KURIER-Lernhaus: "Haben die schwächsten Noten in zehn Jahren"

KURIER-Lernhaus: "Haben die schwächsten Noten in zehn Jahren"
Seit zehn Jahren gibt es das KURIER-Lernhaus. Die Pandemie hat bei diesen Kindern weitaus tiefere Spuren hinterlassen als anderswo.

Ihre Backen sind rot, die Locken schwarz, und Nevins Mundwerk rattert flott wie eine Nähmaschine. „Wie heißt Du?“, fragt die Neunjährige, sobald man neben ihr Platz genommen hat. Nevin liest gerne vor und spielt mit Buchstaben. Wer Filzstift und Papier zur Hand hat, dem zeigt sie, welche Anagramme sich aus Vornamen machen lassen.

Auf den ersten Blick wirkt Nevin wie viele andere Schulkinder: aufgeweckt und unbeschwert.

Der Eindruck täuscht.

Nevin gehört zu jenen Kindern, die im Bürokraten-Deutsch „bildungsbenachteiligt“ heißen, sprich: Sie haben es schwerer als andere.

Weil sie noch nicht gut genug Deutsch können; und weil es den Eltern an Geld, Zeit, Wissen – und im schlimmsten Fall an allem gleichzeitig – fehlt, um die eigenen Kinder zu unterstützen.

Deshalb sind Nevin und die anderen Kinder selig, wenn sie in der Wiener Schwendergasse sind.

Auf Nummer 25 firmiert hier seit zehn Jahren das vom Roten Kreuz betriebene und vom KURIER unterstützte Lernhaus. Es bietet Schülern zwischen sechs und 15 Jahren Gratis-Hilfe beim Deutschlernen oder den Hausaufgaben. Zusätzlich gibt’s Freizeitbeschäftigungen und Ausflüge.

„Das Lernhaus ist ein Anker“, sagt Pädagogin Pia Szorger, die den Nachmittagsturnus leitet.

Welche Kinder werden betreut? Szorger gibt ein Beispiel: „Ein Mädchen ist hier, weil es irrtümlich im Hort angemeldet war.“ Irrtümlich? „Der Vater konnte kaum Deutsch und hat nicht verstanden, dass die Betreuung in der Schule etwas kostet. Er kann sich das nicht leisten. Jetzt ist das Kind bei uns.“

22 Schüler kommen am Nachmittag, bis zu 36 sind abends da. Die Warteliste ist lang. „Wir könnten sofort 30 weitere Kinder aufnehmen.“ Allein: Es mangelt an Platz und Ressourcen.

KURIER-Lernhaus: "Haben die schwächsten Noten in zehn Jahren"

Neben zwei Angestellten arbeiten Freiwillige und Lernbuddies an einem großen Ziel: dem Schulerfolg.

Es ist keine Überraschung, dass die Covid-Pandemie die Lernhaus-Schüler härter getroffen hat als andere. „Wir mussten das Haus im Lockdown schließen, den Schülern war plötzlich die Struktur genommen“, erzählt Andrea Kotorman vom Roten Kreuz. „Und wir haben viele Freiwillige verloren.“ Dazu muss man wissen: Es sind oft pensionierte Lehrer, die mit den Kindern Mathematik büffeln oder mit ihnen lesen. Die älteste Helferin ist weit über 80.

Dass Covid die Kinder und Jugendlichen extrem belastet, ist längst erwiesen. Die Zahl der Akutfälle in den Jugendpsychiatrien hat signifikant zugenommen.

Wie hat sich die Krise auf das Lernhaus ausgewirkt? „Die Kinder haben zum Teil die Bewegung verlernt, die Schulleistungen sind massiv abgefallen. „Wir haben die schwächsten Durchschnittsnoten in zehn Jahren“, sagt Betreuerin Szorger.

Ein Grund: Obwohl man mit den Schulen versucht hat, fürs Distance Learning Laptops zu organisieren und via Telefon Kontakt zu den Schülern hielt, konnten nicht alle Nachteile beseitigt werden. „Wir haben Kinder, deren Familie zu acht auf 70 Quadratmetern wohnt – da ist Distance Learning allein vom Platz her unmöglich“, sagt Szorger.

Ein Schluss, den die Pädagogin aus der Krise zieht, ist dieser: „Viele unserer Kinder wollten nach dem Lockdown nicht einmal mehr spielen, sie waren aus dem Gleichgewicht.“ Der Druck sei immer noch spür- und sichtbar. „Wir müssen den Kindern wohl mehr Zeit geben, sich emotional wieder zu finden.“ Der Schulstoff sei wichtig, aber: „Das Zwischenmenschliche hat Vorrang.“ Und das ist ein Satz, der vermutlich nicht nur für Kinder wie Nevin gilt.

Alle Informationen zu Spenden und der Arbeit des Lernhauses unter www.kurierlernhaus.at

Kommentare