KI und die Schule: Von Goethe über Google zu KI-Chatbots
Der Tod in der Literatur – über diesem Maturathema haben unzählige Schüler-Generationen gebrütet. Und wenn es nicht der Tod war, dann waren es eben die Liebe, die Frauen, die Natur oder – etwas ausgefallener – die Reise. Und was man dafür nicht alles lesen musste: die Autoren der Klassik, der Romantik, der Neuen Sachlichkeit, ... (Wer Glück hatte, blieb zumindest von mittelhochdeutschen Heldenepen verschont).
Die Zeit und das Hirnschmalz, das in so einer Literaturarbeit steckten, waren beachtlich.
Heute, im März 2023, blinkt der Cursor im Chatfenster von ChatGPT, jenem Programm, das seit Wochen für Aufsehen sorgt. Tippt man die Aufforderung „Schreibe eine Literaturarbeit zum Thema Tod in der deutschsprachigen Literatur“ ein, dauert es exakt 26 Sekunden, bis da ein vollständiger Text auftaucht. Er hat Einleitung, Hauptteil und Schluss – es geht um Gedichte von Rainer Maria Rilke, Paul Celan oder Gottfried Benn, um Thomas Manns „Der Tod in Venedig“ und Kafkas „Der Prozess“. Ein „Sehr gut“ wäre durchaus angebracht.
Ähnliches könnte man freilich mit Aufgaben aus den verschiedensten Schulfächern beschreiben. Das Beispiel jedenfalls soll zeigen, was, künstliche Intelligenz sei Dank, mittlerweile alles möglich ist. Wie viel Wissen per Mausklick allein in diesem Chatfenster abrufbar ist.
Diese unmittelbare Verfügbarkeit von Wissen, die menschenhirngeneriert anmutenden Antworten, all das könnte vor allem den Bildungsbereich in der näheren Zukunft ordentlich umkrempeln: „Ich glaube, es ist uns allen noch nicht bewusst, wie vielfältig das sein wird“, sagt Bildungsminister Martin Polaschek. „Künftig wird es manche Arten von schriftlichen Arbeiten, wie wir sie gewohnt sind, nicht mehr geben, weil wir einfach nicht mehr gewährleisten können, dass die Schüler sie selber verfasst haben.“ Er gehe deshalb davon aus, dass sich unsere gesamte Lehr- und Lernkultur deutlich ändern wird. In welche Richtung? Das könne man jetzt noch nicht sagen.
Apropos menschliche Denkleistung, zum Schluss noch eine Warnung: Wenn bei der Hausübung nicht selbst gedacht, sondern die KI befragt wurde, können spezielle Programme das mittlerweile sofort herausfinden.
Vielleicht werden also auch zukünftige Schülergenerationen doch nicht so schnell an Goethe, Mann, Kafka, den Romantikern und sogar den mittelhochdeutschen Heldenepen vorbeikommen. Und vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht.
Doch während der breiten Öffentlichkeit die ganze Bandbreite der KI-Möglichkeiten erst bewusst zu werden scheint, seit ChatGPT im November online gegangen ist, beschäftigen sich Wissenschafter, auch in Österreich, schon seit Jahren damit. Einer von ihnen ist Stefan Strauß. Der promovierte Wirtschaftsinformatiker forscht an der Akademie der Wissenschaften an der Schnittstelle zwischen Informatik und Gesellschaft und hat sich unter anderem auf die KI spezialisiert.
Im Bildungsbereich sieht er zwei miteinander verbundene große Fragen: Einerseits, wie und ob man KI-Technologie überhaupt in den Bildungsbereich hineinlässt. Andererseits, wie man damit umgeht und welche Art von Bildung man vermitteln will – also wie man derartige Technologien sinnvoll so einsetzen kann, dass sie einen echten Mehrwert für die Bildung bringen.
