Sebastian Kurz: "Es ist mir wurscht"
KURIER: „Reden wir über Politik“ heißt Ihr Buch mit Conny Bischofberger. Warum der Rückblick, wenn Sie eine Rückkehr in die Politik ausschließen?
Sebastian Kurz: Es haben mich viele angesprochen, meine Sicht auf die Dinge darzulegen und Einblicke in das zu geben, was ich jetzt tue. Zuerst wollte ich nicht, konnte dann aber der Idee von Conny Bischofberger und dem Verlag etwas abgewinnen. Um Bilanz zu ziehen über 10 Jahre in der Regierung, was uns im Team gelungen ist und was nicht.
Seit Ihrem Rücktritt ist nun mit dem Abgang von Markus Gstöttner niemand mehr aus dem Team Kurz in der ÖVP. Wie viel türkis steckt noch in der ÖVP?
Für mich ist das keine relevante Frage. Ich bin politisch sozialisiert worden in der Zeit von Wolfgang Schüssel. Er hat der Partei seinen Stempel aufgedrückt, in der Koalition mit der FPÖ einen Reformkurs und eine Linie vorgegeben. Danach gab es andere Obleute, die ihre Schwerpunktsetzung hatten.
Was ist rückblickend Ihr Stempel?
Meinem Team und mir war in der Regierung der Kampf gegen illegale Migration wichtig, die Steuerentlastung für kleine und mittlere Einkommen und Familien. Und es war der Wunsch da, neue Wege zu gehen, was die Wahl der Koalitionspartner betrifft, um den Stillstand von Rot-Schwarz zu beenden.
Was haben Sie in der ÖVP hinterlassen?
Nach Wolfgang Schüssel und 15 Jahren endlich wieder zwei gewonne Wahlen für die ÖVP. Die ÖVP hat Jahrzehnte lang keine Bundeswahl gewonnen, Schüssel hat 2002 grandios gesiegt. Wir haben nicht das Niveau von 42 Prozent erreicht, aber 2017 und 2019 als bürgerliche Kraft gewonnen und wieder Platz 1 erreicht. Inhaltlich haben wir eindeutige Schwerpunkte gesetzt wie bei der Migration und das Leistungsprinzip in den Vordergrund gestellt. Reformen, die immer kontroversiell gesehen wurden, wie die Arbeitszeitflexibilisierung oder die Zusammenlegung der Sozialversicherungen, halte ich nach wie vor für wichtig.
Vermissen Sie etwas aus dem politischen Alltag?
Ein Stück weit vermisse ich den Kontakt mit Menschen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. In der Politik hat man die Möglichkeit, an einem Tag mit jüngeren wie älteren Menschen aus der Stadt und vom Land zu sprechen genau so wie mit Generaldirektoren und Mindestpensionisten. Als Politiker kann man nicht nur zuhören, sondern auch versuchen, sich der Probleme anzunehmen. Der innenpolitische Schaukampf, die Aufgeregtheit, der Streit und die Emotionalität gehen mir nicht ab.
Seit wann ist das so?
Abends - am Tag meines Rücktritts - nachdem ich meine Freundin und unseren Sohn aus dem Spital abgeholt habe, bin ich geistig in mein neues Leben eingestiegen. Jetzt habe ich am unternehmerischen Tun Große Freude und Gefallen gefunden.
Sie werden als Beschuldigter in der Chat-Affäre geführt. Empfinden Sie Schuld?
Am Anfang, als die Vorwürfe erhoben worden sind und ich noch Politiker war, habe ich mich sehr geärgert. Ich habe mich ungerecht behandelt gefühlt und: Es hat mich in meiner politischen Tätigkeit behindert, da die falschen Anschuldigungen vom politischen Gegner sofort ausgeschlachtet wurden. Heute spielt es keine Rolle mehr, aber ich gebe zu: Ich freue mich auf den Tag, an dem sich herausstellen wird, dass diese Vorwürfe gegen mich falsch waren. Es sind mittlerweile zwei Dutzend Personen einvernommen worden, deren Aussagen für mich allesamt entlastend waren. Gut Ding braucht Weile.
Ermittlungen und Verfahren dauern lange. Mit welchem Zeithorizont rechnen Sie?
Ehrlicherweise beschäftige ich mich nicht mehr so sehr damit. Ich bin ein geduldiger Mensch. Es wird der Tag kommen, da wird bekannt werden, dass diese Vorwürfe falsch sind. Das werde ich genießen, aber das war es dann auch für mich.
