Wie viel Kurz steckt noch heute in der ÖVP?
Da war er wieder, mitten im Parlament. Und als Sebastian Kurz vergangenen Mittwoch im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss auftrat, schien es, als würde den Ex-Kanzler die Stipp-Visite auf der gewohnten Bühne amüsieren. „Wir haben uns ja länger nicht gesehen“, sagte der Ex-Kanzler neckisch zu Journalisten. „Länger“? Genau genommen ist es schon ein Jahr her.
Heute, Donnerstag, jährt sich der Tag, der den Anfang vom Ende der Ära Kurz bedeuten sollte.
Kurz steht mittlerweile im Sold des deutsch-amerikanischen Milliardärs, Trump-Förderers und Demokratie-Kritikers Peter Thiel. Und er hat, so erzählen Freunde, derzeit keine Lust auf die Politik.
Wie aber steht es um die Partei, die ihn vor 14 Monaten mit 99,4 % als Chef bestätigt hat? Wie viel Kurz steckt noch in der ÖVP?
„Oberflächlich betrachtet: sehr viel“, sagt ein hochrangiger ÖVP-Stratege. „Der Karl (Nehammer; Anm.) war Sebastians Generalsekretär und Innenminister. Die Ministerinnen Tanner, Raab und Edtstadler haben ebenfalls zum engeren Kurz-Team gehört und sind bis heute in zentralen Funktionen.“
Dem nicht genug, ist auch auf den unteren Ebenen vieles unverändert. Zwar haben etliche Kurz-Freunde – darunter die Ex-Minister Blümel und Köstinger – die Politik verlassen. Aber andere sind im ÖVP-Klub „untergeschlüpft“ oder werken in Minister-Kabinetten.
Die Partei hat nicht radikal mit Kurz gebrochen, sprich die „Türkisen“ verjagt.
Aber das wäre auch ein realpolitisch naiver Zugang. Denn das Wichtigste, was die Partei nach außen hin hinter Kurz versammelt hat, waren nie persönliche Sympathie oder die Begeisterung für das unleugbare Talent des jungen Parteichefs. Entscheidend war ein Wort: Erfolg.
„Sebastian hat uns auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene Wahlerfolge garantiert, der Kurz-Faktor, also das zusätzliche Plus, das die ÖVP mit ihm an der Spitze bekommen hat, war in Umfragen messbar. Damit haben sich viele Debatten um den Kurs erübrigt. Nichts ist überzeugender als der Erfolg“, erzählt ein ÖVP-Landesparteimanager, der seinen Namen nicht in einem Text lesen will.
Beispielhaft sei die zuwanderungskritische Haltung der Kurz-ÖVP – Stichwort: Balkanroute – erwähnt. Einzelne ÖVP-Bünde und Landesorganisationen haben den rechtskonservativen Zugang intern zumindest hinterfragt. So hatten hochrangige Wirtschaftsbündler sogar in der Hochphase der Kurz’schen Popularität Bauchweh, weil man Flüchtlinge in Lehrlingsberufen ausbildet, um sie dann öffentlichkeitswirksam abzuschieben – und das vor dem Hintergrund, dass heimische Unternehmer händeringend nach Personal suchen.
Moralische Linien
Erst als interne Chats die charakterlichen Defizite von Kurz-Vertrauten schriftlich offenbarten, sagten Landesparteichefs wie der Oberösterreicher Thomas Stelzer oder der Vorarlberger Markus Wallner wieder laut, was angesichts der guten ÖVP-Werte intern unpopulär war, nämlich: dass man programmatisch den Kompass nicht verlieren darf; und dass man „als Partei einen gewissen Anspruch hat, wie man miteinander umgeht und welche moralischen Linien man zieht“ (© Stelzer).
Bemerkenswert ist, dass sowohl in der ÖVP als auch beim Koalitionspartner so etwas wie zarte Sehnsucht nach der oft beschriebenen und kritisierten Message Control zu spüren ist. Mit dem Abgang von Kurz kam der Partei das Gravitationszentrum abhanden, Bünde und Länder spielen sich wieder stärker in den Vordergrund.
„Kurz’ Team hat perfekt funktioniert. Jeder wusste, wofür der andere verantwortlich ist – und alle haben dem Kanzler zugearbeitet“, erzählt ein grüner Ministermitarbeiter durchaus anerkennend. Natürlich habe man „höllisch“ aufpassen müssen, dass diese „gut geschmierte Macht-Maschine“ einen nicht übervorteile. „Aber andererseits wusste man: Wenn der Bonelli zustimmt (Kurz’ Kabinettschef; Anm.), dann passt das für den Kanzler und die Partei, der Deal hält. Heute ist die Sache komplizierter.“
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