Clemens Jabloner, 71, übernahm sein Amt als Vizekanzler und Justizminister in einer turbulenten Zeit - da war die Ibiza-Affäre, der interne Streit rund um die Eurofighter-Ermittlungen, und dann kam noch die Casinos-Causa. Im Hintergrund: die ewige Budget- und Personalnot quer durch alle Bereiche der Justiz.
Der frühere Präsident des Verwaltungsgerichtshofes gibt seinem Nachfolger einen Wahrnehmungsbericht mit - und appelliert, die Korruptionsbekämpfung ernster zu nehmen denn je.
KURIER: Herr Justizminister, muss ich mich fürchten, dass meine privaten Chats öffentlich werden, sobald gegen mich ermittelt und mein Handy einkassiert wird? So, wie es Heinz-Christian Strache in der Casinos-Affäre ergangen ist?
Clemens Jabloner: Das ist ein Missstand, der mir Kopfzerbrechen bereitet. Er kommt zustande, weil mehrere Personen mit verschiedenen Interessen in den Akt hineinschauen können. Wobei die Leaks sicher nicht im Interesse der Ermittlungen sein können.
Was wäre eine Möglichkeit, Informationen in einem Verschlussakt besser zu schützen?
Wir denken über technische Möglichkeiten nach, das Risiko der Weitergabe im Zuge der Akteneinsicht etwas zu senken bzw. besser nachverfolgbar zu machen. Früher gab es auf Dokumenten etwa Wasserzeichen oder Balken. Es wurde einmal erwogen, einen Straftatbestand für Anwälte einzurichten, aber das halte ich nicht für den idealen Weg. Man muss den Leuten ins Gewissen reden.
Aber wirklich verhindern lässt sich das nicht...
Wir leben in einer Welt, in der es eine kolossale Informationsgier gibt. Journalisten bedienen diese – dazu sind sie auch da. Aber es entsteht ein Spannungsverhältnis. Jeder findet interessant, was er über den anderen erfährt, aber von den eigenen Daten möchte man nicht, dass sie jemand weiß.
Und Ermittlungen bei Justiz und Polizei führen in den seltensten Fällen zu einem Ergebnis.
So ist es. Wir initiieren das, aber es ist klar, dass so etwas sehr schwer feststellbar ist.
Haben die WKStA und die StaatsanwaltschaftWien Ihr volles Vertrauen in Bezug auf die Geheimhaltung?
Im Prinzip ja, wie auch die Polizei. Aber man kann nie etwas ausschließen.
Manche Beschuldigten mutmaßen, dass solche Leaks mit der Absicht verbunden sind, jemanden zumindest politisch und persönlich zu ruinieren, wenn schon strafrechtlich nichts herausschauen wird.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe allerdings bewirkt, dass die Staatsanwaltschaften anonyme Anzeigen nicht mehr sofort bestätigen. Das ist nämlich eine Möglichkeit, jemanden in Misskredit zu bringen: Man zeigt ihn an, dann fragt man nach, ob die Anzeige vorliegt, und dann wird es öffentlich. So billig wollen wir die Schlagzeile nicht mehr hergeben. Die Staatsanwaltschaft darf erst informieren, wenn sie die Sache geprüft hat und weiß, ob sie Ermittlungen einleitet oder die Anzeige zurücklegt.
Etwa so, wie die WKStA im Frühjahr den damaligen Generalsekretär Christian Pilnacek wegen Amtsmissbrauchs angezeigt hat – was dann zu Schlagzeilen führte?
Die Geschichte ist erledigt. Causa finita.
Nichts könnte besser die Notwendigkeit der Korruptionsbekämpfung unterstreichen als das Umfeld, in dem wir uns derzeit befinden.
von Clemens Jabloner
Justizminister
Zur Casinos-Causa selbst: Postenschacher ist per se ja nicht verboten. Aber wie sehen Sie die Entwicklungen?
Ohne den hier angesprochenen konkreten Fall zu beurteilen: Es kann niemand damit zufrieden sein, dass die Postenvergabe in einem derartigen Maß politisiert ist. Das war sie bis zu einem gewissen Grad zwar immer, aber man hat zumindest zwei Regeln eingehalten. Erstens: Wenn jemand wirklich begabt war, dann hat man ihm nichts in den Weg gelegt. Zweitens: Man hat nicht völlig ungeeignete Personen in Positionen gebracht. Dazwischen liegt ein mehr oder weniger vertretbarer Spielraum.
Die Aufgabe der Strafjustiz ist, eine möglichst scharfe Grenze zum Strafrechtlichen zu ziehen. Nichts könnte besser die Notwendigkeit der Korruptionsbekämpfung unterstreichen als das Umfeld, in dem wir uns derzeit befinden. Das andere ist ein moralisches Problem.
Könnte die Aufarbeitung, die jetzt stattfindet, langfristig zu einem Umdenken führen?
