Van der Bellens Antrittsrede: "Angst darf nicht das Bild unserer Zukunft diktieren"

Van der Bellens Antrittsrede: "Angst darf nicht das Bild unserer Zukunft diktieren"
Auf den Tag genau vor sechs Jahren war Van der Bellen zum ersten Mal angelobt worden. In seiner Rede zur zweiten Amtszeit sagte er: "Jeder von uns zeichnet das Bild unserer Zukunft mit."

Heute wurde Bundespräsident Alexander Van der Bellen von der Bundesversammlung, dem gemeinsamen Gremium von National- und Bundesrat, in seine zweite Amtszeit als Bundespräsident geleitet. 

Der mittlerweile 79-jährige hatte sich bei der Wahl am 17. Oktober 2022 bereits in der ersten Runde mit 56,7 Prozent der Stimmen durchgesetzt. Er wurde damit für weitere sechs Jahre in die Hofburg gewählt.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka erklärt die Bundesversammlung um 10.05 Uhr für eröffnet: Van der Bellen tritt nach vorne, verbeugt sich mit einer Hand am Herzen in die Runde der Abgeordneten und Gäste, hinter ihm sitzt die Regierungsriege mit Kanzler Karl Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler in der Mitte. 

Van der Bellens Antrittsrede: "Angst darf nicht das Bild unserer Zukunft diktieren"

Alt-Präsident Heinz Fischer und die ehemalige Kanzlerin Brigitte Bierlein sind unter den Gästen, Sobotka grüßt auch die Mitglieder des europäischen Parlaments, Repräsentanten der Bundesländer und Gemeinden sowie ehemalige Spitzenpolitiker und Kirchenvertreter, die gekommen sind, um der Angelobung des Bundespräsidenten beizuwohnen. Die musikalische Begleitung kommt von Studierenden der Universität für Musik und darstellende Kunst.

Van der Bellens Antrittsrede: "Angst darf nicht das Bild unserer Zukunft diktieren"

Schließlich stehen alle auf, Van der Bellen spricht seine Gelöbnisformel: "Ich gelobe, dass ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde." Wie schon vor sechs Jahren verzichtet Van der Bellen auf den möglichen religiösen Zusatz.

Um 10.10 Uhr ist er offiziell als Staatsoberhaupt angelobt und wird mit stehenden Ovationen gefeiert.

Einzig von den Freiheitlichen gibt es nur einen sehr kurzen Beifall, was wohl unter anderem einem Interview des Präsidenten geschuldet ist, in dem er die Angelobung eines FPÖ-Kanzlers zumindest in Zweifel zog.

"Hüter der Verfassung"

Auf den Tag genau vor sechs Jahren hat Van der Bellen zum ersten Mal seine Gelöbnisformel gesprochen. Damals sprach er sich für Zuversicht und Zusammenhalt aus - seine Rede habe an Aktualität nichts verloren, sagt Nationalpräsident Sobotka angesichts der aktuellen "multiplen Krisen" in seiner Rede. 

Auch Van der Bellen als Person sei mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert gewesen (Stichwort Ibiza). "Auf der festen Grundlage unserer Verfassung, die Sie mehrmals apostrophierten, und mit dem Attribut der Schönheit versahen, haben Sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, Stabilität in unserem Heimatland zu gewährleisten", lobt er ihn.

Das Amt des Bundespräsidenten sei "von zentraler Bedeutung", er vertritt das Land nach außen und wirkt verbindend nach innen. Er sei der "Wahrer der rechtsstaatlichen Verfahren", der "Hüter der Verfassung", so Sobotka, der auch vor Gefahren für die Demokratie warnt. Auf diese müsse es klare Antworten geben: "Sehr geehrter Herr Bundespräsident, seien Sie uns auch darin Leitbild und Vertrauensgeber."

