Lena Schilling: "Identitäre sind die Bussi-Bussi-Freunde von Herbert Kickl"
Sie ist die jüngste Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl und auch die einzige Frau: Lena Schilling (23), die Klimaaktivistin, die am 9. Juni für die Grünen kandidiert, im KURIER-Gespräch.
Mit Lena Schilling setzen die Grünen bei der EU-Wahl auf ein neues Gesicht. Mit dem KURIER sprach sie im Rahmen der Interview-Serie mit den Spitzenkandidaten über den Green Deal, den zu erwartenden Rechtsruck im EU-Parlament, die Probleme der Bauern, notwendige Regulatorien auf EU-Ebene und das Wahlziel der Grünen.
KURIER: Sie sind als Klimaaktivistin bekannt geworden. Fühlen Sie sich mittlerweile schon als Politikerin?
Lena Schilling: Man kann beides sein. Ich bin auf die Straße gegangen für ein Anliegen: Mein Herz schlägt noch immer dafür. Gleichzeitig habe ich jetzt eine neue Rolle, die auch andere Dinge erfordert. Ich kämpfe, weil ich etwas will: Ich will Klimagerechtigkeit, ein gerechteres und solidarisches Europa.
Sie waren Mitglied bei Fridays for future. Die haben bei den EU-Wahlen 2019 den Ton geprägt und gaben Anlass für den Green Deal, den die Kommissionspräsidentin dann vorgeschlagen hat. Kommt in diesem Wahlkampf vom den Fridays noch was in der Richtung?
Sie zählen die 100 Tage runter bis zur Wahl. Es gibt Veranstaltungen in Schulen, es wird auch noch Streiks zur EU Wahl geben. Im neuen europäischen Strategiepapier ist wahrscheinlich von elf Punkten kein einziger Punkt Klimaschutz. Deswegen haben wir die EU-Wahl zur Zukunftswahl erklärt. Aus der Perspektive junger Menschen ist ganz klar: Was gibt es denn Wichtigeres, als unseren Planeten zu erhalten? Und auch, wenn wir nicht über die Klimakrise reden, wird sie leider trotzdem passieren.
Den Green Deal gibt es doch noch...
Um ihn wird man jetzt aber kämpfen müssen, fürchte ich. Das heißt Interessen durchsetzen. Und das Interesse ist, den Planeten zu halten.
Es gibt viel Widerstand in Österreich gegen den Green Deal, Stichwort Verbrenner-Aus oder Heizungsgesetz. Wollen Sie sich dafür ins Zeug legen?
Auf jeden Fall. Einer der wichtigsten Bestandteile des Green Deals ist das Renaturierungsgesetz. Dabei geht es darum, dass wir in Österreich und auch in der ganzen EU Böden wieder renaturieren. Dass wir Moore wässern und Wiesen bestehen lassen. Das bedeutet, dass wir brachliegende Flächen, die versiegelt sind, wieder entsiegeln. Wir haben ja auch eine Biodiversitätskrise. Jeden Tag sterben mehr als 130 Pflanzenarten aus.
Unsere Böden können so nicht mehr weiterbestehen, weil es keine Bienen und Insekten mehr gibt, die sich darum kümmern, dass die Befruchtung stattfindet, dann wird es mit der Ernährungssicherheit schwierig. Es geht um die Meere, um Fischerei, um ganz, ganz viele Themen. Und da sehen wir immer wieder eine Blockadehaltung der Europäischen Volkspartei, die sich hinstellt und sagt, das Renaturierungsgesetz brauchen wir nicht.
Es gibt auch Druck von den Bauern, die um ihre Ackerflächen fürchten und so weniger Einnahmen haben. Verstehen Sie das?
Absolut. Man muss die Anliegen der Bäuerinnen und Bauern ernst nehmen. Aber gerade die Landwirtinnen und Landwirte sind es, die die Klimakrise zu spüren bekommen, wenn die Ernten ausfallen. Man muss beides zusammen schaffen.
