Österreich hat Islam-Landkarte

Österreich hat Islam-Landkarte
600 muslimische Einrichtungen gibt es österreichweit - ab sofort soll über diese unter islam-landkarte.at informiert werden. Die Dokumentationsstelle "Politischer Islam" will zum Dialog einladen.

Im Juli 2020 nahm die Dokumentationsstelle "Politischer Islam" die Arbeit auf. Die Stelle soll sich "unabhängig und wissenschaftlich mit der gefährlichen Ideologie des politischen Islam auseinandersetzen", Einblicke in Netzwerke liefern, Ursachen erforschen und präventiv tätig werden, sagt die zuständige Integrationsministerin Susanne Raab.

Islam-Karte und Dossiers über drei türkische Verbände

Es gehe darum, "endlich Transparenz beim Politischen Islam schaffen und Licht in die Hinterzimmer des Islamismus bringen. Der politische Islam ist Gift für unsere Gesellschaft und das Gegenteil von Integration". Man dürfe, so Raab, auf keinem Auge blind sein. Überall, "wo am demokratischen Wertesystem gesägt wird", müsse Transparenz geschaffen werden. Raab nennt die jüngsten Ausschreitungen in Favoriten oder Reaktionen des türkischen Präsident Erdogan auf Österreichs Politik, um die Bedeutung der Dokumentationsstelle zu verdeutlichen. Es dürfe kein "Wir gegen sie"-Narrativ geben.

Die Dokumentationsstelle definiert "Politischen Islam" als eine "Herrschaftsideologie, die in die Umgestaltung bzw. Beeinflussung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von solchen Werten und Normen anstrebt, die von deren Verfechtern als islamisch angesehen werden, die aber im Widerspruch zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates und den Menschenrechten stehen". 

Österreich hat Islam-Landkarte

Aktuell gibt es laut Dokumentationsstelle 600 muslimische Einrichtungen in Österreich. Das Gros der Vereine ist in Wien (230), gefolgt von Niederösterreich (86) und Oberösterreich (78). Um einen Überblick über die Einrichtungen zu bekommen, selbigen zu wahren und Transparenz zu schaffen, dient das Projekt der Universität Wien unter der wissenschaftlichen Leitung von Ednan Aslan. Die Islamlandkarte, ab sofort, online unter islam-landkarte.at abrufbar, diene dazu, die Vielfalt abzubilden, aber auch den "Auslandseinfluss" zu beobachten.

Wir wollen Transparenz schaffen", betont Raab die politische Relevanz der Informationen und: "Es gibt keinen Generalverdacht gegenüber muslimischen Organisationen".

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Ednan Aslan

Aslan erklärt, dass fast alle muslimische Organisationen auf der Landkarte abgebildet sind, auch um sie sichtbar zu machen. "Teile der Organisationen bieten einen guten Integrationsbeitrag", so Aslan. "Auf der anderen Seite gibt es auch gefährliche Tendenzen in Organisationen, die es sichtbar zu machen gilt". Es gelte, "Leistungen, Stärken und Schwächen zu zeigen" und auch, Organisationen aus der Isolation zu befreien.  Aslan habe alle Dachverbände und Vereine über die Landkarte informiert, für die Inhalte der Karte wie der Dossiers lange Gespräche geführt. 

Es gehe um einen "Kampf gegen politische Ideologien, nicht gegen eine Religion", betont die ÖVP-Integrationsministerin mehrfach und auf Nachfrage, dass durch die Karte die muslimische Gemeinschaft nicht unter "Generalverdacht" gestellt werden soll. 

Zu den größten Dachverbänden islamischer Vereine zählen ATIB, Vereine der Millî Görüş/Islamische Föderation und der zu den Grauen Wölfen zählenden Türkischen Föderation.

