Matzka verteidigt Verfassungsdienst gegen grüne Kritik: "Das System ist gut und richtig"

Die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler hat vergangene Woche im EU-Umweltrat für das neue Renaturierungsgesetz gestimmt - ob sie das durfte oder nicht, das bietet derzeit Stoff für Diskussionen. Der Verfassungsdienst im Kanzleramt sagte ganz klar: Nein, denn es gelte ein Einvernehmen mit dem betroffenen ÖVP-Landwirtschaftsminister herzustellen. Auch das Veto der Landeshauptleute sei noch aufrecht gewesen - da sagt nicht nur der Verfassungsdienst, sondern auch Experten wie Walter Obwexer und Peter Bußjäger.
Diese Einschätzung - und die Positionierung des Verfassungsdienstes ganz generell - zieht Gewessler jetzt offen in Zweifel: Am Samstag sagte sie im Ö1-Journal, dass im Verfassungsdienst zwar "viele hochkarätige Juristen" arbeiten, "aber sie arbeiten dort nicht unabhängig". Bei deren Rechtsinterpretation komme oft heraus, "was der ÖVP passt". Gewessler wünscht sich deshalb für die Zukunft einen "weisungsfreien" Rechtsdienst.
Aber wie läuft die Arbeit im Verfassungsdienst wirklich ab? Der KURIER hat bei Manfred Matzka nachgefragt. Matzka hat acht Jahre lang im Verfassungsdienst gearbeitet (1980 bis 1987) und war dann 16 Jahre lang Chef der Präsidialsektion im Kanzleramt (1999 bis 2015). Er kennt die Abläufe also in- und auswendig.
Über die Darstellung Gewesslers habe er schmunzeln müssen, sagt Matzka: Die grüne Klimaministerin wisse offenbar nicht, wie der Verfassungsdienst arbeitet.
Er hilft aber gerne weiter: "Dort arbeitet eine handverlesene Truppe von sehr guten Juristen, viele davon haben eine Vorkarriere als Uni-Assistenten, haben publiziert und sind Spezialisten in ihren jeweiligen Bereichen." Dass ihre Stellungnahmen dem Wunsch des jeweiligen Kanzlers entsprechen würden, das weist Matzka klar zurück: "Schon allein deshalb, weil unter den Kollegen eine sehr intensive Gesprächskultur herrscht. Wenn einer einen Blödsinn sagt, protestieren die anderen sofort."
Er erinnere sich jedenfalls nicht, dass in seiner Zeit im Verfassungsdienst oder im Kanzleramt jemals eine inhaltliche Weisung gegeben worden wäre.
Keine Stellungnahme
Hinzu kommt: Der Job im Verfassungsdienst sei für viele der dort tätigen Juristen nur eine Zwischenstation, und parteipolitisch eingefärbte Stellungnahmen kämen in Fachkreisen überhaupt nicht gut an - im Gegenteil. Matzka ist überzeugt: "Wenn der Verfassungsdienst etwas vorlegt, dann hat das Hand und Fuß."
Wenn er etwas vorlegt. Matzka erinnert sich, dass der Verfassungsdienst bei heiklen politischen Themen, in denen der Kanzler ein bestimmtes Ziel verfolgt hat, eben keine Stellungnahme abgegeben hat. Nach der Devise: Lieber nichts sagen als etwas "Falsches" sagen müssen.
So kann es durchaus vorkommen, schildert der Ex-Spitzenbeamte, dass sich der Verfassungsdienst bei Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof einer Stellungnahme enthält, ebenso bei Vorhaben der Bundesländer oder bei Anfragen aus dem Parlament.
Der Verfassungsdienst ist eine Sektion im Bundeskanzleramt, ihr Leiter ist seit 1. Mai 2020 Albert Posch.
Die Verankerung im Kanzleramt und die Aufgaben sind historisch bedingt: Schon zu Zeiten der Monarchie war das Ministerratspräsidium für Verfassungsfragen und Verfassungslegistik zuständig, später war es die Staatskanzlei und schließlich das Bundeskanzleramt.
Seit 1923 umfassen die Aufgaben des Bundeskanzlers unter anderem die verfassungsgemäße Führung der Regierungsgeschäfte, Stellungnahmen zur Landesgesetzgebung und die Vorbereitung verfassungsgesetzlicher Vorlagen der Bundesregierung.
Bis heute gilt: Der Verfassungsdienst - kurz: VD - steht als Berater in verfassungsrechtlichen Materien grundsätzlich allen Ministerien zur Verfügung. Ein Spezialgebiet ist etwa die Frage nach den Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern.
Eine zweite wichtige Aufgabe ist die Vertretung der Bundesregierung bei Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH). Wenn ein geltendes Gesetz vor dem Höchstgericht angefochten wird, tritt der VD quasi in der Rolle des "Anwalts" auf.
Drittens vertritt er die Republik auch bei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
Die Rechtsmeinung des VD ist insofern Rechtsmeinung der gesamten Bundesregierung - unabhängig von den Parteifarben.
"Beamte entscheiden anhand der Gesetze"
Den Verfassungsdienst als Rechtsdienst weisungsfrei zu stellen, wie Gewessler gefordert hat, hält Matzka nicht für notwendig. "Jedes Ministerium ist hierarchisch aufgebaut, ebenso das Kanzleramt. Das ist gut so. Die dort tätigen Beamten entscheiden anhand der Gesetze. Für die Rechtsprüfung sind dann ohnehin die unabhängigen Gerichte da." Das System sei, so wie es ist, "gut und richtig", betont Matzka im KURIER-Gespräch.
Im Fall Gewessler liegt eine Anzeige der ÖVP wegen Amtsmissbrauchs vor. Das Kanzleramt behält sich weitere Maßnahmen wie eine Ministeranklage vor.
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