Ich glaube, dass die Öffentlichkeit das nicht mehr so hinnimmt. Und dass sich auch der Staat überlegen muss, wie er agiert. Damit sollte man sich beschäftigen.
Wenn es im Austausch politische Gefälligkeiten gab, wäre es Korruption – aber geht das Gesetz weit genug?
Es wurde als eine rechtspolitische Lücke angesehen, dass jemand nicht unter die einschlägigen Tatbestände fällt, wenn er zwar Dinge verspricht, aber aktuell gar nicht in der Position ist, sie zu erfüllen.
Was Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video (2017, als er nur FPÖ-Chef war, Anm.) über die Vergabe von Staatsaufträgen gesagt hat, wäre so ein Fall?
So etwas, ja. Es ist nicht strafbar, weil er trotz seiner politischen Tätigkeit damals keine entsprechende Kompetenz hatte. Wenn der Nationalrat oder die nächste Regierung findet, dass man das verschärfen muss, dann sollen sie das tun. Aber nicht alles, was befremdlich ist, muss auch verboten sein.
Finden Sie, dass man das verschärfen soll?
Im Prinzip ja, aber man darf nicht übers Ziel hinausschießen.
Sie haben Ihre Amtszeit genutzt, um auch intern einige Baustellen zu identifizieren und einen Wahrnehmungsbericht zu verfassen, den Sie Ihrem Nachfolger hinterlassen. Was war für Sie besonders auffällig?
Das Justizressort wurde durch mehrere Gesetzgebungsperioden hindurch unterdotiert, und irgendwann einmal häuft sich das so an, dass es dramatisch wird. Ich konnte diese Probleme so scharf ansprechen, weil ich nicht auf politische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen muss.
Wieso wurde das Ressort budgetär so vernachlässigt?
Die Aufgaben der Justiz sind vielleicht nicht so publikumswirksam. Es ist nicht populär, wenn man Geld für den Ausbau von Haftanstalten fordert. Das wird nur zum Problem, wenn in der Zeitung über aktuelle Vorfälle berichtet wird. Die Einsparungspfade sind streng linear nicht qualitativ ausgerichtet. Da wird die künftige Bundesregierung doch etwas differenzierter vorgehen müssen.
Braucht es, um die Probleme in dieser Deutlichkeit auszusprechen, wieder einen parteifreien Justizminister?
Ich glaube nicht. Es muss ein Mensch sein, der persönlich unbefangen ist. Es kann jemand einer Partei zugehörig sein und trotzdem unabhängig sein – und gerade aus seiner Parteizugehörigkeit heraus Vertrauen genießen. Aber auch ein scheinbar Unabhängiger kann in Wahrheit ganz befangen sein.
Angenommen, man fragt Sie, ob Sie Minister bleiben wollen…
… dann sage ich „nein“.
Aber als Minister, der noch fünf Jahre im Amt vor sich hätte – was würden Sie tun?
Den Eintritt in die Bundesregierung würde ich schon davon abhängig machen, ob die notorischen Missstände tatsächlich in Angriff genommen werden. Sonst hätte es für mich keinen Sinn, Bundesminister zu werden. Und zweitens müsste ich mich durchsetzen können bei den Budgetverhandlungen. Wenn das einigermaßen gesichert wäre, würde ich gezielt Maßnahmen einleiten.
Ihre Gestaltungsmöglichkeiten waren in der Übergangszeit ja sehr beschränkt – ohne Budget oder politischer Macht. Hätten Sie gerne mehr gemacht?
Na klar würde ich das alles auch gerne realisieren. Ich konnte ein paar Verbesserungen erzielen und auf andere Probleme musste ich aufmerksam machen. Damit sehe ich den Sinn meiner Ministerschaft erschöpft. Ich will nichts mehr werden.
Wichtig ist eine selbstbewusste Behauptung des Ressorts in der Bundesregierung.
Und wäre Ihnen ein türkiser oder ein grüner Justizminister lieber?
Darüber habe ich nicht nachgedacht. Es kommt sehr auf die Person an. Es sollte ein Jurist oder eine Juristin von Qualität sein, das wäre zweckmäßig.
Es kursieren ja einige Namen, als Jurist wäre von den Grünen vielleicht der erste KStA-Chef Walter Geyer interessant?
Ein vortrefflicher Mann. Auch Alma Zadic hat viel Expertise. Aber es ist die Frage, ob die Grünen das Ressort besetzen werden. Sonst wäre Eckart Ratz (Ex-OGH-Präsident und Kurzzeit-Innenminister, Anm.) einer, der wohl dafür infrage kommt. Aber für jeden Namen, den ich nenne, nenne ich einen anderen nicht, also sage ich lieber nichts mehr.
Und wie geht es für Sie weiter, sobald die Regierung steht?
Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits freue ich mich, wieder an die Universität zurückkehren zu können, andererseits fühle ich mich meiner jetzigen Tätigkeit schon sehr verbunden, sehr verantwortlich und werde sie auch nicht leichten Herzens aufgeben. Wann das der Fall ist, weiß ich nicht.
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