Home Schooling nun auch Fall für den Verfassungsgerichtshof

STERBEHILFE - VFGH KIPPT VERBOT VON BEIHILFE ZUM SELBSTMORD
Seit April rund 200 Anträge zu Corona-Maßnahmen. VfGH berät in neuer Session auch zu Betretungsverbot für Sportstätten.

Die Maskenpflicht in Schulgebäuden im Frühjahr? Verfassungswidrig. Das Betretungsverbot für öffentliche Räume während der ersten Corona-Welle? Verfassungswidrig.

Seit April 2020 sind beim Verfassungsgerichtshof rund 200 Anträge eingelangt, die sich gegen die aus Anlass der Pandemie getroffenen (Schutz‑)Maßnahmen wenden. Insgesamt rund 130 wurden bereits erledigt – bekanntlich nicht immer im Sinne der viel gescholtenen Juristen des Gesundheitsministeriums.

Ab Dienstag tritt der VfGH nun zu einer neuen Session zusammen. An der Tagesordnung:

Fälle im Zusammenhang mit dem Betretungsverbot für Sport- und Freizeitbetriebe, Distance Learning, die Auskunftserteilung an die Gesundheitsbehörde bei Corona-Verdachtsfällen und der Anspruch auf Pauschalentschädigung bei "verlängertem" außerordentlichem Zivildienst.

In Zukunft sollen Verfassungsrichter eine zur Mehrheit abweichende Rechts-Meinung schriftlich in einem sogenannten "Sondervotum" festhalten können. Eine Verpflichtung dazu besteht nicht - derzeit ist es aber noch so, dass nicht ersichtlich ist, welcher Verfassungsrichter welcher Meinung ist, relevant ist lediglich, dass es eine Mehrheit gibt. 

Verstößt Homeschooling gegen Grundrecht auf Bildung? 

Beim Homeschooling wenden sich mehrere Schüler mit Individualanträgen auf Verordnungsprüfung dagegen, dass der Unterricht an Schulen vom 17. November bis 6. Dezember 2020 in ortsungebundener Form organisiert war, also als "Distance Learning". Die entsprechenden Regelungen der Covid-19-Schulverordnung hätten sowohl gegen den Gleichheitsgrundsatz als auch gegen das Grundrecht auf Bildung verstoßen, wird argumentiert.

Beim Betretungsverbot für Sport- und Freizeitbetriebe geht es um den Inhaber eines Fischteiches, der von der Bezirkshauptmannschaft eine Strafe erhielt, weil er nicht dafür gesorgt hatte, dass sein Gelände nicht von anderen Personen betreten wird.

Müssen Wirte Verdachtsfälle melden? 

Ein Wiener Wirt beschwerte sich wiederum gegen die Verordnung des Magistrates der Stadt Wien vom September 2020, wonach Betriebsstätten verpflichtet sind, der Bezirksverwaltungsbehörde bei Corona-Verdachtsfällen bestimmte personenbezogene Daten (etwa von Kunden) zu übermitteln. Die Verordnung war bis 31.12.2020 in Kraft. Der Antragsteller hält diese Verordnung für gesetzwidrig, weil sie unter anderem gegen das Grundrecht auf Datenschutz, das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung und den Gleichheitsgrundsatz verstoße.

Sind Bezirksgerichte für Überprüfung von Absonderungsmaßnahmen zuständig? 

Interessant ist auch ein Antrag betreffend der Zuständigkeit der Bezirksgerichte zur Überprüfung von Absonderungsmaßnahmen. Nach dem Epidemiegesetz 1950 können Personen, die an einer anzeigepflichtigen Krankheit erkrankt sind oder bei denen der Verdacht einer solchen Erkrankung besteht, angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden. Die angehaltene Person kann bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, gegen die Absonderung vorgehen.

Der Oberste Gerichtshof, das Landesgericht Korneuburg sowie das Bezirksgericht Zell am Ziller stellen beim VfGH nun einen Antrag auf Aufhebung eines Teils dieser Bestimmung: Die Möglichkeit, gegen Anordnungen der Gesundheitsbehörde das Bezirksgericht anzurufen, verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. Auch sei entgegen dem Legalitätsprinzip nicht hinreichend genau geregelt, unter welchen Voraussetzungen das Bezirksgericht angerufen werden kann und in welchem Umfang das Bezirksgericht die Anhaltung zu überprüfen hat.

Auch Verlängerung des Zivildiensts vor VfGH

Eine weitere Beschwerde betrifft den im ersten Lockdown außerordentlich verlängerten Zivildienst. Die Beschwerdeführer leisteten bis März 2020 den ordentlichen Zivildienst und wurde verpflichtet, im Anschluss an den ordentlichen noch bis 30. Juni 2020 außerordentlichen Zivildienst zu leisten. Gleichzeitig mit der Verlängerung der Dienstpflicht aktuell eingesetzter Zivildiener erfolgte ein Aufruf an alle ehemaligen Zivildiener, sich freiwillig zum außerordentlichen Zivildienst zu verpflichten.

Für die Zeit des außerordentlichen Zivildienstes gebührte allen Verpflichteten eine Grundvergütung samt einem Zuschlag. Darüber hinaus erhielten die Zivildiener, die sich freiwillig zur Verrichtung des außerordentlichen Zivildienstes verpflichtet hatten, eine Pauschalentschädigung bzw. eine Vergütung des Verdienstentganges. Die Beschwerdeführer beantragten daher beim Heerespersonalamt für die Monate, in denen sie außerordentlichen Zivildienst leisteten, ebenfalls die Gewährung einer Pauschalentschädigung bzw. den Ersatz des Verdienstentganges. Diese Anträge wurden jedoch abgewiesen. Auch die dagegen beim Bundesverwaltungsgericht erhobenen Beschwerden blieben erfolglos. Die Beschwerdeführer halten die Differenzierung hinsichtlich des Verdienstes zwischen "verlängerten" und freiwillig verpflichteten ehemaligen Zivildienern für sachlich nicht gerechtfertigt.

In den meisten Fällen ging es um Verordnungen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits außer Kraft getreten waren. In seinen Entscheidungen hat der VfGH ausgedrückt, welche verfassungsrechtlichen Schranken die zuständigen Behörden bei Maßnahmen gegen Corona zu beachten haben. Entscheidungen des VfGH wirken sich jedoch nicht auf Vorschriften aus, die erst nach der Entscheidung in Kraft getreten sind: Der VfGH ist daher verpflichtet, jede einzelne Anfechtung neu zu prüfen, auch wenn sie einen ähnlichen Inhalt wie eine frühere hat.

Kommentare