Mahrer zu Energiewende: "Dürfen uns nicht durch verlogene Debatte schummeln"

WKÖ-Chef Harald Mahrer
WKÖ-Präsident Harald Mahrer über staatliche Eingriffe, warum er einen Alpe-Adria-Infrastruktur-Gipfel initiieren will und der Herbst anstrengend wird.

KURIER: Ein WKÖ-Slogan lautete: "Geht es der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!“ Wie geht es uns?

Harald Mahrer: Relativ gut nach der Covid-Krise. Die Erholungseffekte stellen sich dort ein, wo sie erwartbar waren. Die Aussicht ist aber getrübt, weil der Krieg in Verbindung mit den Problemen in den Wertschöpfungsketten das Wachstum weltweit extrem dämpft. Die hohen Energiepreise und die Verwerfungen auf den Rohstoffmärkten werfen ihre Schatten voraus. Daher ist eher von einer schlechten wirtschaftlichen Entwicklung auszugehen.

Woran merkt Harald Mahrer, dass das Leben teurer geworden ist?

Wie viele Österreicher und Österreicher jeden Tag, wenn er die Preise bei der Tankstelle sieht und sich dann als ehemaliges, für Energie verantwortliches Regierungsmitglied ärgert, dass man nicht die Reserven im Fertigprodukt Bereich freigibt. Das hätte man schon längst tun können und damit den Preis um mindestens 20 Eurocent bei Diesel wie Benzin runterbringen würde.

Sie haben von der Regierung einen Notfallplan für Gas gefordert. Sind Sie mit der Novelle zum Energielenkungsgesetz zufrieden?

Das ist nur ein Baustein und der Versuch, die Gas-Bevorratung zu verbessern und betrifft unter anderem den Speicher in Haidach, der primär für das deutsche Netz gedacht war. Wir haben dort ein gemeinsames Interesse mit der bayerischen Wirtschaft, mit der wir eng über Lieferketten verbunden sind. Die Energieversorgung grenzüberschreitend zu denken und das Prinzip "use it or loose it", "verwenden oder verlieren", sind wichtige Bausteine, aber es sind kleine. Die großen Bausteine sind: alternative Quellen erschließen, Infrastruktur umbauen. Es braucht einen Masterplan.

Das kann kein Land allein, sondern muss im europäischen Kanon passieren.

Pro Primär-Energieträger sind das unterschiedliche Fragen. Gas wird beispielsweise nicht nur für  das Heizen oder industrielle Prozesse genutzt, sondern auch für die Stromproduktion oder die Stabilisierung des Stromnetzes.. Auf der Einkaufsebene ist es deshalb eine europäische Frage beziehungsweise eine der Kooperation mehrerer Länder. Eine Alpe-Adria-Pipeline betrifft eben nicht nur uns, sondern auch die Länder, die bislang mit russischem Gas durch Österreich versorgt wurden. Deshalb braucht es ein gemeinsames Verständnis und einen Plan von Italien, Österreich und den Tschechen, Slowaken und Ungarn.

Sie sehen also die EU und das Ressort von Leonore Gewessler gefordert?

Ja, das können nicht einzelne österreichische Betriebe machen. Wir haben beim Ministerium angeregt, die Initiative zu ergreifen, weil es mehrere Varianten gibt. Die öffentliche Hand sagt, es ist so wichtig, wir treiben das voran und zahlen es auch. Zweite Variante, die öffentliche Hand sagt, wir machen es mit der Wirtschaft gemeinsam mittels PPP-Modellen. Oder sie sagt, wir stellen die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Verfügung und die Wirtschaft bezahlt selbst. Alles ist möglich, man muss nur darüber reden. Ist in einem koordinierten Prozess bislang etwas passiert? Nein!

Warum ergreifen nicht Sie die Initiative?

Die Italiener sind auf uns zugekommen und haben Kontakt mit dem Energieministerium aufgenommen, nur nicht viel gehört. Wir haben uns letzten Freitag mit Wirtschaftsvertretern im Alpe-Adria-Raum ausgetauscht, weil wir alle hohe Energiepreisen, keine Versorgungssicherheit und ein Bedrohungsszenario haben. Wir überlegen deshalb, einen Alpe Adria-Infrastruktur-Gipfel zu initiieren.

