regierungsmitglieder, Bürgermeister, Parlamentarier). In einem hohen, politischen Gremium ist dieser Anteil wenig überraschend überrepräsentiert im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Je 18 Kandidaten wiesen sich als Unternehmer oder Angestellte aus und fast ebensoviele als Juristen (16). Dazu kommen neun Landwirte und vier Polizisten. Niemand hat sich als "Arbeiter" oder auch "arbeitslos" auf die Liste schreiben lassen. Im Nationalrat sind Menschen mit akademischen Abschlüssen überdurchschnittlich oft vertreten. 51,37 Prozent der Mandatare (94) der größeren Parlamentskammer haben einen solchen erworben. In der Gesamtbevölkerung sind es laut OECD lediglich 16 Prozent.

Deutschnationale Burschenschafter

Burschenschafter, also Mitglieder deutschnationaler Männerbünde aus dem akademischen Umfeld, sind eine verschwindende Minderheit in der österreichischen Bevölkerung. Etwa 4.000 Personen soll es laut einer Schätzung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW) geben. Jeder Zweihundertste davon (20) sitzt nun im Nationalrat. Würden diese Burschen einen gemeinsamen Klub bilden, wäre dieser stärker als jene der Neos und Liste Pilz zusammen. Genau genommen tun sie das auch, denn alle deutschnationalen Burschenschafter sind in den Reihen der FPÖ zu finden.

Die teuersten und billigsten (Nicht-)Mandate

Hätte man einfach alle abgegebenen, gültigen Stimmen durch 183 dividiert, würde ein Mandat 27.705 Stimmen "kosten". Durch Reststimmen, das dreistufige Verteilungsverfahren und die vier Prozent-Hürde sind Mandate aber tatsächlich unterschiedlich teuer. Am billigsten kamen die ÖVP und FPÖ davon. Sehr teuer wurde die Angelegenheit für die Liste Pilz.

Die Vier-Prozent-Hürde schließt diesmal logischerweise vor allem Grün-Wähler aus, aber auch GILT und die KPÖ hätten mit einem streng linearen Verteilungsverfahren zumindest ein Mandat geschafft.

Damit sind etwa 355.000 Menschen zur Wahl gegangen, ohne einen Einfluss auf die Sitzverteilung zu haben. Weitere 1.28 Mio. wahlberechtigte Menschen sind gar nicht erst an die Urnen geschritten. Nicht unwesentlich auch, dass 1,13 Mio. Menschen über 16 aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft gar nicht wahlberechtigt sind und ungefähr 1,3 bis 1,4 Mio. Menschen zu jung sind, um ihre Stimme abzugeben. Insgesamt leben damit etwa 4,1Mio. Menschen in Österreich, die keinen Einfluss auf die Wahl nahmen oder nehmen konnten.

Die Klubs in der Übersicht

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Mitglieder des Nationalrats nach Parteien - Liste GRAFIK 1116-17, 180 x 232 mm

Auch wenn über die Regierung erst verhandelt wird, zeichneten sich die künftigen Rollen schon in der ersten Nationalratsdebatte am Donnerstag ab: Sebastian Kurz (ÖVP) sprach von der "Chance zum Neuanfang", sein Partner in spe Heinz-Christian Strache (FPÖ) von nötiger "positiver Veränderung" - und Noch-Kanzler Christian Kern (SPÖ) war "fast versucht", den beiden zu sagen "Kaufts Euch a Wohnung".

Die NEOS lebten die Opposition gleich: Sie wollten nicht die von der ÖVP vorgeschlagene Elisabeth Köstinger zur Nationalratspräsidentin wählen, sondern den bisherigen Zweiten Präsidenten Karlheinz Kopf (ÖVP). Auch einige Abgeordnete der SPÖ werden nicht Köstinger wählen, kündigte der geschäftsführende Klubobmann Andreas Schieder an.

