Mitterlehner über Kurz: "Er sollte sein Amt ruhen lassen"
Mit scharfer Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz hat sich dessen Vorgänger als ÖVP-Obmann, Reinhold Mitterlehner, zu Wort gemeldet. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung rät Mitterlehner Kurz, "sein Amt ruhen zu lassen, bis die Angelegenheit entschieden ist".
Die Ermittlungen gegen Kurz seien für ihn "der Höhepunkt einer Entwicklung, die sich schon länger abzeichnet. Es fehlt an Respekt gegenüber demokratischen und rechtlichen Institutionen." Überrascht sei er deswegen nicht über die jüngsten Entwicklungen - und es passt für Mitterlehner auch ins Bild, "dass sich der Kanzler mit der Bewertung, er habe ein 'reines Gewissen', gleichermaßen selbst die Absolution erteilt, also jedenfalls im Amt bleiben will".
Freilich könne es "nicht um die Selbsteinschätzung oder Meinung des Kanzlers, sondern nur um objektive Sachverhalte gehen". Diese zu beurteilen, sei "Sache eines Rechtsorgans und nicht Kompetenz eines Politikers".
Den nach wie vor hohen Zuspruch für Kurz in den Umfragen erklärt sich Mitterlehner u. a. damit, dass in einer Pandemie "starke Führungspersönlichkeiten gewünscht" würden. Überdies seien die Medien "nicht zuletzt wegen der vielen Inserate fügsam" - und die Opposition "eher schwach".
Der Ex-VP-Chef sieht aber die Unterstützung für die ÖVP bröckeln; und "auch in der EU, wo sich Kurz nicht nur Freunde gemacht hat, wächst die Skepsis".
Fragen als aufgelegte Bälle
Einmal mehr beklagt Mitterlehner auch die Art und Weise seiner Ablöse an der Parteispitze im Jahr 2017: "Ich fühlte mich hintergangen, weil der Erfolg der damaligen Regierungsarbeit regelrecht unterminiert und Streit von außen hineingetragen wurde. Da hat sich neben Kurz auch der heutige Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka, der derzeit den Untersuchungsausschuss leitet, sehr hervorgetan."
Viele der Fragen in dem Interview sind gewissermaßen aufgelegte Bälle. So etwa die Frage, ob Kurz "ein Spieler" sei. Was Mitterlehner damit beantwortet, dass es Kurz nicht um "inhaltlich-strategische Fragen" gehe, sondern darum, "sich selbst durchzusetzen, auf Umfragen, auf Wählerzustimmung zu schielen".
Und ob sich der Kanzler "verkalkuliert" habe, "als er eine Koalition mit der FPÖ einging"? - "Das Marketing von Türkis-Blau hat anfangs gut funktioniert. Aber der Umgang mit dem Flüchtlingsthema hat die Gesellschaft weiter gespalten; die meisten Reformthemen sind inhaltlich offengeblieben."
Zuletzt stimmt der ehemalige Parteiobmann auch in den Chor jener ein, welche - wie schon seinerzeit unter Wolfgang Schüssel - die Ansicht vertreten, die ÖVP habe ihre Werte und Wurzeln verraten: "Die türkise Politik ist aber inhaltlich anders geworden, die Partei vertritt vorrangig die Besitzenden, sozialer Ausgleich hingegen steht immer weniger auf der Agenda. Das gilt von der Flüchtlingspolitik bis zu den Arbeitslosen. Der christlich-soziale Anspruch scheint gelebte Vergangenheit zu sein."
Kommentare