Der wissenschaftliche Beirat der Dokumentationsstelle, Mouhanad Khorchide, erklärt, "Qualität vor Quantität" sei das Credo der Arbeit. Es gehe um "Differenzierung statt Pauschalisierung". Die Forschung sei ein offener Prozess, "ohne Anspruch auf Wahrheiten. Es handelt sich um Untersuchungen zu den drei großen Dachverbänden", die selbst einem Wandel unterworfen seien.

Ein weiterer Grundsatz der Forschungsarbeit lautet: "Dialog statt Urteilen". Der sachliche Diskurs stehe dabei stets im Mittelpunkt. "Betroffene Institutionen sind eingeladen, in den Diskurs einzusteigen, die Debatte zu versachlichen."

Die präsentierten Dossiers dienen nicht der Bewertung, so Korchide, sondern "stellen Analysen dar und sollen Rückfragen zu Dachverbänden herstellen". 

"IGGÖ war nicht eingebunden"

In der muslimischen Gemeinde sieht man das nicht so. Durch die Islam-Landkarte würden Muslime sehr wohl unter Generalverdacht gestellt, lautet die vorherrschende Meinung.

„Die seit Gründung der Dokumentationsstelle bestehende Befürchtung der Islamischen Glaubensgemeinschaft einer politischen Einflussnahme und Instrumentalisierung der Wissenschaft hat sich heute bestätigt.“, erklärt etwa IGGÖ-Präsident Ümit Vural.

Die als Durchbruch dargestellte Islam-Landkarte sei ein seit 2012 bestehendes Projekt, in das die IGGÖ "zu keinem Zeitpunkt eingebunden" gewesen sei. Die Informationen seien teilweise stark veraltet und unrichtig.

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IGGÖ-Präsident Ümit Vural.

"Fatalerweise wurden auch die vom Projektleiter wohl mit dem Ziel der Legitimation eingeholten Stellungnahmen der aufgelisteten Kultusgemeinden der IGGÖ nicht berücksichtigt oder eingearbeitet", kritisiert Vural. Eine tatsächliche Dialogbereitschaft dürfe daher angezweifelt werden.

Tatsächlich befeuere die Islam-Landkarte "nicht nur den kontinuierlich wachsenden Rassismus gegenüber Muslimen", sondern setze muslimische Bürger auch einem massiven Sicherheitsrisiko aus.

Bereits am Donnerstag hätten sich zahlreiche besorgte Funktionäre, Vereinsvorstände, aber auch einfache Mitglieder der unterschiedlichen muslimischen Communities, deren Namen auf der „Islam-Landkarte“ aufscheinen, an die IGGÖ gewandt.

"Fall für den Rechnungshof"

"Was soll die Landkarte anderes sein als ein Generalverdacht?! Wenn eine Dokustelle ,Politischer Islam' Vereine auflistet, weist das doch per se auf ,politischen Islam' und somit auf einen Straftatbestand hin", meint auch Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative Muslimischer Österreicher (IMÖ). Zudem sei die Islam-Landkarte ein "Aufruf zur Bespitzelung der Bevölkerung".

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IMÖ-Obmann Tarafa Baghajati.

Vor allem aber sei "ein Fall für den Rechnungshof", meint Baghajati. Denn neu sei die Übersicht über die islamischen Vereine Österreichs keineswegs. Die Landkarte des Instituts für islamisch-theologische Studien an der Universität Wien sei schon seit Jahren online. (Was man im Ministerium auch nicht bestreitet.) "Und die Dokustelle als neue Organisation mit fünf Millionen Euro Budget hat nichts anderes gemacht als ,Copy & Paste" zu drücken."

Entsprechend veraltet seien die abgebildeten Informationen zum Teil, sagt Baghajati. "Man findet falsche Adressen und Namen von Vorstandsmitgliedern, die schon lange nicht mehr im Amt sind."

"Digitaler Pranger"

Man werde "auf mittelalterliche Weise an den digitalen Pranger gestellt", kritisiert auch Adis Serifovic, Vorsitzender der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ).

