Darf ein Kanzler so auftreten und argumentieren? Seit Mittwoch sorgt ein Handy-Video für Aufsehen, das Regierungschef Karl Nehammer zeigt, wie er in einer kleinen ÖVP-Runde in Hallein seinem Ärger über die aktuelle politische Debatte freien Lauf lässt.
Da tauchen Themen wie das Bremsen durch die Sozialpartnerschaft, die Teilzeitarbeit von Frauen ohne Betreuungspflichten, die Rolle des ÖGB bei der Rot-Weiß-Rot-Card oder die Kinderarmut auf. Wobei ihn in Bezug auf die Kinderarmut vor allem der Vorwurf von SPÖ-Chef Andreas Babler aufregt, dass die Kleinsten teilweise auch ohne eine warme Mahlzeit auskommen müssten.
Das veranlasste Nehammer auch zu dem mittlerweile berühmt gewordenen Burger-Sager: "Wisst's was die billigste warme Mahlzeit in Österreich ist? Ist nicht gesund, aber sie ist billig: ein Hamburger bei McDonald's." Den würde es schon um 1,40 Euro geben.
Seither ist die Aufregung groß. Vor allem der politische Gegner nutzt das Video, um gegen den Kanzler und die ÖVP zu wettern. Nicht nur wegen seiner Aussagen, sondern auch wegen der Art und Weise des Auftritts. Als ob bereits Intensiv-Wahlkampf wäre. Herbert Kickl forderte sogar den Rücktritt von Karl Nehammer. Für den blauen Parteichef hat das Video die Gelegenheit geboten, nun offensiv gegen den Kanzler vorzugehen, nachdem ihn dieser seit Juli regelmäßig als Sicherheitsrisiko bezeichnet. Und auch erklärt, dass er nie mehr mit einem Herbert Kickl regieren wird.
Kickl zum Video: "Immer dann, wenn Nehammer glaubt, unter seinesgleichen zu sein, bricht bei ihm diese Mentalität durch, die man aus der Führungsmannschaft der ÖVP nur allzu gut kennt, Stichwort Pöbel. Ein Politiker, der derart empathielos, abgehoben, eiskalt ist und eine derartige Verachtung für die armutsgeplagten Menschen an den Tag legt, ist für den Job des Bundeskanzlers ungeeignet." In diesem Satz war auch der ganze Ärger zu hören, den der FPÖ-Chef wegen der ÖVP-Angriffe gegen ihn empfindet.
Eine eigene Pressekonferenz hatte gar SPÖ-Chef Andreas Babler einberufen. Da war auch die Art des Auftritts ein Statement: mit Anzug und Krawatte, für Babler ungewohnt. Aber er wollte sich als Staatsmann zeigen. Ganz im Gegensatz zu Karl Nehammer im Video. Babler in der Pressekonferenz: "Wir sehen in dem Video einen Bundeskanzler, der die Leute für etwas verachtet, das er selbst zu verantworten hat. Nehammer bindet den Leuten die Schuhe zusammen, und wenn sie fallen, ruft er 'Steht auf und rennt weiter'". Babler nutzte sein Pressestatement auch dazu, um vor einer schwarz-blauen Regierung zu warnen. Ob Karl Nehammer noch eine Koalitionspartner für ihn sei, beantwortete er so: "Es würde jeder ausscheiden als Koalitionspartner, der die Menschen nicht mag."
Sowohl Babler als auch Kickl ist das Video nicht ungelegen gekommen. Die SPÖ war am Tag davor wegen eines geleakten Sora-Strategiepapiers für den Wahlkampf 2024 unter Druck gekommen. Und Herbert Kickl musste sich wegen der Reise von zwei ehemaligen Abgeordneten Andreas Mölzer und Johannes Hübner seiner Partei nach Afghanistan zu den Taliban verteidigen.
Wirklich glücklich war man in der Volkspartei über das Handy-Video aus Hallein nicht. Als negativ für das Image von Karl Nehammer und die Partei sieht man es aber auch nicht. Ganz im Gegenteil. In der Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse war man überrascht, wie viele unterstützende Reaktionen vor allem von eigenen Funktionären dazu eingelangt waren. Deswegen wurde am Donnerstag noch einmal draufgelegt. Keine Rede von einer Entschuldigung für den Kanzlerauftritt, dafür ein Video mit Karl Nehammer, in dem er seine Wut-Argumentation noch einmal verstärkt. Nehammer: "Ich stehe dazu, dass sich Leistung lohnen muss, und ich stehe dazu, dass Eltern eine Fürsorgepflicht für ihre Kinder haben." Und: "Wer davon spricht, dass in Österreich Kinder keine warme Mahlzeit haben, der stellt dieses Land in ein schlechtes Licht." Die Schlechtredner würden Österreich nicht besser machen.
Am Donnerstag rückten dann noch Generalsekretär Christian Stocker, Frauenministerin Susanne Raab und der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer aus, um die Video-Argumentation ihres Kanzlers zu verteidigen. Von einem "Sturm im Wasserglas" sprach Außenminister Alexander Schallenberg. "Ich muss bitten, auf die Sprache zu achten. Von humanitärer Krise zu sprechen, ist völlig überzogen." In der Ukraine würden täglich Menschen sterben, "wir haben Äthiopien, die Sahel-Zone - da reden wir tatsächlich von einer humanitären Krise?" Ja, es gebe Probleme und Herausforderungen, aber Stimmungen zu erzeugen, "als wären wir mit dem Rücken zur Wand, halte ich für verfehlt", so Schallenberg
Dass Nehammer trotz des nicht ganz staatsmännischen Auftritts bei seinen Funktionären punkten kann, das wurde auch vom Politologen Peter Filzmaier im Ö1-Morgenjournal festgestellt. Ob es ihm insgesamt nutzen wird, da zeigte sich Filzmaier eher skeptisch. Vor allem liberalere Kreise könnten seine Ansagen abstoßend finden. Wo sich der Politologe allerdings sicher war: Das Video wird höchstwahrscheinlich zu keiner Koalitionskrise führen.
Grüne reagierten gelassen
Das zeigten auch die Reaktionen des grünen Regierungspartners. Am schärfsten formulierte Sozialminister Johannes Rauch die Kritik. Er bezeichnete es als zynisch, Menschen in Not auszurichten, sie seien selbst Schuld oder sollen ihren Kindern Fast Food servieren. Vizekanzler Werner Kogler und selbst Klubobfrau Sigrid Maurer reagierten da gelassener. Kogler: "Wenn das Video jetzt Aufmerksamkeit erregt - möglicherweise berechtigt - dann ist doch ein guter Zeitpunkt für die Regierung und auch für den ÖVP-Teil, das, was angekündigt wurde, beschleunigt anzugehen."
Am Freitag bezeichnete Kogler das Gesagte dann noch einmal als "unachtsame Aussagen, manche sagen: Parolen". "Diese Aussagen waren natürlich schon weit weg von den Lebensrealitäten dieser Frauen", sagte Kogler weiter. Gleichwohl lobte er die, wie er betonte, Regierungsarbeit bei der Armutsbekämpfung. "Jahrzehntelang wurde darüber geredet, diese Regierung hat es gemacht", so Kogler und verwies etwa auf Steuerentlastungsmaßnahmen. "Da haben wir immer die unteren Einkommen stärker adressiert, da war keine Gießkanne." Wichtig sei der weitere Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten.
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