Martin Kocher: Wofür der neue Arbeitsminister steht
"Spontanentscheidungen sind nicht notwendigerweise schlechter als Entscheidungen, über die man lange nachgedacht hat“, sagt Verhaltensökonom Martin Kocher noch 2019 in einem KURIER-Interview. Samstagnacht tritt der 47-Jährige den Beweis an: Er willigt nach kurzer Rücksprache mit seiner Frau ein, Christine Aschbacher an der Spitze des Arbeitsministeriums zu folgen (die Ministerin ist wenige Stunden zuvor ob Plagiatsvorwürfen zurückgetreten).
"Wir werden gleich am Nachmittag losstarten“, lässt Kocher Sonntagmittag bei seiner Vorstellung im Bundeskanzleramt wissen. 24 Stunden später ist das Tempo in der Hofburg ähnlich hoch: Binnen Minuten ist der Salzburger als Arbeitsminister angelobt – mit Maske und bedacht mit Superlativen vom Bundespräsidenten.
Für Alexander Van der Bellen, selbst Ex-Professor für Volkswirtschaftslehre, war Kocher als Präsident des Fiskalrats bis dato "bestens über das Budget informiert“ und als Vorstand des Instituts für Höhere Studien (IHS) an der Spitze eines "der renommiertesten“ Wirtschaftsforschungsinstitute. Der Professor für Verhaltensökonomie habe zudem "beeindruckende wissenschaftliche Stationen hinter sich“.
Es wird zäh
Beste Voraussetzungen, um in der „größten Wirtschafts- und Beschäftigungskrise seit dem II. Weltkrieg“ zu reüssieren, bringe er aufgrund seiner Passion mit: Marathon und Bergsteigen setzen, so Van der Bellen, „Durchhaltefähigkeit und Zähigkeit voraus“.
Und zäh wird es jedenfalls. Angesichts von 521.000 Arbeitslosen und 417.000 Menschen, die in Kurzarbeit sind, braucht der parteilose Expertenminister starke politische Mitstreiter. Nebst Wirtschafts- und Finanzministerium hängt der Erfolg seines Tuns von der Zusammenarbeit mit Gewerkschaft, Arbeiter- und Wirtschaftskammer ab.
Dass es Kocher gelingen könnte, die Brücke zwischen den verschiedenen Interessenvertretern und den politischen Lagern zu schlagen, legt sein bisheriges Tun nahe: Ideologisch lässt sich Kocher nicht ganz klar verorten.
Mit parteipolitischen Äußerungen hielt er sich zurück und blieb – bewusst, wie mancher sagt – in seinen Aussagen stets auf der wissenschaftlichen Ebene.
Traditionell ÖVP-nahe
Dass er nun für die Türkisen in die Regierung eintritt, überrascht dennoch nicht: Das IHS gilt traditionell als ÖVP-nahe, während dem zweiten großen Wirtschaftsforschungsinstitut, dem WIFO, eine Affinität zur SPÖ attestiert wird. Auch seinen Job als Chef des Fiskalrats hat Kocher der ÖVP zu verdanken. Beim jüngsten Budgethearing trat er für die Partei als Experte im Parlament auf.
Bei Themen wie der Vermögensteuer oder der Frage nach einem ausgeglichenen Haushalt vertritt Kocher klassische ÖVP-Positionen. Zudem spricht er sich für eine Senkung der Abgabenquote und eine Pensionsreform aus – mit höherem Antrittsalter und weniger staatlichen Zuschüssen und Umverteilung.
„Qualifikation auf allen Ebenen muss zum zentralen Motto der Arbeitsmarktpolitik werden. Aber sie wirkt natürlich nur mittelfristig. Kurzfristig werden wir auf klassische aktive Arbeitsmarktpolitik zurückgreifen müssen.“
KURIER, 1. 1. 2021
„Es gibt auf dem Weg zum Aufschwung auch Stolpersteine. Schaffen wir es, die Unternehmensinsolvenzen im Rahmen zu halten? Kann die Arbeitslosigkeit reduziert werden? Wie gelingt es, das Budgetdefizit 2022 wieder auf ein normales Maß zurückzufahren? Haben Politik und Verwaltung die Kraft, die nötigen strukturellen Anpassungen nach der Kraftanstrengung der Pandemiebekämpfung rasch umzusetzen? Richtige wirtschaftspolitische Antworten auf diese Fragen würden Sicherheit geben und den heimischen Konsum ankurbeln.“ ebenda
„Bei den Tests braucht’s mehr Anreize, bei der Impfung geht’s um ehrliche Kommunikation.“
Puls 24, 16. 12. 2020
„Die tiefste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg muss auch zu sozialen Verwerfungen führen.“
1. 10. 2020
„Es wird eine Pensionsreform geben müssen. Irgendwann werden wir sehen, dass die Demografie nicht mehr reichen wird. Dann ist es sehr spät für eine Reform.“
zur Erhöhung der Pensionen, 30. 9. 2020
„Eine Staatsbeteiligung ist eine Option, die man nicht ausschließen sollte.“
anlässlich des AUA-Hilfspakets, 29. 4. 2020
Dass er dennoch als Verbinder zu Grün und zur Opposition wirken könnte, liegt aber nicht nur an seiner umgänglichen Art: Immer wieder sprach sich Kocher für höhere Unterstützungen für Schwächere in der Gesellschaft aus, etwa für Alleinerzieherinnen. Auch eine Bepreisung von CO2 steht auf seiner Wunschliste.
Eine seiner Forderungen an die Politik könnte Kocher nun jedenfalls selbst in seinem Ressort umsetzen: Er plädierte dafür, politische Maßnahmen einer regelmäßigen empirischen Überprüfung zu unterziehen. Seine früheren Kollegen in den Wirtschaftsforschungsinstituten übernehmen die Aufgabe sicher gerne.
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