Land, Bund oder die Finanz: Kampf um unser Versichertengeld
Die Verhandlungen zur Sozialversicherungsreform befinden sich in der Endphase. „90 Prozent sind bereits geschafft“, sagt Sozialministerin Beate Hartinger-Klein.
Welche 90 Prozent das sein sollen, gibt ihr Ministerium jedoch nicht bekannt.
Große Brocken wie die Unfallversicherungsanstalt AUVA sind jedenfalls noch offen, ÖVP-Politiker widersprachen einander in den letzten Tagen von Kanzler Sebastian Kurz abwärts auf offener Bühne. „Das hat auch damit zu tun, dass es riesige Wissenslücken über die Sozialversicherung gibt, und zwar auf beiden Seiten der Regierung“, sagt ein Verhandler.
Kurz ist vor allem wichtig, dass alles so kommt, wie es im Regierungspakt steht.
Den Ländern ist wichtig, dass ihre Landeskrankenkassen die volle Budgethoheit behalten. Sie wollen, dass die Landeskassen weiterhin die Krankenversicherungsbeiträge einheben.
Die Bundesregierung will, dass die Kassen die Beiträge gar nicht mehr selber einheben, und auch keine Betriebe mehr prüfen. Beides soll nur mehr die Finanz machen und den Kassen das Geld überweisen.
Die Sozialpartner halten das für das Ende der Selbstverwaltung und für verfassungswidrig. Sie wollen, dass die Kassen weiterhin die Versicherungsbeiträge einheben, aber das könnte zentral durch eine neue ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse) erfolgen.
Den Länderkassen würde ihr Budget nach Abzug eines Solidarausgleichs nur mehr zugeteilt (was wieder die Länder nicht wollen, und so dreht sich die Sache im Kreis).
Ähnlich komplex ist die Frage, wer künftig prüfen darf, ob die Betriebe korrekt die Versicherungsbeiträge abliefern. Die Finanz prüft nämlich nur die Abgabenhöhe. Die Kassen prüfen aber auch, ob ein Arbeitnehmer korrekt nach Kollektivvertrag eingestuft ist, ob also dessen Ansprüche gewahrt sind. Wenn eine Person zum Beispiel in einem schlechteren Kollektivvertrag ist, als es ihr zusteht, entgehen ihr am Ende des Arbeitslebens Pensionsansprüche.
Dass alles sehr komplex ist, „überrascht so manchen Regierungsverhandler“, heißt es. Man habe sich damit inhaltlich bisher nicht in der Tiefe auseinander gesetzt, die FPÖ sowieso nicht, und die jungen ÖVPler seien mehr „marketinggetrieben“, heißt es in den aufmüpfigen Bundesländern.
Die Sozialversicherungsträger sollen von 21 auf fünf schrumpfen. Ob das ein Marketing-Gag wird, bleibt abzuwarten, denn wenn die Länder sich durchsetzen, bliebe es bei neun Landeskassen, und es käme eine zehnte Bundeskasse dazu.
Auch mit der Bundeskasse ÖGK wird es schwierig, denn diese deckt laut Regierungskonzept nur die neun Gebietskrankenkassen ab. Sie kann also nicht mir nichts, dir nichts den derzeitigen Hauptverband ersetzen, der für alle Träger zuständig ist: für Bauern, Selbstständige, Beamte, Pensionen, Sonderkassen etc. Der Hauptverband verhandelt beispielsweise für alle Träger die Medikamente (was sie billiger macht). Er harmonisiert die Leistungen, betreibt den gesamten IT-Bereich, die eCard, Elga, eMedikation etc.
Am Mittwoch war eine große EU-Delegation im Hauptverband zu Besuch. Deren Leiterin, Agnes Jongerius aus den Niederlanden, zeigte sich bei der Gelegenheit erstaunt über die Absichten der österreichischen Regierung, das System auf den Kopf zu stellen: „Viele Nachbarstaaten schauen eifersüchtig nach Österreich. Österreich kann stolz sein, ein Sozialversicherungssystem zu haben, das nahezu hundert Prozent der Bevölkerung mit einem sehr guten Leistungspaket abdeckt. Dieses System ist ein Role Model für andere europäische Staaten.“
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