Eine "Hetz" bei der "Reibpartie"
Tausende Wiener stehen auf der Straße, gestikulieren erregt, manche kreischen schrill und haben Spaß an dem Anblick: Vor ihnen knien Juden und schrubben mit Bürste und ätzender Lauge den Gehsteig. Ihre Gesichtszüge sind angespannt, sie fühlen sich erniedrigt und starren auf den Boden. Es handelt sich dabei um "Reibpartien" – eine Erfindung der Wiener Antisemiten.
Diese beschämenden Szenen ereignen sich am 12. März 1938 und wiederholen sich in den Wochen danach. An diesem 12. März frühmorgens überschreiten Soldaten der deutschen Wehrmacht die Grenze zwischen dem nationalsozialistischen Reich und Österreich, ein Einmarsch von langer Hand geplant.
Die Macht der Nazis
Am 13. März wird der "Anschluss" mit dem "Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" proklamiert. Am 15. März fährt Adolf Hitler im offenen Wagen in Wien ein und wird von jubelnden Menschenmassen begrüßt. Die Begeisterung der großen Mehrheit der Österreicher über den "Anschluss" zeigt sich in den Bildern von Hitlers propagandistischer Rede am Heldenplatz.
Am 10. April 1938 stimmten 99,7 Prozent der Österreicher für den "Anschluss".
Gedenken
Beckermann schafft es, dem 1988 von Alfred Hrdlicka geschaffenen Mahnmal gegen Krieg und Faschismus eine neue Bedeutung zu geben. Unter dem Titel "The Missing Image" zeigt sie bewegte Bilder des einzigen bisher bekannten Filmclips einer "Reibpartie", der 2013 im österreichischen Filmmuseum gefunden wurde. Die bearbeiteten Bilder werden als Loop rund um die Uhr in einer Zweikanal-Projektion auf LED-Screens gespielt. Die Töne wurden von Olga Neuwirth erzeugt.
Der Künstlerin gelingt damit etwas historisch Neues: Passanten, die Juden auslachen und "a Hetz" haben, werden als Täter gezeigt, die ein Machtgefühl spüren, wenn sie Menschen kriechend am Boden sehen. Zum anderen ist ihre Arbeit eine Kritik an der bisherigen Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus.
Tipp: Eröffnung der Installation "The Missing Image", Donnerstag, 12. März, 17.30 Uhr, Albertinaplatz, 1010 Wien. Ansprache von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny.
Ziel der Ausstellung Meine Intention ist es, das Denkmal von Alfred Hrdlicka durch fehlende Bilder zu ergänzen, nämlich die Bilder der Täter, der Zuschauer, der Gaffer, der Grinser und der Mitläufer. Die Mehrheit der Gesellschaft hat dazu gehört.
Kritik an Hrdlicka-Denkmal Hrdlicka hat seine Skulpturen nach der Waldheim-Affäre 1988 aufgestellt. Zu sehen ist unter anderem ein straßenwaschender Jude, der am Bauch liegt. Diese Figur ist völlig misslungen, es ist eine neue Demütigung der Opfer, sie so darzustellen. Das Denkmal gehört zur unbewältigten Vergangenheit des Landes.
Motive der Mitläufer Wir wissen es alle nicht, was diese Menschen bewegt hat. Das Verhalten und die Motive der Mitläufer, der Gaffer, bleiben rätselhaft. Österreichs Geschichtsschreibung hat sich nicht umfassend mit diesen Menschen beschäftigt, die zugeschaut haben, während andere erniedrigt wurden.
Bezug zur Gegenwart Mit den bewegten Bildern soll ein unmittelbaren Bezug zur Aktualität hergestellt werden. Wenn man diese Bilder sieht, dann versteht man, was es bedeutet, wenn Menschen gedemütigt werden. Das passiert auch heute. Mir geht es um die Gegenwart, die Erniedrigung und Ausgrenzung von Menschen. Es geht darum, die Bilder von damals mit heutigen Entwicklungen zu assoziieren.
Zum Beispiel: die Wortschöpfung ,integrationsunwillig‘. So bezeichnete Schüler als Strafe oder Erziehungsmethode die Tafel waschen zu lassen, ist Mobbing.
Johanna Cupal gebar in der Haft vor ihrer Hinrichtung eine Tochter. Das Schicksal des Kindes ist ungewiss. "Feindbegünstigung" hatte ihr die Gestapo vorgeworfen. Cupal und ein Bruder wurden im Hinrichtungsraum des Wiener Landesgerichts ermordet.
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