Eine "Hetz" bei der "Reibpartie"

Das Bild des straßenwaschenden Juden und der lachenden Zuschauer sind in der Installation der Filmemacherin Ruth Beckermann als bewegte Bilder rund um die Uhr zu sehen
Eine Installation zeigt neue Bilder über Machtübernahme der Nazis und die Erniedrigung der Juden.

Tausende Wiener stehen auf der Straße, gestikulieren erregt, manche kreischen schrill und haben Spaß an dem Anblick: Vor ihnen knien Juden und schrubben mit Bürste und ätzender Lauge den Gehsteig. Ihre Gesichtszüge sind angespannt, sie fühlen sich erniedrigt und starren auf den Boden. Es handelt sich dabei um "Reibpartien" – eine Erfindung der Wiener Antisemiten.

Diese beschämenden Szenen ereignen sich am 12. März 1938 und wiederholen sich in den Wochen danach. An diesem 12. März frühmorgens überschreiten Soldaten der deutschen Wehrmacht die Grenze zwischen dem nationalsozialistischen Reich und Österreich, ein Einmarsch von langer Hand geplant.

Die Macht der Nazis

Eine "Hetz" bei der "Reibpartie"
Standbild aus dem Film
Am Abend zuvor, dem 11. März, teilte der österreichische Bundeskanzler dem Volk in einer Radio-Ansprache mit, dass das Ringen um die Unabhängigkeit vorbei sei. "Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen." Die für den 13. März angesetzte Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs wird auf Druck Berlins hin verschoben. Schuschnigg muss zurücktreten, sein Amt übernimmt der Nazi-Innenminister Arthur Seyß-Inquart.

Am 13. März wird der "Anschluss" mit dem "Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" proklamiert. Am 15. März fährt Adolf Hitler im offenen Wagen in Wien ein und wird von jubelnden Menschenmassen begrüßt. Die Begeisterung der großen Mehrheit der Österreicher über den "Anschluss" zeigt sich in den Bildern von Hitlers propagandistischer Rede am Heldenplatz.

Am 10. April 1938 stimmten 99,7 Prozent der Österreicher für den "Anschluss".

Gedenken

Eine "Hetz" bei der "Reibpartie"
Ruth Beckermann beim Aufbau einer Video-Installation am Albertinaplatz am 09.03.2015 in Wien
Im politischen Kalender ist der "Anschluss" heute kein offizieller Gedenktag, aber durch öffentliche Diskussionen und Veranstaltungen immer präsent. In diesem Jahr gibt es ein besonderes Ereignis: Ab 12. März ist eine Installation der international bekannten Filmemacherin, Autorin und Wiener Intellektuellen Ruth Beckermann am Albertinaplatz in der Wiener Innenstadt zu sehen.

Beckermann schafft es, dem 1988 von Alfred Hrdlicka geschaffenen Mahnmal gegen Krieg und Faschismus eine neue Bedeutung zu geben. Unter dem Titel "The Missing Image" zeigt sie bewegte Bilder des einzigen bisher bekannten Filmclips einer "Reibpartie", der 2013 im österreichischen Filmmuseum gefunden wurde. Die bearbeiteten Bilder werden als Loop rund um die Uhr in einer Zweikanal-Projektion auf LED-Screens gespielt. Die Töne wurden von Olga Neuwirth erzeugt.

Der Künstlerin gelingt damit etwas historisch Neues: Passanten, die Juden auslachen und "a Hetz" haben, werden als Täter gezeigt, die ein Machtgefühl spüren, wenn sie Menschen kriechend am Boden sehen. Zum anderen ist ihre Arbeit eine Kritik an der bisherigen Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus.

Tipp: Eröffnung der Installation "The Missing Image", Donnerstag, 12. März, 17.30 Uhr, Albertinaplatz, 1010 Wien. Ansprache von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny.

Ziel der Ausstellung Meine Intention ist es, das Denkmal von Alfred Hrdlicka durch fehlende Bilder zu ergänzen, nämlich die Bilder der Täter, der Zuschauer, der Gaffer, der Grinser und der Mitläufer. Die Mehrheit der Gesellschaft hat dazu gehört.

Kritik an Hrdlicka-Denkmal Hrdlicka hat seine Skulpturen nach der Waldheim-Affäre 1988 aufgestellt. Zu sehen ist unter anderem ein straßenwaschender Jude, der am Bauch liegt. Diese Figur ist völlig misslungen, es ist eine neue Demütigung der Opfer, sie so darzustellen. Das Denkmal gehört zur unbewältigten Vergangenheit des Landes.

Motive der Mitläufer Wir wissen es alle nicht, was diese Menschen bewegt hat. Das Verhalten und die Motive der Mitläufer, der Gaffer, bleiben rätselhaft. Österreichs Geschichtsschreibung hat sich nicht umfassend mit diesen Menschen beschäftigt, die zugeschaut haben, während andere erniedrigt wurden.

Bezug zur Gegenwart Mit den bewegten Bildern soll ein unmittelbaren Bezug zur Aktualität hergestellt werden. Wenn man diese Bilder sieht, dann versteht man, was es bedeutet, wenn Menschen gedemütigt werden. Das passiert auch heute. Mir geht es um die Gegenwart, die Erniedrigung und Ausgrenzung von Menschen. Es geht darum, die Bilder von damals mit heutigen Entwicklungen zu assoziieren.

Zum Beispiel: die Wortschöpfung ,integrationsunwillig‘. So bezeichnete Schüler als Strafe oder Erziehungsmethode die Tafel waschen zu lassen, ist Mobbing.

Johanna Cupal gebar in der Haft vor ihrer Hinrichtung eine Tochter. Das Schicksal des Kindes ist ungewiss. "Feindbegünstigung" hatte ihr die Gestapo vorgeworfen. Cupal und ein Bruder wurden im Hinrichtungsraum des Wiener Landesgerichts ermordet.

Eine "Hetz" bei der "Reibpartie"
Johanna Cupal, NS-Opfer
An diesem Ort laden am Mittwoch (ab 10.30 Uhr) die Arbeitsgemeinschaft der NS-Opfer-Verbände, das Dokumentationsarchiv und Schüler anlässlich der Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland vom 11. auf den 12. März 1938 zur Gedenkstunde. Weitere Gedenkorte: Die Gedenktafel Amtshaus Floridsdorf (9 Uhr) und die einstige Gestapo-Zentrale (Salztorgasse 6, 12 Uhr). Infos zu den Cupals und NS-Opfern sind auf www.doew.at zu finden.

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