Nach ihm spricht der Präsident des Bundesrates, dann ist Van der Bellen selbst am Wort: Eingangs bedankt er sich bei jenen, die ihn im Oktober gewählt haben, sein Team und seiner Ehefrau Doris Schmidauer: "Ohne deine Kraft und Inspiration stünde ich wahrscheinlich nicht hier", sagt er.

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"Alles außer Hoffnung"

"Da stehe ich nun, in diesem neu erstrahlenden Haus der Demokratie, und Sie erwarten eine mehr oder weniger amüsante Rede von mir, nicht zu düster, angereichert mit Dingen, die uns positiv stimmen sollen, damit Sie dann entsprechend positiv gestimmt, aber doch ein wenig nachdenklich hinaus ins Tageslicht schreiten und sich wieder ihrem gewohnten Alltag widmen können", sagt er. Nachsatz: "Wir werden sehen, ob ich Sie enttäuschen werde."

"Wir werden unseren gewohnten Alltag verändern müssen, sonst laufen wir Gefahr, unsere Zukunft abzuschaffen. Genau genommen sind wir schon dabei", sagt Van der Bellen. Viele würden meinen, es sei ohnehin nichts mehr zu retten, und sie hätten auch keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Andere würden in schiere Panik verfallen.

"Damals, zu Leopold Figls Zeiten, hatten wir nichts. Aber wir hatten Hoffnung. Momentan scheint es, als hätten wir alles, außer Hoffnung."

"Bild der Zukunft entwerfen"

Es sei die Aufgabe aller, ein Bild von einer Zukunft zu entwerfen, auf die man sich wieder freuen kann. "Wir alle entwerfen dieses Bild durch unser tägliches Handeln. Wir entwerfen dieses Bild, indem wir als Politikerinnen und Politiker nicht nur auf unser eigenes Klientel und unsere unmittelbaren Gesinnungsgenossen achten, sondern auf das Wohl des ganzen Staates.

Man dürfe sich nicht von der Angst steuern lassen, Angst lasse erstarren, Angst kenne keine Zukunft, betont das Staatsoberhaupt. "Lassen wir uns also nicht von der Angst das Bild unserer Zukunft diktieren. Sondern von der Zuversicht."

"Wir kriegen das hin", das seien keine leeren Worte. Der Bundespräsident erinnerte als Beispiele daran, dass trotz Pandemie und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ("Putin attackiert unsere Art zu leben") die Wirtschaft gewachsen, die Arbeitslosenquote gesunken und die Gasspeicher voll seien. "Wir haben es geschafft", betonte er: "Das waren wir alle gemeinsam."

Sympathien

Van der Bellen appelliert auch an den Zusammenhalt. Der Kompromiss sei das Herzstück der Demokratie, heiße es immer. Van der Bellen sagt: "Das Herz der liberalen Demokratie ist das Finden einer gemeinsamen Lösung."

Er fordert das Publikum auf: "Schauen Sie sich einmal Ihre Sitznachbarin, Ihren Sitznachbarn an." Möglich, dass in der Nähe jemand sitzt, den man weniger gerne leiden kann, sagt der Bundespräsident. Gelächter im Saal. Kanzler Nehammer wirkt besonders amüsiert, Vizekanzler Kogler und er tauschen Blicke aus. 

Van der Bellens Antrittsrede: "Angst darf nicht das Bild unserer Zukunft diktieren"

"Aber doch repräsentiert jede und jeder von uns eine Gruppe von Menschen in diesem wunderschönen Land", fährt Van der Bellen fort, als sich das Gelächter legt. "Meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Hohen Haus, wie können wir von den Menschen in Österreich verlangen, zusammen zu arbeiten zu einem größeren Wohl, wenn wir das hier nicht nachvollziehbar schaffen?" 

Also: "Brechen wir unsere alten Gewohnheiten uns stellen wir uns vor, das es geht: Wir können auch mit Menschen auskommen, die mit unserer persönlichen Weltsicht nicht viel zu tun haben." 