Heute arbeiten Sie mit umstrittenen Personen wie Ex-PayPal-Gründer Peter Thiel und der Ex-Pegasus-Gründer Shalev Hulio und geraten so in die Schlagzeilen…
… immer, wenn man als Politiker in einer Spitzenfunktion tätig war und eine Meinung vertreten, Ecken und Kanten gezeigt hat wie ich, dann ist völlig klar, dass man unter Beobachtung steht. Dass ich kritisiert werde, das halte ich aus. Mehr noch, ich würde sagen: Es ist mir wurscht.
Tech-Milliardär Peter Thiel unterstützte US-Präsident Trump, Hulio hat die Spionagesoftware Pegasus entwickelt.
Thiel ist ein Unterstützer der Republikaner, er ist aber vor allem einer der erfolgreichsten Investoren der Welt. Er hat Firmen wie Facebook und PayPal geprägt.
Warum das Engagement mit Shalev Hulio, dessen Software Menschenrechtsaktivist Mansoor und den ermordeten Journalisten Kashoggi ausspionierte?
Das von uns gegründete Unternehmen Dream Security hat damit nichts zu tun. Es beschäftigt sich vielmehr genau mit dem Gegenteil. Mit der Abwehr von Cyberattacken und dem Schutz der kritischen Infrastruktur wie der Energie-, Wasser- oder Gesundheitsversorgung oder großen Produktionsstätten.
Gibt es moralische No-Gos als Unternehmer?
Ich habe immer klar gewusst, was ich will und was nicht. Ich habe keine moralischen Bedenken, wenn ich in Cybersecurity zum Schutz vor Angriffen auf kritische Infrastruktur investiere – die gerade jetzt notwendig ist wie nie zuvor oder mit einem Investor zusammenarbeite, der nicht links der Mitte steht.
Wie hoch ist das Risiko, das Sie nehmen?
Wenn man investiert in Start-Ups, dann gibt es eine klare Regel: Es gibt keine Chance ohne Risiko. Ein aktuelles Beispiel: an unserem Cybersecurity Unternehmen haben sich binnen kurzer Zeit Investoren aus den USA und Israel mit 20 Millionen Dollar eingekauft.
Ex-Kanzler Christian Kern ist auch in Israel tätig, investiert in Unternehmen. Vorstellbar, dass Sie sich irgendwo gemeinsam beteiligen?
Das würde mich sehr überraschen.
Wo und für wen arbeiten Sie derzeit konkret?
Es gibt meine Beratertätigkeit für Thiel-Capital, die Cybersecurity-Unternehmung in Tel Aviv, das Unternehmen mit Alexander Schütz und meine eigene Beteiligungsfirma. Im Schnitt bin ich eine Woche pro Monat in Österreich. Wann immer es möglich ist, reise ich mit meiner Freundin und unserem Sohn. Am häufigsten bin ich in Middle East, regelmäßig in den USA aber auch in europäischen Ländern und asiatischen Staaten.
Begreifen Sie sich als Österreicher, Europäer?
Ich bin und bleibe Patriot, Österreicher und Europäer und genieße es, auf der ganzen Welt unterwegs sein zu können.
Ist Ihnen jetzt Perfektion ebenso wichtig als Politiker, wie es im Buch heißt?
28. September 2021: Erneut ist Sebastian Kurz als Auskunftsperson im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss geladen.
3. Juni 2021: Kurz am Podium beim Swiss Economic Forum in Interlaken, weitere Auftritte u.a. in Salzburg folgen
14. Mai 2021: .... Karl Nehammer wird mit 100 Prozent zum Nachfolger von Sebastian Kurz an der Spitze der Volkspartei gewählt.
14. Mai 2021: ÖVP-Parteitag in Graz. Die Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz sprechen über die Herausforderungen der Partei...
Frühjahr 2022: Die Neue Volkspartei von Sebastian Kurz wird zu "Die Volkspartei" von Karl Nehammer. Generalsekretärin Laura Sachslehner tritt am 10. September zurück. Ihr folgt Christian Stocker
7. Mai 2022: Steiermarks Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer wird 70. Ex-Regierungschef Kurz und Kanzler Nehammer gratulieren
Dezember 2021: Wenige Woche nach seinem Abschied aus der Politik, gibt Kurz seine Tätigkeit für Investor Peter Thiel bekannt
3.12.2021: Kurz mit seinem ehemaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli, der nach wenigen Monaten ebenfalls die Politik in Richtung Privatwirtschaft verlassen wird
3.12.2021: Noch-Innenminister Karl Nehammer wird zum Regierungschef und ÖVP-Chef
2.12.2021:"„Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher. Ich bin ein Mensch mit
Stärken und Schwächen", sagt Sebastian Kurz und tritt in der politischen Akademie der Volkspartei von sämtlichen Ämtern zurück.