Dank von Kurz

Kurz nutze seine Rede vorwiegend für Dank (an verabschiedete langjährige Parlamentarier wie Jakob Auer und Josef Cap), eine Respektsbekundung gegenüber den Grünen für ihre Verdienste für die Republik und die Anpreisung Köstingers, die "jahrelange Erfahrung im Europaparlament" gesammelt habe. Dem von der ÖVP nicht mehr nominierten Kopf dankte der geschäftsführende Klubobmann August Wöginger, aber auch Kern namens der SPÖ und Strache für die FPÖ.

Schon ein wenig den Kanzler zeigte Kurz mit der Ansage, dass er sich "auf die Zusammenarbeit mit Ihnen in den nächsten fünf Jahren" freue, samt Hinweis darauf, dass es für die neue Regierung nötig sein wird, im Parlament Zweidrittelmehrheiten für große Veränderungen zu finden.

Noch-Kanzler Kern erinnerte an die Novemberpogrome vor 79 Jahren - und mahnte als "Konsens, den alle vertreten sollten" ein, dass "Ausgrenzung, die Suche von Sündenböcken, Rassismus und die Mobilisierung niedriger Instinkte in der Politik keinen Platz haben". Mit einem Schlenker gegen die demonstrierte "Innigkeit und Intimität" in den türkis-schwarz-blauen Verhandlungen ließ er wissen, wie die SPÖ die Opposition anlegen wird: Vorschläge hinterfragen, bessere Alternativen vorlegen - und "bewusst einen Gegenpol zur oberflächlichen Inszenierung" setzen, die man schon in den Koalitionsgesprächen sehe.

Ungeübte Rolle für Strache

Zwischen Regierung und Opposition schwankte Strache: Er zitierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dass man jetzt "Gräben zuschütten und Brücken bauen" müsse - und appellierte, dass man auch "harte Diskussionen gesittet" führt und dabei "natürlich auch das Niveau gewahrt bleibt". Dann kritisierte er noch einmal die "immensen Belastungen", die Rot-Schwarz hinterlasse, und deren "massiven Zwist und Hader". Das alles habe bei der Wahl eine Absage erhalten, jetzt müsse "wirklich positive Veränderung und Erneuerung stattfinden" - wandte er sich den Themen - Steuern, direkte Demokratie, Zuwanderung - zu, die die FPÖ in der Regierung anpacken will. Der FPÖ-Chef dankte nicht nur dem bisherigen Zweiten Präsidenten Kopf, sondern auch Bures für den "parteipolitisch unabhängigen und fachlich exzellenten" Vorsitz im Präsidium.

Strolz begründete, warum die NEOS Köstinger nicht wählen können: Sie wollten ein - von dieser nicht gewährtes - Gespräch, um sich zu versichern, "dass das Amt mit großer Ernsthaftigkeit" und "voller Leidenschaft" angegangen wird. Denn es gehe um das "Hohe Haus", die erste Staatsgewalt - und dieses sei "kein Durchhaus und kein Rangierbahnhof", beschrieb Strolz die Vermutung, dass Köstinger sich in Kürze wieder Richtung Regierung verabschiedet. Die NEOS wollen in ihrer zweiten Periode "die Kontrollpartei gegen Korruption, Steuergeldverschwendung und Parteibuchwirtschaft" sowie "Hüterin der Verfassung" und "Reformturbo" sein.

Sie sehen, ich bin nicht Peter Pilz

Mit den Worten "Sie sehen, ich bin nicht Peter Pilz" trat Peter Kolba ans Rednerpult - und prangerte auch gleich die "beispiellose Medienjustiz" an, die dazu geführt habe, dass jetzt er und nicht der Parteigründer der Liste Pilz als Klubobmann hier stehe. Auch ohne Pilz werde man aber "kantige, wahrnehmbare Opposition" sein und "abwehren, was Schwarz-Blau für die Bevölkerung vorgesehen hat". Vorerst aber bat er Kolba einmal um 100 Tage Einarbeitungszeit für die neue Fraktion, "wir müssen uns konsolidieren".

Damit war die erste Debatte allerdings noch nicht zu Ende. Die Causa Pilz - der Listengründer nahm das Mandat wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung nicht an - griff etwa Ex-Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) auf. Sie trat der Kritik an der Kritik an Pilz entgegen und stellte ergriffene und noch nötige Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung dar.

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