Linzer SPÖ-Bürgermeister: "Sittenbild einer Partei in großen Schwierigkeiten"
Seit ihrem historisch schlechtesten Wahlergebnis bei der vergangenen Nationalratswahl befindet sich die SPÖ in einem Zustand der zunehmenden Selbstzerfleischung. Nicht genug, dass über die inhaltliche und strukturelle Neuaufstellung der Partei öffentlich gestritten wird, erschüttert auch eine angebliche Intrige von Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch gegen seinen Vor-Vorgänger und Neo-Nationalratsabgeordneten Max Lercher dieser Tage die Sozialdemokratie.
Den Linzer Sozialdemokraten reicht es darum. Sie beschlossen im Stadtparteivorstand am Montag die Direktwahl der Spitzenfunktionen im Bezirk Linz-Stadt inklusive der Spitzenkandidatur für die Gemeinderatswahl 2021, für die sich auch Bürgermeister Klaus Luger wieder bewerben will. Zusätzlich soll im kommenden Jahr eine eigene Mitgliederbefragung durchgeführt werden, und das Wahlprogramm für die Gemeinderatswahl unter Einbeziehung interessierter Nicht-Parteimitglieder erstellt werden.
Man wolle die internen Diskussionen in den Funktionärszirkeln der Bundespartei nicht abwarten und setze daher einen "ersten konkreten Schritt in Richtung zeitgemäßer Beteiligung und Mitarbeit", sagt Luger.
Im Gespräch mit dem KURIER will er die beschlossenen Maßnahmen durchwegs auch als Modell für die Bundespartei verstanden wissen. Dass der Beschluss in den Linzer Gremien trotz öfters unterschiedlicher politischer Einschätzungen einstimmig erfolgt sei, sollte auch in Wien "Mut machen, vermeintliche oder zum Teil reale Widersprüche anzugreifen", meint der Bürgermeister.
Die viel größere Baustelle als die strukturelle Neuaufstellung der Partei sei nämlich keine geringere als "die strategische und gesellschaftspolitische Ausrichtung der Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert", betont Luger. Seine Problemanalyse: Die "ehemaligen Identitäten" der SPÖ - soziale Herkunft, niedriges Einkommen, gesellschaftlicher Status - seien heute "keine konstituierenden Elemente mehr".
"Schwierigster Spagat der Gesellschaft"
Die Sozialdemokraten müssten "den wohl schwierigsten Spagat in der Gesellschaft" schaffen, meint Luger. Einerseits müsse den Menschen, die ihn tatsächlich benötigen, glaubwürdig Schutz gewährt werden. Andererseits müsse man sich auch um die Etablierten kümmern, die sich "andere Freiräume erwarten". Aktuell hätten aber die Schutzbedürftigen kein Vertrauen mehr in die SPÖ, und die Leistungsorientierten fühlten sich bevormundet.
Die britische Labour Party und andere internationale sozialdemokratische Beispiele würden zeigen, so Luger, dass man die Schwächeren nur schützen könne, wenn man den Rückhalt breiter Gesellschaftsschichten habe.
Im Wesentlichen sei es nun darum die Aufgabe, die SPÖ "wieder als soziale und gesellschaftlich liberale Kraft zu etablieren", ist sich der Linzer Bürgermeister sicher. Dazu müsste die Partei auch flexibler agieren - wie zum Beispiel beim 12-Stunden-Tag. Manche würden "freiwillig und ohne Zwang" 12 Stunden pro Tag arbeiten, sofern sie im Gegenzug drei Tage die Woche frei bekommen. Diese Menschen würde die SPÖ aktuell "verstoßen, weil sie sagt, es könnte jemand anderer dafür unter Druck geraten".
Dabei wäre dieser Konflikt Lugers Meinung nach einfach zu lösen. Wo es einen Betriebsrat gebe, sei das mit dem abzustimmen. Wo es keine betriebliche Mitbestimmung gebe, solle eine externe Institution auf sozialpartnerschaftlicher Ebene solche Vereinbarungen prüfen.
Laut dem Linzer SPÖ-Chef gebe es viele solcher Beispiele, "wo die Sozialdemokratie aus sozialem Gewissen heraus eine Partei der Bevormundung geworden ist". Das sei jedoch "das größte Wachstumshemmnis", die Partei müsse vielmehr gegen diese "behüterische Bevormundung" auftreten.
Befindlichkeiten
Die Information des Bundesgeschäftsführers Christian Deutsch über den Vertrag mit der von Max Lercher geführten Leykam AG, die sich in den letzten Tage zum offenen Flügelkampf auswuchs, bekam das Bundesvorstandsmitglied Luger nach eigenen Angaben nicht mit, weil er die Sitzung zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatte. Auch er habe jedoch in verschiedenen Gesprächen mit Anwesenden nach der Sitzung "unterschiedliche Interpretationen" des Gesagten gehört.
Grundsätzlich kritisiert Luger an der Angelegenheit, dass der Konflikt seiner Ansicht nach zum Großteil "von persönlichen Verletzungen und Befindlichkeiten getragen" sei. Er könne daher nur "allen raten, dass wir alle unsere Befindlichkeiten zurücknehmen". Denn es sei ein " Sittenbild einer Partei in großen Schwierigkeiten", wenn in Sitzungen wie dem besagten Bundesparteivorstand beinahe zwei Stunden lang "Befindlichkeiten ausgetauscht werden". Luger: "Wir sind keine Selbsthilfegruppe, sondern eine politische Bewegung."
Dem von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner eingeleiteten Erneuerungsprozess der SPÖ sieht Luger skeptisch entgegen. Er könne gelingen - aber nur, wenn auch Menschen außerhalb traditionell sozialdemokratischer Milieus einbezogen werden, und "wenn wir bereit sind, auch unsere bequemen Strukturen zu hinterfragen".
"Weg zum harmonischen Untergang"
Wenn die Partei aber weiterhin nur in den eigenen Kreisen Programme entwickle, sei das "der Weg zum harmonischen Untergang". Die SPÖ müsse ihre eigenen Blasen "verlassen, öffnen, sprengen", um wieder mit denjenigen ins Gespräch zu kommen, die zwar sozialdemokratische Werte für sich in Anspruch nehmen würden, aber nichts mit der "Sozialdemokratie als Bewegung" zu tun haben wollen.
Bei Parteichefin Rendi-Wagner rennt Luger mit seinen Forderungen großteils wohl offene Türen ein, auch wenn sie sich am Rande der konstituierenden Sitzung des SPÖ-Parlamentsklubs am Dienstag nicht direkt zum Linzer Vorstoß in Sachen Parteiöffnung äußern wollte. Stattdessen verwies Rendi-Wagner erneut auf den mehrstufigen Erneuerungsprozess, der wie bereits bekannt in einen großen Zukunftskongress im kommenden Frühjahr münden soll.
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