Es ist mehr als ein Jahr her, dass Thomas Schmid, einstiger Generalsekretär im Finanzministerium, bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine Lebensbeichte abgelegt hat, um sich als Kronzeuge anzudienen.
Die WKStA hat aber noch nicht entschieden, ob sie ihm diesen Schutz gewährt. Und langsam wird er ungeduldig – das erzählt man sich, nachdem Schmid vor knapp drei Wochen erneut zur Einvernahme antreten musste.
➤ Mehr lesen: Sebastian Kurz: "Es ist mir wurscht"
EX-ÖIF-Chef abgeblitzt
Die Nervosität ist verständlich. Schmid hat alles auf eine Karte gesetzt, er hat Ex-Kanzler Sebastian Kurz, dessen Vertraute, mehrere millionenschwere Unternehmer und nicht zuletzt sich selbst schwer belastet. Und erst kürzlich ist ein anderer Kronzeugen-Kandidat bei der WKStA abgeblitzt.
Der ehemalige Chef des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) ist im März 2022 – also in etwa zur selben Zeit wie Schmid – an die Behörde herangetreten, um auszupacken. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Untreue im Zusammenhang mit Immobiliendeals, ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft. In der Hoffnung, er könnte unter den Schutzschirm der WKStA schlüpfen, offenbarte der Ex-ÖIF-Chef, wie zu seiner Zeit (bis 2012) zugunsten des damaligen Integrationsstaatssekretärs Kurz Geld für Inserate abgezweigt worden sein soll.
Der Zeitpunkt schien günstig: Gegen Kurz wurde da schon wegen Inseratenkorruption mit Geld aus dem Finanzministerium ermittelt. Die WKStA schien das Geständnis aber wenig zu beeindrucken. Stattdessen hat ihn die Behörde im Juni wegen der Immobiliendeals angeklagt.
Nicht lügen, nichts weglassen
Der Ex-ÖIF-Chef ist ein mahnendes Beispiel: So einfach ist das nicht mit dem Kronzeugen-Privileg. Die Anforderungen sind hoch. Die Offenbarungen müssen substanziell neu sein, der Kandidat muss seine eigene Schuld eingestehen und einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung leisten. Und: Er darf nicht lügen und nichts weglassen.
Ein Musterbeispiel dafür ist wohl Sabine Beinschab – jene Meinungsforscherin, die für das Boulevardblatt Österreich frisierte Umfragen zugunsten von Kurz bzw. der ÖVP geliefert und Scheinrechnungen gelegt haben soll.
➤ Mehr lesen: Kronzeugin Beinschab: „Ich war im Prinzip ein Trottel“
Beinschab wird in einem Protokoll der WKStA regelrecht gelobt. So habe sie „eine strukturierte Aufstellung“ von eMails, Chats und Dokumenten herausgefiltert und so den Ermittlern die Arbeit erleichtert. Schon im August 2022 – also neun Monate, nachdem die Inseratencausa geplatzt war – hatte sie den Kronzeugenstatus in der Tasche.
Nachwirkungen
Doch auch wenn alles glatt läuft, ist der Kronzeugenstatus noch lange keine Erlösung. Die Staatsanwaltschaft tritt zwar von der Verfolgung zurück, man bleibt strafrechtlich verschont. Das Zivilrecht ist eine andere Geschichte. Stichwort Schadenersatz.
Wir erinnern uns an den allerersten Kronzeugen der Zweiten Republik: Gernot Schieszler, Ex-Telekom-Manager. Mit seinem Geständnis brachte er 2013 unter anderem den Ex-Lobbyisten Peter Hochegger hinter Gitter, er selbst bekam eine Diversion und musste nur Sozialstunden ableisten.
Die Telekom verlangte dann aber Schadenersatz von ihm. Bei einem Vergleich einigte man sich auf 700.000 Euro plus 300.000 Euro Bußgeld. Schieszler ging in Privatkonkurs. 2021 wurden wieder Ermittlungen gegen ihn eingeleitet, weil er Vermögen verschleiert haben soll.
„Die dramatischen zivilrechtlichen Folgen dürften viele abschrecken, auszupacken“, sagt Strafverteidiger Johannes Zink. Zink war bei Großverfahren zur Hypo und zur Causa Eurofighter federführend beteiligt. Ihn verwunderte, dass sich da kein einziger Kronzeuge fand. 2017 hat er beim Handbuch zur Kronzeugenregelung mitgewirkt.
"Im Zivilrecht haften alle solidarisch"
Gerade bei Causen mit hohen Schadenssummen überlegt es sich so mancher gut, ob er sich als Kronzeuge meldet. Von Vorteil ist es da, wenn man möglichst viele Mittäter nennen kann: Im Zivilrecht haften alle solidarisch – egal, wie groß ihr Anteil an der Tat war, sagt Zink.
In der Inseratencausa, zu der Schmid und Beinschab ausgesagt haben, dürften alle in die Ziehung kommen, die an der Erstellung der frisierten Umfragen und an den Scheinrechnungen zu Lasten der Staatskasse beteiligt waren. Sobald das Strafverfahren abgeschlossen ist, könnte die Finanzprokuratur somit auch bei den Kronzeugen anklopfen und im Namen der Republik Schadenersatz verlangen.
Zink (der übrigens vor Kurzem den Ex-ÖIF-Chef als Mandanten übernommen hat) findet, dass die jetzige Regelung zu wenig Anreize biete. „Hinzu kommt, dass Kronzeugen sehr lange keine Rechtssicherheit haben. Erst sehr spät im Verfahren erfährt man, ob man tatsächlich in den Genuss der Kronzeugenregelung kommt.“ Siehe Schmid, dessen Antrag nun schon seit neun Monaten in der Schublade liegt.
Wie viele andere Strafverteidiger fordert auch Zink, dass die Kronzeugenregelung endgültig in den Rechtsbestand aufgenommen wird. Derzeit ist die Regelung, die 2011 geschaffen wurde, immer nur befristet in Kraft. Zuletzt wurde sie bis Ende 2028 verlängert.
Eine Frage des Timings
In Verteidigerkreisen rund um den Ibiza-Verfahrenskomplex geht man davon aus, dass Schmid sich keine Sorgen zu machen brauche – die WKStA werde ihm den Kronzeugenstatus wohl zugestehen.
Es sei nur eine Frage des Timings: Die Casinos-Causa rund um die Postenbesetzung von FPÖ-Bezirksrat Peter Sidlo dürfte vor dem Abschluss stehen. Wie der KURIER erfuhr, hat die WKStA in den vergangenen Wochen noch eine Abschlussrunde gedreht und letzte Stellungnahmen eingeholt, etwa vom früheren Novomatic-Chef Harald Neumann.
Eine Theorie lautet, dass die WKStA den Kronzeugen-Antrag parallel zur Casinos-Anklage an die Fachaufsicht weiterleitet. Beides muss am Ende vom Justizministerium genehmigt werden. Noch eine Hürde, die Schmid nehmen muss.
Kommentare