9.11.2021: An den Feierlichkeiten zur Shoah Namensmauer Gedenkstätte in Wien nimmt Kurz neben dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, Israels Minister für Diaspora-Angelegenheiten Nachman Shai und Europaminister Karoline Edtstadler teil
Oktober 2021: Der Rücktritt des dereinst jüngsten Außenministers und Regierungschefs der II Republik sorgt nicht nur im Inland für Schlagzeilen
14.10.2021: Klubchef und Nicht-mehr-Kanzler Kurz lobt das Budget von Finanzminister Gernot Blümel. Er wird keine zwei Monate später die Politik verlassen
14.10.2021: Sebastian Kurz nimmt als einfacher Mandatar und nunmehriger ÖVP-Klubchef neben August Wöginger Platz. Eine Reihe dahinter: ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior, der diese Position mit Jahresende aufgeben wird
12.10.2021: Sondersitzung im Parlament, draußen Aktionismus, Schallenberg als Kurz' Marionette
11.10.2021: Alexander Schallenberg gibt sein erstes Statement als Kanzler. Er werde "selbstverständlich eng" mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz zusammenarbeiten
11.10.2021: Außenminister Michael Linhart und sein Vorgänger, Regierungschef Alexander Schallenberg nach der Angelobung
11.10.2021: Alexander Schallenberg und Werner Kogler auf dem Weg zur Angelobung des neuen Regierungschefs und Außenministers
10.10. 2021: Außenminister Alexander Schallenberg, designierter Regierungschef der türkis-grünen Koalition, auf dem Weg von der Hofburg
09.10.2021: In den Nachtstunden zwischen Bundeskanzleramt und Hofburg sehen einige Demonstranten das Ende der Koalition gekommen. Es kommt anders.
09.10.2021: Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler gibt kurz vor nach dem Rücktritt des Kanzlers ein Statement ab
9.10.2021: Während der Hauptnachrichten tritt Sebastian Kurz vor die Kameras im Kanzleramt und verkündet seinen Rücktritt von der Regierungsspitze. Sein Nachfolger soll Außenminister Alexander Schallenberg werden.
7.10.2021: Demonstration vor der ÖVP-Zentrale in Wiener Lichtenfelsgasse wie dereinst nach Publikwerden des Ibiza-Videos 2019
7.10.2021: Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz auf dem Weg zu Bundespräsident Alexander Van der Bellen
6.10.2021: Westbalkan-Gipfel der EU-Regierungschefs in Slowenien. Währenddessen finden im Bundeskanzleramt in Wien, in der ÖVP-Zentrale und im Finanzministerium Hausdurchsuchungen statt.
Ich habe mich kaum verändert und mag Professionalität. Man braucht überall 100 Prozent Einsatz, um etwas auf den Boden zu bringen. Es geht immer um Menschen und darum, Teams zusammenzustellen und an einem Strang zu ziehen. Der Unterschied: In der Wirtschaft und bei Start-ups geht es stärker um Zahlen, Daten, Fakten und weniger um Meinung. Das finde ich angenehm.
Drei Fragen zum Schluss: Sie nennen Niki Lauda, Wolfgang Schüssel, Ihre Eltern als Vorbild. Was ist an Ihnen vorbildlich?
Das müssen andere beantworten. Ich hatte eine liebevolle, geborgene Kindheit, bin liberal erzogen worden. Wenn ich das bei meinem eigenen Sohn nur halbwegs so hinbekomme, dann bin ich sehr zufrieden.
Mit Hofburg-Kandidat Dominik Wlazny hat ein gleichaltriger Politiker wie Sie die politische Bühne betreten. Wird er bleiben?
Ich maße mir keine Beurteilung an, weil ich den Wahlkampf nicht mitverfolgt habe.
Sie gehen gerne bergsteigen. Der Weg nach unten ist genau so wichtig wie der Gipfel, steht in Ihrem Buch. Sind Sie beruflich gerade im Tal, auf einer Gratwanderung oder am Gipfel?
Ich baue meine Unternehmungen gerade auf, also: Es ist sehr viel in Bewegung.
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