Muzicant: "Juden sind immer das erste Ziel"
Der Vizepräsident des European Jewish Congress (EJC) und World Jewish Congress, Ariel Muzicant, kämpft auf internationaler Ebene gegen Antisemitismus. Er hat auch großen Anteil an der Organisation der Konferenz zum Thema „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung des jüdischen Lebens in Europa“ kommenden Mittwoch in Wien. Das hochrangig besetzte Treffen findet im Rahmen der österreichischen EU-Präsidentschaft statt.
Dabei wird auch ein Handbuch vorgestellt, das Best-practice-Beispiele auflistet, an denen sich Politik und Gesellschaft im Auftreten gegen Antisemitismus orientieren können.
KURIER: Herr Muzicant, welche Strategie brauchen EU-Mitgliedsländer dringend, um Antisemitismus effizient zu bekämpfen?
Ariel Muzicant: Es braucht die Annahme der Antisemitismus-Definition in allen EU-Staaten, legistische Maßnahmen und die Schulung von Polizisten, Staatsanwälten und Richtern, um Gesetze umsetzen zu können. Es geht auch um den Schutz jüdischer Gemeinden, sowohl personell als auch materiell. Die politisch Verantwortlichen müssen mehr tun. Sonst werden Europas jüdische Gemeinden in 20 oder 30 Jahren – im Vergleich zu heute – um die Hälfte reduziert.
Antisemitische Vorfälle nehmen in sämtlichen EU-Staaten zu. Können Juden in der EU noch sicher leben?
In Österreich entwickelt sich die jüdische Gemeinde hervorragend. Leider gibt es ein Dutzend EU-Länder, wo zu wenig passiert (etwa in Schweden, Italien, Spanien und Frankreich, Anm.).
Die Konferenz beschäftigt sich auch mit Antizionismus, mit Angriffen gegen den Staat Israel. Worum geht es dabei?
Kritik an Israel ist erlaubt, aber Israel wird immer wieder angegriffen und unfair behandelt. Viele Berichte des UNO-Menschenrechtsbeirates betreffen Israel, da geht es nicht um sachliche Kritik. Es geht um diese Doppelstandards. Wenn der BDS (Boycott, Divestment and Sanctions ist eine transnationale Kampagne, die Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will) die Zerstörung und Aufhebung des Staates Israels verlangt, dann ist das Antisemitismus. Wenn Labour-Chef Jeremy Corbyn und andere Linkspolitiker Israel kritisieren, ohne die Palästinenser für ihre Terrorangriffe zu verurteilen, dann ist das der neue Antisemitismus in Europa.
Der deutsche Regierungsbeauftragte gegen Antisemitismus hat festgestellt, dass die Mehrheit antisemitischer Vorfälle rechtsextrem motiviert ist. Gilt das auch für Österreich?
Ich würde keiner Gruppe in Österreich den Persilschein erteilen. Die Gefahr kommt von allen Gruppen. Es gibt rechte, linke und islamistische Kräfte, die nicht davor zurückscheuen, Juden zu attackieren. In Österreich sind wir dank der Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung – bis vor kurzem – in einer Situation, wo relativ wenig passiert ist. Wir machen uns aber Sorgen, wie es weitergeht.
Braucht auch Österreich einen Sonderbeauftragten gegen Antisemitismus?
In Österreich ist vom Bundeskanzler hinunter jeder sensibilisiert, jeder versteht das Problem.
Trifft diese Sensibilisierung auch auf FPÖ-Politiker zu?
Sie wollen das Gegenteil. Wieder besuchten FPÖ-Politiker das Grab des NS-Piloten Walter Nowotny auf dem Wiener Zentralfriedhof, sie trafen mit Rechtsextremen und Neonazis zusammen. In der FPÖ gibt es eine Menge von Leuten, die eine Nähe zum Nazismus und zum Antisemitismus haben.
Die FPÖ ist aber Teil dieser Bundesregierung.
Ja, schade. Es ist schlimm, dass viele Wähler diese Leute wählen, die Nähe zum Nazismus stört sie nicht.
Fühlen Sie sich in Wien sicher?
Ja. Ich fühle mich sicher. Durch den Sicherheitsapparat und durch Aktionen dieser und der vorangegangenen Regierungen herrscht hier ein anderes Klima als in Schweden, Frankreich oder Spanien. Diese Entwicklungen kommen aber irgendwann zu uns. Ich mache mir große Sorgen für die nächsten Generationen.
Welche Sorgen konkret?
Juden sind immer das erste Ziel. Wenn man Antisemitismus bekämpft, kämpft man für die ganze Gesellschaft. Juden haben nach der Shoa gelernt, dass es einen Ausweg gibt. Aber was machen die, die hier bleiben. Das sind dann die Opfer, am Ende geht es gegen alle.
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