Neue "Pegasus"-Enthüllungen: Abhörskandal erschüttert Israel
Israels Medien enthüllen seit zwei Wochen immer neuere und beunruhigendere Details zu mutmaßlich illegalen Abhörmethoden der israelischen Polizei in den vergangenen Jahren. Mit unzureichenden oder auch ganz ohne richterliche Genehmigungen sollen sich polizeiliche Ermittler mit hochmoderner Spyware in Telefone Verdächtiger gehackt haben.
Dabei wurde abgehört, aber auch der gesamte Dateninhalt konnte abgelesen werden. Auch von Personen, die mit den Verdächtigen in Kontakt standen. Unter den Betroffenen sind Politiker, deren Berater, politische Aktivisten, Journalisten, Staatssekretäre und Wirtschaftsbosse.
Sehr viele Betroffene
Abgehört wurden dabei linke wie rechte Politiker und Aktivisten. Ein Radio-Moderator meinte zuletzt etwa höhnisch: „Zumindest Einseitigkeit ist der Polizei nicht vorzuwerfen.“ Zu den Opfern zählen zudem der Vorsitzende des Verbandes äthiopischer Einwanderer, Organisatoren von Anti-Netanjahu-Protesten, der Chef einer Discounter-Warenkette bis hin zu Mitgliedern der Familie von Ex-Premier Benjamin Netanjahu. So soll etwa die außereheliche Affäre eines Anti-Netanjahu-Aktivisten als „nützlich für weitere Ermittlungen“ abgelegt worden sein.
Im Mittelpunkt steht wieder der israelische Spyware-Entwickler NSO und sein Hacker-Programm „Pegasus“. Weltweit nutzen Geheimdienste die Software im Kampf gegen Terror und Verbrechen. Aber auch zur Überwachung von Regime-Gegnern, etwa Journalisten. So hackte sich der chinesische Geheimdienst mit „Pegasus“ in Smartphones der verfolgten uigurischen Minderheit und anderer Regimekritiker.
NSO wäscht seine Tastaturfinger freilich in Unschuld: „Für den Missbrauch unserer Produkte sind nicht wir verantwortlich.“ Tatsächlich scheiterte ein Versuch des israelischen Menschenrechtsverbandes, den Export von „Pegasus“ an Diktaturen zu verhindern, am Obersten Gericht. Im Urteil hieß es: „Unsere Wirtschaft hängt von diesen Exporten ab.“ Der Export-Schlager „Pegasus“ wurde so auch zu einem diplomatischen Hilfsmittel. Wo immer der damalige Premier Benjamin Netanjahu anreiste, hatte er „Pegasus“ im Gepäck: Indien, Aserbaidschan, die Golfstaaten, Ruanda.
Doch auch in Israel ist „Pegasus“ jetzt eben ein Riesenthema. Die Anhänger von Netanjahu fordern nun gar die Annullierung der Korruptionsanklage gegen den Ex-Premier. Soll „Pegasus“ doch auch in den Ermittlungen gegen Netanjahu zum Einsatz gekommen sein.
Sein Nachfolger Naftali Bennett hat eine „tiefgehende und umfangreiche Untersuchung“ angekündigt. Polizeiminister Omer Barlev von den Sozialdemokraten will einem von ihm einzurichtenden Ausschuss richterliche Vollmachten verleihen. „In meiner Schicht passiert so etwas nicht mehr. Was passiert ist, wird gründlich untersucht.“
„Wir sind ein Geist“
Transparenz ist freilich entscheidend: Bennett und auch Innenministerin Ajelet Schaked sind seit Jahrzehnten eng mit der NSO-Präsidentin Schiri Dolev befreundet. Als 2020 Israels Inlandsgeheimdienst es aus juristischen Gründen ablehnte, über „Pegasus“ Corona-Infizierte aufzuspüren, wollte NSO für ihn einspringen. Damals machten der Geheimdienstchef und weitere Beamte eine demokratischere Figur als die Politiker.
Auch in EU-Staaten wie Ungarn und Polen sollen mit „Pegasus“ Regierungskritiker ausspioniert worden sein. Gekauft wurde das Ausspäh-Programm auch vom deutschen Bundeskriminalamt und Schweizer Sicherheitsorganen. Ob es hier allein dem Kampf gegen die Mafia und Pädophile dient, wollen nicht alle glauben – und verweisen auf das Leitmotiv von NSO-Gründer Omri Lavie aus dem Jahr 2013: „Wir sind ein Geist. Unsere Ziele sind unsichtbar, unsere Arbeit ist spurlos.“
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