Zuerst zur Frage des „Ob“: International gibt es ja bereits einige Beispiele, wo KI, konkret ChatGPT, an Schulen verboten wurde. Auch in Österreich ist das Image des Programmes im Bildungsbereich ziemlich schlecht, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie von PwC mit mehr als 1000 Befragten zeigt: Fast drei Viertel der Österreicher sind der Meinung, dass sich der zunehmende Einsatz von KI-Anwendungen wie ChatGPT negativ auf den Bildungsbereich auswirken könnte. Dementsprechend sind auch 64 Prozent der Befragten dafür, dass der Einsatz von KI an Bildungseinrichtungen verboten werden sollte.
Nur: Wie soll das gehen? „Es lässt sich schwer kontrollieren“, sagt auch Strauß. „Sinnvoller erscheint es, sich intensiver mit den Möglichkeiten und Grenzen von KI im Bildungsbereich zu befassen.“
Und tatsächlich: Während laut der PwC-Studie 33 Prozent der befragten Schüler ChatGPT zum Schummeln bei Prüfungen nutzen, geben viel mehr, nämlich 57 Prozent der Schüler, an, das Programm als virtuellen Lehrer zu nutzen, 38 Prozent für Hausaufgaben und Referate.
Chance oder Gefahr?
Und hier sind wir bei der Frage nach dem „Wie“: Sollten wir als Gesellschaft viel mehr nach den Vorteilen der KI im Bildungsbereich suchen, statt sie als Gefahr für die traditionellen Arten der Wissensvermittlung sehen? In Estland und Finnland hat man sich bereits klar für diesen Ansatz entschieden. Und auch Österreichs Bildungsminister erklärt, es sei wichtig, neue Technologien als Chance zu sehen und in den Unterricht zu integrieren.
Könnten KI-Werkzeuge in den Schulen also zukünftig eine Rolle einnehmen, wie sie gegenwärtig etwa der Taschenrechner hat?
„Der kritische Punkt ist, dass man dazu die Funktionsweise solcher Technologien verstehen muss. Derzeit haben wir noch zu wenig Wissen darüber, wie diese Technologien funktionieren und wie nicht, was sie können und was nicht“, sagt Strauß. Der Bildungssektor brauche nicht einfach mehr Digitalisierung oder KI. Wesentlich wichtiger wäre es, sie dort, wo es echten Nutzen gibt, einzusetzen. „Das heißt, nicht einfach Wissensvermittlung an die Technologie ,auszulagern’, sondern sie als Unterstützungswerkzeug zu nutzen, und zugleich auch bewusst ihre Grenzen und Risiken zum Thema zu machen“, sagt Strauß.
Zu diesen Grenzen und Risiken gehört etwa auch, dass die KI Fehler macht. (Aber wer tut das in seiner Hausübung nicht, so gesehen vielleicht sogar ein Vorteil beim Schummeln). Die Systeme „halluzinieren“ , sagt man in Fachkreisen. Diese Fehler zu erkennen, erfordert vor allem auch kritische Medienkompetenz.
Künstliche Intelligenz (KI)
steht für die Simulation menschlicher Intelligenz bei Maschinen, die programmiert sind, um wie Menschen zu „denken“ und zu lernen. KI-Systeme verarbeiten große Datenmengen, erkennen Muster und können Entscheidungen auf Grundlage dieser Daten treffen
ChatGPT
ist ein Programm, das auf einer Form des maschinellen Lernens basiert. Das System ist dabei durch eine große Menge an Texten und Daten, auf die es zurückgreift, „vortrainiert“. Der Benutzer kann es etwas Beliebiges fragen und erhält dann eine automatisch generierte Antwort
Genau das soll den Schülerinnen und Schülern im neuen Pflichtfach „Digitale Grundbildung“ beigebracht werden, hatte das Bildungsministerium bei der Einführung des Faches erklärt.
Abseits aller Überlegungen zur KI als Werkzeug zur puren Wissensvermittlung gehe es laut Experten aber noch um ganz andere Gebiete: So könne sie etwa auch helfen, Kreativität zu fördern. Strauß: „Simpel ausgedrückt: auch wenn Blödsinn herauskommt, ist vielleicht etwas dabei, das einen kreativen Prozess auslöst. Auch das setzt richtiges Interpretieren eines Ergebnisses, also eine menschliche Denkleistung, voraus.“
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