Die Islam-Landkarte sei ein "gefährlicher Tiefpunkt" der Politik der Bundesregierung, bei der sich "ein Muster von Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung" abzeichne. "Unter dem Deckmantel von Transparenz und Dialogbereitschaft" würden islamische Organisationen und Einrichtungen einem massivem Sicherheitsrisiko ausgesetzt.

ATIB gilt mit mehr als 60 Moscheeeinrichtungen als der größte islamische Dachverband in Österreich und steht in Verbindung zum Diyanet, dem Präsidium für Religionsangelegenheiten der Türkei. Diyanet strebe, so die Experten, danach, Türkeistämmige an die Republik Türkei zu binden und eine "islamisch-türkische Identität“ zu fördern. Hochrangige Vertreter von Diyanet seien Ehrenmitglieder von ATIB. Aufgrund des im Islamgesetz vorgeschriebenen Verbots der Auslandsfinanzierung werden die Aufenthaltstitel der etwa 65 türkischen Atib-Imame aktuell nicht verlängert.

Millî Görüş wird als "prominenteste Bewegung des Politischen Islam türkischer Prägung“ gesehenMilli Görus bekennt sich zu einer "gerechten Ordnung“, die die "Ordnung des Westens“ überwinden will.  In Österreich sind 48 Einrichtungen in drei Dachverbänden organisiert, deren geografische Schwerpunkte in Wien, Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg liegen. Laut Dokumentationsstelle lassen sich "klare Verbindungen zwischen österreichischen Verbänden und der Europazentrale in Deutschland nachweisen“.

"Graue Wölfe"-Bewegung (Ülkücü) werde von türkischen Parteien genutzt, um ihre teils „integrationshemmende Ideologie“ zu verbreiten. Diese zeichne sich durch rassistische, gewaltverherrlichende, rechtsnationalistische und islamistische Tendenzen aus, richte sich vor allem gegen Kurden, Armenier und Aleviten sowie Juden, US-Amerikaner und Westeuropäer. Die Bewegung sowie deren Dachverband, die Türkische Föderation (ATF mit 29 Moscheevereinen) sind vor allem in Wien, Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg vertreten.  Eine Besonderheit der Grauen Wölfe ist laut Experten deren Jugendkultur, die sich in Rapmusik, Graffitis und Social Media wiederfindet.

"Gehört Österreich zum Islam?"

Experte Korchide lädt zum "konstruktiven Dialog" ein und stellt am Podium die Frage: "Wie kann ein Islam europäischer Prägung aussehen?".  In dem "Diskurs jenseits von Polemik" gehe es darum, eine "mehrdimensionale Identität" zu schaffen. Vor allem unter jungen Menschen. Immer wieder werde die Frage gestellt: "Gehört der Islam zu Österreich?". Die Frage müsse aber auch lauten: "Gehört Österreich oder Europa zum Islam?"

Elham Manea, Privatdozentin an der Universität Zürich schickt in ihrem Statement voraus: "Ideologie, Narrativ und Kontext sind wesentlich, wenn wir von Politischem Islam sprechen." Oft sei das Narrativ eine Welt, die in zwei Lager geteilt ist. Der Islam werde darin "vom Westen, Israel oder korrupten Regimen" angegriffen. Anhand der Muslim-Bruderschaft in unterschiedlichen Ländern macht Manea klar, dass der Kontext wesentlich in der Beurteilung der Organisationen ist. 

"Der Politische Islam hat vielfältige Schattierungen", so Raab. "Wo es rechtliche Handhabe gibt", werde gegen Moscheen, die radikales Gedankengut verbreiten, vorgegangen. "Sobald Grenzen des Rechtlichen überschritten sind, wird die Politik eingreifen." Die Dokumentationsstelle Politischer Islam gleiche in ihrer Systematik und ihrem Aufgabenbereich dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), so Raab. "Moscheeschließungen sind rechtlich sehr komplex", schließt Ednan Aslan an. Durch die öffentliche Debatte könne auch eine Reformbewegung innerhalb der muslimischen Organisationen mit sich bringen. 

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