Van der Bellens Antrittsrede: "Angst darf nicht das Bild unserer Zukunft diktieren"

Van der Bellen legte in diesem Zusammenhang ein Plädoyer für eine intakte Medienlandschaft ab, denn es brauche ein gemeinsames Verständnis über die Beschaffenheit der Wirklichkeit und nicht "alternative Fakten". Das bestimmte politische Player schlichte Tatsachen oder bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse bestritten, sei bestürzend. "Wenn wir hier nicht klar auftreten und die Dinge beim Namen nennen, steht eines Tages unser gesamtes Gesellschafts- und Wertesystem in Frage."

Man solle aufhören, der puren Logik der schnellen Klicks zu folgen. "Diese künstlich erzeugte Aufgeregtheit lenkt uns ab und verstellt uns den Blick in die Zukunft." Van der Bellen spricht damit auch die Medien an, räumt aber ein: "In ausgedünnten Redaktionen fehlt oft die Zeit zum Recherchieren. Medien sind aber eine wichtige Säule unserer Demokratie, wir sollten auch für die entsprechende Finanzierung sorgen." Die liberale Demokratie überlebe nicht ohne korrekte Informationen. 

An die Politik appellierte er, dass sie Orientierung geben und Lösungen vorschlagen müsse, "regieren, nicht nur reagieren" und auch die unbequeme Wahrheit aussprechen müsse. Hier verwies er auf die Klimakatastrophe, wo naturwissenschaftliche Tatsachen von vielen mit "bequemen Geschwätz" geleugnet worden seien. Jahrzehntelang sei die Reduktion der Treibhausgasemissionen versäumt worden. "Wir müssen etwas tun", unterstrich Van der Bellen, der Ausstieg aus der fossilen Energie müsse so schnell wie möglich kommen.

Gewissen erforscht

Dann folgt so etwas wie eine Grundsatzrede: Van der Bellen sagt, er habe bezüglich seiner Gelöbnisformel sein Gewissen erforscht und skizziert, was "nach bestem Wissen und Gewissen" für ihn bedeute: 

Unantastbar seien Grund- und Freiheitsrechte, die Menschen- und Minderheitenrechte, zu respektieren die Institutionen der liberalen Demokratie. Der verheerende Nationalsozialismus dürfe sich niemals wiederholen. "Und deshalb müssen wir alle sehr genau hinsehen und alles tun, um antidemokratische, die Würde der Menschen verletzende, autoritäre Tendenzen rechtzeitig und entschlossen zu stoppen", sagte er.

Wenn man nun hinausgehe, solle man daran denken, dass das, was man tut, wie man miteinander umgeht, "das Bild unserer Zukunft zeichnet".

Van der Bellens Antrittsrede: "Angst darf nicht das Bild unserer Zukunft diktieren"

Er schließt seine Rede mit: "Ich freue mich, für weitere sechs Jahre Ihr Bundespräsident sein zu dürfen. Und danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Es lebe die Republik! Es lebe unser wunderschönes Österreich! Es lebe unsere friedliche, europäische Zukunft!"

Der Fahrplan der Feierlichkeiten

Im Anschluss an den parlamentarischen Teil wird es für den Oberbefehlshaber des Bundesheers einen militärischen Festakt mit Flaggenparade und Totengedenken am Heldenplatz geben. Fortgesetzt werden die Feierlichkeiten mit einem Empfang von Van der Bellens Heimatbundesland Tirol.

Schließlich findet sich am Nachmittag die Bundesregierung in der Präsidentschaftskanzlei ein. Der Konvention entsprechend wird sie ihren Rücktritt anbieten, was ebenso traditionsgemäß abgelehnt wird. Symbolträchtig ist dann der erste Termin am Tag nach der Angelobung. Statt eines Staatsbanketts gibt es ein Mittagessen mit Schülern der Mittelschule Sonntagberg unter der Devise "Bankett mit der Zukunft".

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