Erstens einmal spricht es für die Schülervertreter, die diese Bedenken geäußert haben – und es widerspricht den Vorurteilen vieler Erwachsener, dass es den Schülerinnen und Schülern nur um Anstrengungsvermeidung geht. Hut ab vor solchen Schülervertretern! Ich glaube, das Kriterium muss sein, ob man bei der Matura ein ehrliches Bemühen des jungen Menschen erkennt. Wenn das spürbar ist, würde ich für Großzügigkeit in der Beurteilung plädieren, auch wenn die Leistung vielleicht etwas hinter den Erwartungen herhinkt. Wenn jemand allerdings nach dem Motto „anything goes“ an die Sache herangeht – ‚ich hab zwar nichts gelernt, aber Corona wird mir’s schon richten‘ – dann wird es wohl negative Konsequenzen geben müssen. Ein reines Spekulieren auf den Corona-Effekt darf sich nicht lohnen.
Es wurde auch die Meinung vertreten, man solle die Matura heuer überhaupt ausfallen lassen. Wäre das eine gute Idee gewesen?
Nein, ich glaube, dass die jetzt gefundene Vorgangsweise, dass man die Noten des Semesterzeugnisses heranzieht und eine Matura in etwas schlankerer Form durchführt, absolut richtig ist.
Auch die Überlegung, ob man statt einer Zentralmatura die Reifeprüfung wieder schulautonom durchführen sollte, stand im Raum …
Das hätte ich nicht für sinnvoll gehalten. Die Zentralmatura ist mit großer Mühe verankert worden, und es ist richtig, auch in diesem Jahr an ihr festzuhalten.
Halten Sie also die Zentralmatura generell für eine gute Einführung? Es gab und gibt ja auch viel Kritik daran …
Ich sehe Verbesserungsbedarf vor allem im musisch-kreativen, im literarischen Bereich, da sollte es mehr Raum für Freiheit geben. Weniger Rotstift und Fehler zählen, aber mehr auf die schöpferische Qualität der Arbeiten achten. Da gibt es sicher Optimierungsbedarf.
Was ist denn die Matura überhaupt heute noch wert? Hat sie an Bedeutung verloren?
Die Matura ist ein wichtiger Zwischenschritt. Sie wird nach wie vor ernst genommen, und ich halte generell nichts davon, Leistungsanforderungen zu streichen. Für die Matura muss man sich hinsetzen, muss man lernen, sie erfordert Anstrengung – ich bin definitiv gegen ein Schulsystem, das die Leistungsvermeidung als oberste Priorität sieht. Also ja zur Matura!
Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Bundesregierung bzw. des zuständigen Ministeriums im Bildungsbereich?
Ich kann die Maßnahmen des Ministeriums nur begrüßen. Erstens hat es klare Kriterien gegeben, zweitens war in den Stellungnahmen von Bildungsminister Heinz Faßmann immer ein großes Verständnis für die Situation der Schülerinnen und Schüler, eine starke menschliche Sympathie, spürbar.
Glauben Sie auch, wie viele Experten, dass durch das Homeschooling die soziale Schere im Bildungsbereich noch weiter aufgegangen ist?
Das ist zweifellos richtig. Und daher ist das Angebot, für Schüler mit Nachholbedarf im Sommer Förderangebote bereitzustellen, absolut wünschenswert. Ich bin nur neugierig, wie und in welchem Maß das umgesetzt wird. Das wird eine große Herausforderung für die Bundesregierung und für die Bildungsdirektionen.
Haben Sie Verständnis für die Lehrergewerkschaft, die sich dagegen gewehrt hat, dass an den Fenstertagen nach Christi Himmelfahrt und Fronleichnam unterrichtet werden soll?
Nein. Rufzeichen!
Inwiefern wird die Corona-Krise das Bildungssystem langfristig ändern?
Ich sehe zwei Punkte: Dass die Digitalisierung des Unterrichts etwas ist, das man mit Energie weiter vorantreiben soll. Und, wahrscheinlich noch wichtiger, dass das soziale Erlebnis Schule unumgänglich ist. Schule passiert nicht sozial atomisiert im Wohnzimmer, sondern braucht das Gemeinschaftserlebnis, die Begegnung mit anderen jungen Menschen und die – oft durchaus konfliktträchtige – Begegnung mit Erwachsenen. Diese soziale Funktion der Schule ist mindestens so wichtig wie die Digitalisierung des Unterrichts.
Was wären Ihre wichtigsten Reformforderungen an das Bildungsministerium im Bereich Schule?
Dass man im Bildungswesen parteipolitischen Hickhack und die Stehsätze der vergangenen Jahrzehnte hinter sich lässt. Ich glaube, dass man erkennen sollte, dass es bestürzende Unterschiede im Zugang zum Bildungswesen gibt. Darüber müsste man über die Parteigrenzen hinweg diskutieren und daraus Richtlinien einer zukünftigen, konsensualeren Bildungspolitik entwickeln.
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