Seit Freitag ist es offiziell und mit ihrer Unterschrift besiegelt: Österreich will wie die neutrale Schweiz dem europäischen Luftverteidigungssystem „Sky Shield“ beitreten. Die ÖVP-Verteidigungsministerin erklärt, warum und was von ihrer Amtszeit in Erinnerung bleiben wird.
Klaudia Tanner: Ich habe es so bezeichnet, weil wir ein zusätzliches Element im Schutz für die Österreicherinnen und Österreicher setzen, das es in dem Ausmaß noch nicht gegeben hat.
Sky Shield wurde im Herbst 2022 initiiert, warum kam Österreichs Absichtserklärung zum Beitritt genau jetzt?
Es gab den Wunsch, dass wir als neutrales Land dabei sind, auch, um Fähigkeitslücken zu schließen. Nach dem Abwägen aller Argumente und ersten Gesprächen im November 2022 kam es nun zur Absichtserklärung.
Sky Shield soll als gemeinsamer Verteidigungsschutzschirm für den Luftraum erst 2025 funktionieren. Was tun wir bis dahin, zumal alle Staaten nicht ausreichend geschützt scheinen?
Genau deshalb gibt es diese Initiative. Seit dem 24.2.2022 haben wir es durch den Angriffskrieg auf die Ukraine mit einer anderen Bedrohungslage zu tun. Und: Es ist ja nicht so, dass wir jetzt ungeschützt sind. Wir haben mit dem Goldhauben-System beispielsweise Sensoren, die den höchsten Standards entsprechen, wenn es um das Erkennen von Radardaten geht.
Wie teuer wird Sky Shield für Österreich?
Wir haben durch die Absichtserklärung jetzt erst sichergestellt, dass wir Zugang zu allen Planungsdokumenten und anderen Informationen erhalten. Unser Aufbauplan bis 2032 sieht zwei Milliarden Euro für die Raketenabwehr vor.
Handelt es sich um den größten Budgetposten innerhalb der Luftabwehr?
7 Milliarden Euro sind für die Bewaffnung und Ausrüstung vorgesehen, 5 Milliarden fließen in den Bereich Mobilität, zu dem auch Luftkomponenten gehören, und 3 Milliarden in die Infrastruktur.
Apropos Luftraum: Planen Sie, die Eurofighter-Flotte aufzustocken?
Es ist jedenfalls geplant, bei der Nachtidentifizierungsfähigkeit der Eurofighter zu investieren. Ob weitere Beschaffungen sinnvoll sind, das wird derzeit geprüft. Wir haben 15 Eurofighter, die Einsitzer sind, und einige davon sind nachzurüsten. 60 mal im Jahr müssen sie jedenfalls aufsteigen – nur so viel dazu, ob unser Luftraum überwacht werden muss. Bei den Hercules-Transportmaschinen werden wir 4 bis 5 neue bis 2029 beschaffen und diese am besten noch 2024 bestellen.
Kritiker sehen durch diese Absichtserklärung die Neutralität gefährdet, wenn nicht sogar ausgehöhlt. Was kontern Sie diesen?
Es ist doch gerade die Aufgabe der umfassenden Landesverteidigung, die Österreicherinnen und Österreicher zu schützen. Das steht in unserer Verfassung. Was heißt, neutral zu sein? Wir sind militärisch neutral, aber nicht politisch..
Was ist Ihrer Auffassung von militärischer Neutralität?
Wir liefern keine letalen Waffen und bilden nicht an diesen aus. Wir diskutieren die Neutralität rechtlich und wir diskutieren sie wie beim EU-Beitritt Österreichs.
Widerspruch: Der Kanzler selbst hat die Neutralitätsdebatte sofort für beendet erklärt. Und das, obwohl zum ersten Mal wieder Krieg in Europa herrscht. Vielleicht muss auch die Verfassung geändert und den Gegebenheiten der Gegenwart angepasst werden.
Ich bin auf die Verfassung angelobt und sie zu ändern, das bedarf einer Zweidrittelmehrheit, die es dafür nicht geben wird. Die Neutralität verteidigt uns nicht und sie schützt uns nicht. Schützen kann nur ein gut ausgestattetes Bundesheer. Wenn in Kiew die Bomben vom Himmel fallen, dann wollen wir Berlin und Wien nicht geschützt wissen? Das ist ein seltsames Verständnis von Neutralität.
Was ist ihr Verständnis von Neutralität?Dass das Gros der Sky Shield-Staaten der NATO angehört, passt für viele nicht zum neutralen Österreich?