Wir brauchen eine intakte Natur. Wir brauchen eine Welt, in der wir nicht an die zwei Grad, nicht an die drei Grad mehr kommen, damit wir unsere Ernährungssicherheit feststellen. Und gleichzeitig muss man natürlich die Lebensgrundlage der Landwirte sichern, aber nicht mit kurzfristigen Zahlungen, sondern langfristig.
Und die Warnungen, die Industrie könnte aus Europa verschwinden, Richtung Amerika, Richtung China. Was können Sie dem entgegensetzen?
Wenn wir proaktiv anfangen, der Wirtschaft und der Industrie mit Planungssicherheit eine Perspektive zu zeigen, können in diesen Transformationen extrem viele Chancen liegen. Wenn wir jetzt innovativ sind, zum Beispiel in der Stahlindustrie, können wir Vorreiter sein. Aber wenn man einmal so sagt und dann wieder anders, kennt sich niemand mehr aus. Das sehen wir zum Beispiel in der Autoindustrie, wo gesagt wurde: jetzt alles auf E-Mobilität und dann machen wir doch Diesel. Das ist wahnsinnig mühsam für die Unternehmen und für die Industrie.
Das heißt, da Planungssicherheit schaffen, damit wir die Wirtschaft transformieren können. Und dann liegt da auch ganz viel drin. Nämlich ganz viel Arbeitsplätze, ganz viel Chancen, ganz viele Möglichkeiten. Das Ziel ist, dass wir es einfach umsetzen müssen. Und zwar sehr rational, sehr klar nach einem Plan und das dann aber auch durchhalten und durchziehen und nicht so einen Schlingerkurs fahren.
Das wird schwierig werden, wenn die Umfragen stimmen und das ganze EU Parlament eher weiter nach rechts rückt, dann werden Sie mit relativ viel Widerstand zu tun haben.
Genau deswegen ist es wichtig anzutreten. Es könnte das rechteste europäische Parlament aller Zeiten werden. Und wir sehen ja, was rechte Parteien machen. Also von dem Pakt mit Putin und über verschiedene Netzwerke finanzierte Politiker, die sich von Russland zahlen lassen, um gegen die Ukraine zu stimmen, zum Beispiel. Und was wir auch sehen, ist, dass Rechtsextreme auf die Straße gehen und dann den Hitlergruß machen in Rom. Was wir sehen, ist, dass die AfD und Identitäre, die Bussi-Bussi-Freunde von Herbert Kickl, darüber verhandeln, wie man Staatsbürger und Staatsbürgerinnen deportieren kann. Also in all diesen Fragen braucht es ein starkes Gegengewicht, und zwar ein hoffnungsvolles. Reden wir doch über die Dinge, die wir verändern können und über die Hoffnung, die da drin liegt.
Haben Sie sich nicht gefragt, ob Sie als Klimaaktivistin für Ihr Anliegen mehr durchsetzen können als im riesigen Europaparlament? Sie sind dort nur eine von über 700 Abgeordneten.
Als ich angefangen habe, war ich eine von 8 Millionen Österreicherinnen und Österreichern. Okay, ich habe mich zur Klimaaktivistin entschieden und bin dann Teil dieser Bewegung geworden. Darum geht es: Anliegen zu kommunizieren, zu reden und zu streiten. Und das werde ich weiterhin machen - einfach in einer anderen Rolle. Aber das heißt ganz und gar nicht, dass ich weniger zu sagen habe. Ich halte Parlamente für wichtige Institutionen, wo die großen Hebel liegen. Wenn man die Gelegenheit hat, zu den Hebeln hinzugehen und zu schauen, okay, was kann ich denn erkämpfen, dann ist das eine unglaubliche Chance
Was würden Sie konkret erkämpfen wollen?
Also eine Sache, die auch im Wahlprogramm steht, ist leistbare Mobilität. Im Moment ist es so, dass Flüge zum Teil 30 Mal billiger sind als dieselbe Zugverbindung in Europa. Wenn wir die Klimawende schaffen wollen, muss sie für alle gut leistbar und einfach sein. Ein Ansatz wäre: Zwischen Wien und Berlin zum Beispiel, das heißt zwischen allen Hauptstädten, kostet ein Kilometer 0,10 Euro. Das wären zum Beispiel nach Paris 68 Euro. Die Verbindungen zwischen Hauptstädten ausbauen, besser machen, billiger machen.
