Experte Koopmans: "Derzeitiges Asylsystem stellt ein Sicherheitsrisiko dar"
Seine Amtszeit als Innenminister neigt sich (vorläufig) dem Ende zu, in etwas mehr als einer Woche wird der Nationalrat gewählt. Trotzdem nahm sich Gerhard Karner (ÖVP) am Mittwoch Zeit für ein Kennenlernen mit Migrationsforscher Ruud Koopmans von der Humboldt-Universität zu Berlin.
Hier der Politiker, dort der Wissenschafter; hier das Machbare, dort das Logische. Wie kommt man da gemeinsam auf einen Nenner? Gerade bei einem so emotionalen Thema wie Migration?
„Die Wissenschaft verlangt, den großen Schritt zu gehen“, sagt Karner im anschließenden Gespräch mit dem KURIER. „Und Aufgabe der Politik ist es, daraus mehrere kleine Schritte zu machen. Bei großen passiert es oft, dass man stolpert und hinfällt.“ Was er an der Wissenschaft schätzt, sei der „Blick über den Tellerrand“. Und damit wären wir schon beim Thema.
Karner will den EU-Asyl- und -Migrationspakt, auf den sich die Mitgliedsstaaten geeinigt haben, um einen aus seiner (und Koopmans) Sicht ganz wesentlichen Punkt ausweiten: die Abschaffung des sogenannten „Verbindungskriteriums“. Dieses besagt, dass Migranten nur in Staaten zurückgeschickt werden können, zu denen sie einen Bezug haben.
Einem Kernstück des EU-Asylpakts, dass Asylverfahren nur noch in einem sicheren Drittstaat durchgeführt werden sollen, stehe dieses Verbindungskriterium im Weg.
"Man braucht ein lückenloses System"
Migrationsforscher Koopmans erklärt, warum: Die EU habe de facto nur drei Länder außerhalb der Tore Europas zur Auswahl – Tunesien, Marokko und die Türkei. Mit anderen Ländern (Libyen oder Belarus) könne man aufgrund der politischen Situation kein Abkommen schließen.
Wenn die EU nun beispielsweise ein Asyllager in Tunesien errichtet, könnten nur jene irregulären Migranten für ihr Verfahren dorthin geschickt werden, die über Tunesien in die EU gekommen sind. „Was dann passiert: Die Menschenschmuggler fahren nicht mehr über Tunesien, sondern verlegen ihre Routen. Das bedeutet für die Menschen längere und gefährlichere Wege – und es sterben noch mehr im Mittelmeer“, erklärt Koopmans.
Deshalb sagt er: „Man braucht ein lückenloses System. Ohne Aufhebung des Verbindungskriteriums geht es nicht.“ Migranten sollten – egal, welchen Weg sie genommen haben – in den jeweiligen Drittstaat gebracht werden können.
Karner ist überzeugt: Wenn es gelingt, Asylverfahren in solche Zentren zu verlegen, würden sich deutlich weniger Menschen auf den Weg machen.
Und was dann? Werden Menschen, bei denen sich nach einem abgeschlossenen Asylverfahren in einem Drittstaat herausstellt, dass sie ein Recht auf Schutz haben, dann nach Österreich geholt? Der Innenminister winkt ab: „Das kommt für mich nicht infrage. Österreich war in den vergangenen Jahren über Gebühr belastet.“
An dieser Stelle schmunzelt der Wissenschafter, und sagt dann: „Ich habe volles Verständnis dafür, wenn viele Länder – nicht nur Österreich –, die großen Belastungen aufgesetzt waren, da zurückhaltend sind. Aber es ist schon wichtig, zu signalisieren, dass die Kontrolle unserer Außengrenzen nicht zum Ziel hat, sich unserer humanitären Verpflichtung zu entziehen.“
Und weiter: „In dem Moment, da es dauerhaft und strukturell gelungen ist, illegale Migration zurückzudrängen, halte ich es für absolut geboten, die frei gewordenen Ressourcen für legale Flüchtlinge einzusetzen.“
„Nein!“, kontert Karner: „Ich wiederhole: Das kommt für Österreich nicht infrage.“
Sicherheitsrisiko
Koopmans wirbt ungeachtet dessen weiter für ein Modell nach Vorbild Australiens: EU-Mitgliedsstaaten könnten legale Flüchtlinge über Kontingente aufnehmen. Das hätte den Vorteil, „dass wir uns aussuchen können, wer zu uns kommt. Das wären dann eher keine alleinstehenden 18-jährigen Männer, sondern ganze Familien, die Schutz brauchen.“
Selbst, wenn die Asylzahlen gleichbleiben würden, wäre die Belastung deutlich geringer, sagt er. Auch was die Themen Integration und Sicherheit betrifft.
Möglich wären dann nämlich auch Sicherheitsüberprüfungen. Jemand, der in seiner Heimat Verbindungen oder auch nur Sympathien für islamistische Bewegungen hat, hätte keine Chance mehr auf Asyl in Europa.
Aktuell leide Europa in vielen Bereichen unter einem „Kontrollverlust“ – deshalb stelle das derzeitige Asylsystem auch ein Sicherheitsrisiko dar und müsse grundlegend geändert werden, sagt Koopmans: „Es kann hereinkommen, wer will, er kann weiterreisen, und selbst, wenn sich herausstellt, dass er kein Recht auf Schutz hat, können wir ihn nicht so einfach abschieben.“
Kontrolle zu erlangen sei auch ein wichtiger Faktor für politische Stabilität. Der Aufstieg des Rechtspopulismus sei zum größten Teil einer misslungenen Migrationspolitik zu verdanken, meint der niederländisch-stämmige Forscher.
Sein Appell an die Politik: „Wir müssen über alle politischen Lager hinweg anerkennen, dass wir ein Problem haben, aufeinander zugehen und über effektive Lösungen sprechen. Politiker werden längerfristig dafür belohnt, dass sie Probleme lösen.“
Ruud Koopmans
(* 1961) ist Sozialwissenschafter und Professor für Migrationsforschung an der Humboldt-Uni zu Berlin. In seinem 2023 veröffentlichtem Buch „Die Asyl-Lotterie: Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg“ plädiert der Niederländer für eine restriktive Einwanderungspolitik, die aber Kontingente für Flüchtlinge vorsieht.
Gerhard Karner
(* 1967) ist seit 2021 Innenministers. Sein Schwerpunkt liegt auf dem Kampf gegen illegale Migration und Schlepperei. Auf EU-Ebene hat er sich für den Asylpakt starkgemacht, der im Mai beschlossen wurde. Kernpunkt des Pakets sind für ihn Verfahren in sicheren Drittstaaten.
"Pragmatismus ist eingekehrt"
In einem früheren Interview hat Koopmans die deutschen Grünen dafür kritisiert, einer pragmatischen Lösung im Weg zu stehen.
Wie ist es dem Innenminister in der auslaufenden türkis-grünen Koalition ergangen? „Ich habe den Eindruck, dass ein großer Pragmatismus eingekehrt ist und wir in vielen Bereichen umsetzen konnten, was uns wichtig ist. Uns ist deutlich mehr gelungen als der Ampelkoalition in Deutschland“, sagt Karner.
Die Tatsache, dass mit Magnus Brunner demnächst ein Österreicher in der EU-Kommission den Asyl-Bereich verantworten soll, ist für Karner ein Zeichen dafür, „dass wir in Österreich viel richtig gemacht haben“.
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