Neutral sein bedeutet, dass wir uns an keinen Kriegen beteiligen und auch keine fremden Truppen bei uns stationiert sind und wir keinem Bündnis beitreten. Jetzige Kritiker wie die FPÖ wollten vor Jahren selbst noch der NATO beitreten.
Dass viele Staaten der NATO angehören, das ist kein Ausschlussgrund, denn ich darf Sie daran erinnern, dass wir Mitglied für die Partnerschaft für den Frieden sind. Wir arbeiten zusammen am Kosovo. KFOR ist eine NATO-geführte Friedensmission – das dürfen wir alle in der Diskussion nicht vergessen.
Wenn jetzt so viel in die Luftabwehr investiert wird – wie gut sind wir am Boden gerüstet?
560 Millionen Euro werden beispielsweise in die Panzer investiert werden. Aber nochmals zurück zu Sky Shield: Ich will mir in 10 Jahren nicht sagen lassen: „Warum habt ihr diese Chance nicht genützt“. Wir sind weder Trittbrettfahrer, wie oft kundgetan, noch sind wir als neutraler Staat allein. Zypern, Malta und die Schweiz sind ebenfalls neutral. Zudem, das bitte ich Sie immer zu bedenken: Wir agieren als Regierung nicht gegen den Willen der Bevölkerung.
Wer sagt Ihnen, dass die Österreicher die Neutralität beibehalten wollen? Umfragen?
Wir schauen uns immer sehr genau die Wehrbereitschaft der Österreicherinnen und Österreicher an. Sie ist seit Jahrzehnten auffallend niedrig und liegt bei rund 25 Prozent. Und die Rate hat sich seit dem Ukraine-Krieg nicht merklich verändert. In Finnland und Schweden, das liegt auch an der geographischen Exponiertheit, ist die Wehrbereitschaft weit höher.
Bei all den Anschaffungsplänen von denen wir gesprochen haben und dem aufgestockten Budget: Haben Sie überhaupt das Personal für das neue Gerät?
Das ist in der Tat eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung der kommenden Jahre. Wie im öffentlichen Dienst generell sind wir mit vielen Abgängen durch Pensionen und schwachen Geburtenjahrgängen konfrontiert.
Was wir sehen ist, dass neues Gerät das Heer wieder für mehr Menschen interessant macht als früher. Da hieß es, wir hätten nicht mal genug Geld fürs Tanken.
Kommen auch mehr Frauen?
Durch unsere Offensive: Ja! Ich bin immer wieder überrascht, dass es 25 Jahre lang allen wurscht war oder niemandem aufgefallen ist, dass wir für Frauen eine derart hohe Hürde bei den Musterungen einziehen. Frauen mussten zum Heerespersonalamt und höhere Leistungsstufen erreichen als Männer. Jetzt gibt es sechs Stellungsstraßen und die gleichen Anforderungen wie bei den Burschen.
Muss das Bundesheer wie die Polizei das Niveau nach unten schrauben?
Wir haben vor Jahren die Teiltauglichkeit eingeführt und uns von dieser mehr erhofft. Statt der erhofften 2.000 kamen nur rund 900. Wir müssen bei dem Niveau auch aufpassen, weil am Ende des Tages sind es jene in der Luft und am Boden, die die Österreicherinnen und Österreicher schützen.
Können Sie mit mehr Geld locken?
Nein. Was wir tun können, das ist uns wie im Militärmedizin-Bereich Studienplätze zu sichern beispielsweise. Das heißt die Studierenden verpflichten sich damit auch, danach bei uns zu bleiben. Im Bereich IKT haben wir an der Militärakademie in Wiener Neustadt einen eigenen Lehrgang ins Leben gerufen. Beim Wehrdienst können wir nach 6 Monaten nun bei zusätzlichen drei Monaten unter dem Motto "Mein Dienst für Österreich“ 3.000 Euro netto anbieten. Das wird gut angenommen.
Was soll von Ihnen als Ministerin bleiben – außer, dass Sie die erste Frau im Amt waren?
Alles, was ich Ihnen vorher erzählt habe. Ich habe das höchste Verteidigungsbudget jemals durchgebracht und das über einen Zeitraum, der weit über die nächste und übernächste Legislaturperiode hinausgeht. Wer kann das von sich behaupten? Die Position der Verteidigungsministerin ist mein Traumjob – ich hätte auch keinen anderen gemacht.
Würden Sie einer nächsten Regierung angehören, die von der FPÖ oder von Hertbert Kickl angeführt ist?
Das ist eine Horror-Vorstellung. Aber die Frage stellt sich nicht. Ich beschäftige mich damit, das Heer aus- und aufzurüsten. Und nächstes Jahr damit, dass die ÖVP als Erster durchs Ziel geht.
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