Könnten Sie sich vorstellen, dass bestimmte Kurzstreckenflüge überhaupt verboten werden?
Ich möchte zuerst den Menschen die Wahlfreiheit geben. Aber man sieht das bestes Beispiel: Von Linz nach Wien gab es früher eine Flugverbindung, jetzt ist die Zugverbindung so schnell, dass es die gar nicht mehr braucht.
Wenn Sie die Umfragen für die Grünen für heute und von 2019 vor der EU Wahl vergleichen, ist das ein eher trauriges Bild. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Grünen jetzt schlechter dastehen?
Als ich mich dafür entschieden habe, zu kandidieren, haben die Umfragen noch sehr viel schlechter ausgeschaut. Mit der Kandidatur sind die Umfragen besser geworden. Aber es hat auch mit der grünen Regierungsbeteiligung zu tun: In Zeiten von Krieg; Energiekrise, Klimakrise und Pandemie gibt es auch Unzufriedenheit mit der Regierung.
Der Vorwurf an die EU lautet: Zu viele Vorgaben, zu viele Regeln, zu viel Bürokratie, zu viel Klein-Klein, das die Wirtschaft einfach abwürgt.
Mit Freiwilligkeit ist es leider die letzten Jahrzehnte nicht gelungen, die großen Krisen in den Griff zu kriegen. So wurden zum Beispiel zwischen 2000 und 2020 rund 530 Kilometer Schienennetz abgebaut und in derselben Zeit 320 Kilometer Autobahnen und Schnellstraßen zugebaut. Wenn es bis jetzt mit Freiwilligkeit nicht geklappt hat, warum sollte es jetzt funktionieren? Wir brauchen Regulatoren.
Das Bild ist auch: Brüssel schränkt uns ein, Brüssel nimmt uns die Freiheit. Die Slogans der FPÖ gehen in diese Richtung.
Die Europäische Union ist der gemeinsame Nenner, den wir haben um große Krisen und Lösungen auch anzugehen. Das heißt nicht, dass die Stimme von Österreich darin nicht zählt. Ganz im Gegenteil. Also wir sind gewählte Vertreterinnen aus Österreich, die dann dort Politik machen und das auch wieder zurücktragen müssen. Für mich war Brüssel und alles, was im EU-Parlament passiert, auch jahrelang weit weg. Aber wir haben als Politikerinnen die Verantwortung, Menschen von den Ideen zu begeistern. Ich finde es sehr schade, dass die FPÖ so dagegen schießt. Diese ständige Blockadehaltung ohne Lösungen wird uns nicht weiterbringen. Und zu glauben, dass wir mit nationalstaatlichen Klein-Klein-Lösungen bei globalen Krisen viel weiterkommen, halte ich für unrealistisch.
Es kann sein, dass im Herbst eine neue Regierung kommt. Und zwar eine, die den Lobautunnel bauen will. Wird man Sie dann wieder in der Lobau demonstrieren sehen?
Da wird Proteste geben, und ich würde sicher auch vorbeischauen. Das heißt, dass ich natürlich weiterhin politisch aktiv bleibe, dass ich auch solche Aktionen unterstützen werde. Ob ich dann selber vor Ort sein würde, weiß ich nicht, weil wenn man in diese Position eines EU-Abgeordneten geht, muss man die politische Position bestmöglich nutzen und einsetzen, ob das in den Ausschüssen ist, ob das im Parlament in einer Sitzung ist oder beim Protest ist, wird darauf ankommen, wie sich die Lage entwickelt.
Wie viele Mandate wünschen Sie sich für die Grünen bei dieser Wahl?
Wir haben als Wahlziel 500.000 Stimmen festgesetzt, das würde drei Mandate ergeben. So viele, wie wir aktuell haben.
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