Regierungsverhandlungen: Der Reiz und das Risiko des Neuen
Sollte sie zustande kommen, wäre sie streng genommen gar keine Premiere: Schon in der Gründungsphase der Zweiten Republik gab es eine Dreierkoalition in Form einer Konzentrationsregierung, bestehend aus ÖVP, SPÖ und KPÖ. Freilich unter den mit heute überhaupt nicht vergleichbaren Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit samt alliierter Besatzung.
Und so wird man sehr wohl von einer gewissen Zeitenwende sprechen können, wenn demnächst vielleicht eine Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos gebildet wird, um die mandatsstärkste FPÖ (auch das eine Premiere) zu verhindern.
Dabei waren Regierungsbildungen in Österreich nach 1945 über weite Strecken im internationalen Vergleich sehr vorhersehbar. „Sie waren de facto reine Formsache“, sagt der Politologe Peter Filzmaier. „ÖVP und SPÖ regierten entweder alleine oder bildeten gemeinsam eine Koalition, wobei sich im Laufe der Jahre nur die Reihenfolge der beiden Parteien änderte.“
Ein System, das trotz aller – bis in die Zwischenkriegszeit reichenden – Gegensätze funktionierte. Auch dank einer starken Sozialpartnerschaft.
Umso mehr stechen die Brüche in diesem über Jahrzehnte so stabilen Gefüge hervor, die zum Teil bis in die Gegenwart nachwirken.
SPÖ und FPÖ
Es war ein bemerkenswerter Coup des damaligen SPÖ-Chefs Bruno Kreisky: Nach seinem Wahlsieg 1970 formte er eine rote Minderheitsregierung unter Duldung der FPÖ. Die Blauen erhielten dafür eine ihnen entgegenkommende Wahlrechtsreform. Weiters wurde ihnen in Aussicht gestellt, nach der Neuwahl 1971 Teil der Regierung zu werden. „Die Kooperation mit der FPÖ war nicht zuletzt aufgrund der SS-Vergangenheit von FPÖ-Chef Friedrich Peter SPÖ-intern massiv umstritten“, sagt Filzmaier.
„Nur Bruno Kreisky mit seiner jüdischen Abstammung und seiner Geschichte als Flüchtling vor dem NS-Regime konnte sich darüber hinwegsetzen.“ 1971 eroberte die SPÖ dann aber ohnehin die absolute Mehrheit, die Koalition mit der FPÖ kam erst 1983 zustande. Sie zerbrach 1986 mit der Kür Jörg Haiders zum FPÖ-Parteichef.
ÖVP und FPÖ I
Es folgten 13 Jahre der klassischen Großen Koalition, nur diesmal mit der ÖVP als Juniorpartner. Eine Rolle, die den Schwarzen bei Wahlen alles andere als gut bekam. „Es setzte sich parteiintern die Überzeugung durch, dass man in dieser Konstellation nie wieder auf Platz eins kommen könne“, sagt der Experte. Und so ließ sich im Jahr 2000 ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, der bei der Wahl davor nur Dritter wurde, von der zweitplatzierten FPÖ zum Kanzler machen.
Filzmaier geht in der Rückschau aber nicht davon aus, dass Schüssel von Anfang an ein solches Bündnis plante und über Monate nur zum Schein mit der SPÖ verhandelte. Jedenfalls hatte die ÖVP mit der unerfahrenen und personell schlecht aufgestellten FPÖ leichtes Spiel, die letztlich am Spagat zwischen Populismus und Regierungsverantwortung scheiterte.
ÖVP und FPÖ II
Somit wurde 2006 die Große Koalition fortgesetzt. Mit einer ÖVP, die abermals in der undankbaren Rolle als Juniorpartner gefangen war, weil die nach ihrer Regierungsbeteiligung arg zerzauste und gespaltene FPÖ laut Filzmaier vorerst kein ernst zu nehmender Partner war.
Dies änderte sich erst, als sich das dritte Lager nach dem Tod Haiders wieder einte – und mit dem ÖVP-internen Aufstieg von Sebastian Kurz, der 2017 Reinhold Mitterlehner von der Parteispitze verdrängte und Neuwahlen vom Zaun brach. Bei denen er das bis dato schwer Vorstellbare schaffte und die Kanzlerpartei SPÖ auf Platz zwei verwies. „Er hat sich erfolgreich als politischer Neueinsteiger inszeniert, obwohl er das keineswegs war. Auch mithilfe billiger Gags wie eines neuen Parteinamens und türkis als neuer Parteifarbe“, analysiert Filzmaier.
Für ihn sei Türkis-Blau als Langzeit-Projekt über mindestens zwei Legislaturperioden konzipiert gewesen. Angesichts einer FPÖ, die ihre Lehren aus 1999 gezogen hatte, und nun einen deutlich stabileren Regierungspartner abgab, kein ganz unrealistischer Plan. Doch dann kam 2019 der Ibiza-Skandal.
ÖVP und Grüne
Angesichts einer abermals stark ramponierten FPÖ und einer SPÖ, der er nach wie vor mit innigster Antipathie verbunden war, blieben für Kurz nach den folgenden Neuwahlen de facto nur die Grünen als Koalitionspartner übrig. Immerhin konnte die ÖVP auf erfolgreiche Kooperationen in Ländern wie Oberösterreich oder Vorarlberg mit den dortigen grünen Realos aufbauen, so der Politologe.
Freilich galt es – ganz anders als mit der FPÖ – große inhaltliche Gegensätze zu überwinden. Dies gelang laut Filzmaier, weil sich die Parteien gegenseitig Spielwiesen zugestanden: Den Klimaschutz auf der grünen und wirtschaftspolitische Maßnahmen wie die KÖSt-Senkung auf der türkisen Seite.
Jetzt verhandeln wieder Parteien, die ideologisch weit auseinander stehen. Das gilt vor allem für ÖVP und SPÖ und ihren völlig unterschiedlichen wirtschafts- und budgetpolitischen Ansätzen.
Können also die Verhandler von Schwarz, Rot und Pink von ihrer Vorgänger-Koalition lernen? Filzmaier ist skeptisch: Allein die Dreierkonstellation mache es schon ungleich schwieriger. Hinzu komme die trostlose Budget-Situation, die kostenintensiven Prestigeprojekten für die jeweilige Klientel im Wege stehe.
Eine positive Botschaft hat der Experte für die aktuellen Protagonisten aber doch: „Das aktuelle negative Beispiel Deutschland mag darüber hinwegtäuschen, aber international gesehen gibt es keine Statistik, wonach Dreier- weniger lang halten als Zweierkoalitionen.“
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