Wie soll die Energiewende gelingen, wenn beispielsweise Niederösterreichs Landeshauptfrau sagt, sie will keine neuen Windräder?

Wir brauchen eine ehrliche, tabulose Debatte und die wird nicht geführt. Wenn ich bestimmte Energieträger wie Fossile nicht mehr will, dann muss ich ehrlich sagen: Was ist technisch machbar, welche Kapazitäten sind aus Sonne, Wasser und Wind zu schöpfen und wo wird wann was errichtet. Oder ich importiere den Strom, kann mich aber dabei nicht darauf verlassen, dass er nicht aus dem tschechischen oder slowakischen AKW kommt, weil die Länder selbst ihren Energiemix verändern werden müssen.

Und dabei läuft uns die Zeit davon …

Wir dürfen uns nicht durch eine verlogene Debatte schummeln, sondern müssen auch diskutieren, welche Brückentechnologien wir bei der Energiewende schaffen können. Damit sind wir wieder beim Flüssiggas und gemeinsamen Terminals im Alpe-Adria-Raum, wenn wir kein russisches Gas mehr wollen. Die Deutschen handeln sehr pragmatisch und haben schon eine Grundsteinlegung für ein LNG-Terminal in Brunsbüttel geschaffen.

Fürchten Sie um die Wettbewerbsfähigkeit, wenn Österreich in dem Tempo weitermacht?

Ich schaue mir jeden Tag in der Früh die Gaspreise an und vergleiche, wo österreichische Betriebe produzieren. Das Voest-Werk in Texas kann zu einem Spotmarktpreis von 20 Euro produzieren, die Voest in Linz bei knapp unter 100 Euro. Wir sprechen also von einem Faktor 5. Mehr muss ich zur Wettbewerbsfähigkeit nicht sagen! Aber es wird darüber nicht gesprochen.

Was haben Sie sich dabei gedacht, als der Kanzler eine Gewinnabschöpfung beim Verbund vorgeschlagen hat?

Man muss eingreifen, wenn der Markt nicht funktioniert. Das muss allerdings auf EU-Ebene und nicht durch einzelne Staaten geregelt werden. Es ist legitim zu sagen, dass es in einer außergewöhnlichen Situation nicht besondere Teuerungseffekte geben darf. Wir sind nach Corona und jetzt im Ukraine-Krieg in einer Super-Ausnahmesituation, wir sind im Sturm auf hoher See und da brauchen wir besondere Maßnahmen, die auch wieder zurückgenommen werden, wenn das Wetter schöner wird.

Ist der 150 Euro Energiekosten-Bonus treffsicher oder firmiert er unter „Gießkannen-Prinzip“?

Österreich hat im Verhältnis zu anderen Ländern sehr schnell reagiert mit den Paketen über vier Milliarden Euro, aber es wird nicht reichen, um die Teuerung zu dämpfen. Vollständig ausgleichen wird man sie aus nationalstaatlicher Sicht nie können.

Heißt das: Noch ein Anti-Teuerungspaket, mehr Boni oder die Abschaffung der kalten Progression?

Wir sind der Meinung, dass man bei der kalten Progression für alle etwas machen muss. Bei den Lohn- und Einkommenssteuerstufen könnte man noch etwas beim Tarif machen. Wir brauchen jedenfalls eine lohn- und abgabensteuerfreie Prämie, die einmal pro Jahr bis zu 3.000 Euro vorsieht. Das würde bei den KV-Verhandlungen, die im Herbst sicher anstrengend werden, sehr helfen.

Mahrer zu Energiewende: "Dürfen uns nicht durch verlogene Debatte schummeln"

Mahrer mit Sozialpartner - ÖGB-Chef Katzian, WKÖ-Generalsekretär Kopf und AK-Präsidentin Anderl 

Halten Sie KV-Forderungen von 9 % und mehr für realistisch angesichts von derzeit 7,2% Inflation?

Ich habe es bisher immer so gehalten, Prozentsätze nicht zu kommentieren und dabei bleibe ich. Der Staat wird allein durch die kalte Progression 2022/23 fünf Milliarden Euro verdienen. Es gibt also keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, den Menschen dieses Geld zurückzugeben. Ich gehe auch davon aus, dass der Herr Finanzminister die kalte Progression und das Prämienmodell noch vor dem Herbst angehen wird.

Also gibt es keinen heißen Herbst?

Die KV-Verhandlungen werden trotzdem anstrengend werden, weil berechtigterweise die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sagen werden. "Die Teuerung schlägt sich unabhängig vom Effekt der kalten Progression trotzdem auf das Haushaltseinkommen durch." Und die Arbeitgeber werden richtigerweise sagen: "Wir haben ja massive Teuerung im Energie-, Rohstoffbereich und bei den Kosten." Wir mischen uns als Sozialpartnerspitzen nicht ein und haben großes Zutrauen, dass die Beteiligten genau wissen, was die Branchen brauchen.

Die Regierung sieht eine Prämie bei der Entlohnung von Pflegeberufen vor. Greift der Staat nicht mittlerweile zu viel in die Wirtschaft ein?

Wenn man Ordnungspolitiker ist, möchte, dass der Staat einen Rahmen vorgibt, dann ist es nur logisch, dass der Rahmen angepasst wird, wenn die Marktteilnehmer sehen, dass der Markt nicht mehr funktioniert. Man kann mit Zwangsvorschriften operieren oder eben den Rahmen ändern, Anreize schaffen, Berufsbilder attraktiveren. Dazu kommt, dass viele Pflegeeinrichtungen öffentliche Träger haben. Löst das einen Druck auf Private aus? Nein, ich glaube nicht.

Warum glauben Sie das nicht?

Schauen Sie sich das Thema Kinderbetreuung und Kindergarten an, wo jetzt heimlich, still und leise über eine 15a-Vereinbarung verhandelt worden ist. Da hat man sich ja auch lange Zeit geweigert und sich gefragt, ob man genug zahlt. Nein, tut man nicht, weil die frühkindliche Betreuung mehr und mehr zur frühkindlichen Bildung wird. Und wenn man möchte, dass ein für die Gesamtgesellschaft wichtiger Bereich sich infrastrukturell gut entwickelt, dann muss man bereit sein, dort mehr zu investieren. Und so sehe ich das auch bei der Pflege.

Die 24-Stunden-Pflegekräfte erhalten diese Prämie nicht, sind aber in der WKO angesiedelt. Sprechen Sie sich für eine Prämie dieser Fachkräfte aus?

Man kann nicht überall dieselbe Prämie für jeden zahlen, mit dem Rasenmäher über alle Bereiche fahren, weil ja die Aufgaben unterschiedliche sind. Ich kann aber sehr wohl seitens der öffentlichen Hand Zuschüsse geben, damit sich eine gewisse Vergleichbarkeit herstellen lässt.

Wir gehen in den dritten Corona-Sommer und Herbst. Gibt es heuer Ihres Erachtens mehr Planungssicherheit seitens des Gesundheitsministers?

Ich erwarte mir, dass spätestens Anfang bis Mitte Juni der Plan für den Herbst auf dem Tisch liegt, wie Risikogruppen sich schützen können, wann sich wer wie impfen kann. Würde man das nicht machen, hätte man die Lehren von zwei Sommern nicht gezogen. Ich bin dafür, dass die Maskenpflicht im Lebensmittelhandel fällt, weil ich es nicht mehr für zumutbar und verhältnismäßig erachte, während es Großveranstaltungen ohne Masken gibt.

Und was ist mit den vulnerablen Gruppen im Supermarkt?

Ich bin dafür, alle eigenverantwortlich handeln, auf sich schauen und wo notwendig und sinnvoll die Masken tragen. Ich finde es aber nicht mehr zumutbar, wenn das jeder machen muss. Und ich finde es noch bedenklicher, wenn die Direktorin für die öffentliche Gesundheit sagt, es gehe darum, die Menschen sozial an die Masken zu gewöhnen. Wir sind kein Umerziehungslager, sondern ein liberale Demokratie.

Wird es im Herbst 2022 einen Lockdown geben?

Wir würden ihn gerne um jeden Preis vermeiden

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