ÖGK-Chef warnt vor Google und Amazon: "Haben klare Machtinteressen"
Der Chef der größten Krankenversicherung ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse), Bernhard Wurzer, über fehlende Ärzte, das Impfen im Herbst – und den Druck von Google und Amazon im Gesundheitssektor.
KURIER: Herr Wurzer, die Politik hat bis Jahresende 100 neue Kassenarztstellen versprochen. Die ÖGK muss das umsetzen – wo stehen wir?
Bernhard Wurzer: Wir hatten am Mittwoch ein erstes Gespräch dazu, wie man das gesetzlich machen kann. Klar ist: Die Finanzierung muss gesichert sein.
Sie haben noch keine Zusage, dass die Regierung die Planstellen finanziert?
Formal nicht, es gibt einen Gesetzesentwurf und ich gehe natürlich davon aus, dass die Zusage hält.
Zuletzt wurden unterschiedliche Zahlen kolportiert, wie viele Kassenärzte fehlen. Was ist denn Ihre Zahl?
Bei der Diskussion um den Ärztemangel müssen wir die Dinge auseinanderhalten. Das eine sind Kassenstellen, die schwer zu besetzen sind, weil sich zu wenige Ärzte für sie interessieren. Das ist ein niedriger Prozentsatz. Im Gegenzug haben wir viele attraktive Kassenjobs, um die sich Ärzte mitunter reißen. Allein im vergangenen Jahr hat die ÖGK 600 neue Vertragsärzte gewonnen.
Hier handelt es sich vermutlich ausnahmslos um Stellen in Ballungszentren …
Nicht nur! Es gibt nicht den Grund, warum eine Stelle schwer zu besetzen ist. Wir haben auch in wenig besiedelten Landstrichen Planstellen, die schnell nachbesetzt werden können – etwa, weil eine Hausapotheke dabei ist.
Was halten Sie davon, Ärzten Prämien zu bezahlen?
Wir haben das in einzelnen Bundesländern probiert – mit unterschiedlichem Erfolg. Geld ist nur ein Faktor, außerdem handelt es sich bei Prämien um Einmalzahlungen. Ich glaube, der wesentliche Hebel sind die Arbeitsbedingungen. Wir haben in St. Pölten ein Primärversorgungszentrum eröffnet, in dem junge Ärzte das tun können, was viele heute am liebsten tun: im Team Patienten behandeln. Das PVZ St. Pölten ist 365 Tage offen, die Patienten sind zufrieden und der Andrang ist enorm, wie 1.500 Anrufe jeden Tag zeigen. In diese Richtung müssen wir weitergehen.
Werden aus Ihrer Sicht genug Ärzte ausgebildet?
Man kann diskutieren, ob wir mehr Studienplätze brauchen. Was sich jedenfalls ändern sollte ist die Frage des Studienzugangs. Ich halte es für wahnwitzig, dass wir Tausende junge Menschen, die diesen Beruf ergreifen wollen, in einem Aufnahmeverfahren aussieben und vorschnell frustrieren. Wir verlieren ein enormes Potenzial an sozial engagierten Menschen.
Apropos verlieren: Eines der größten Probleme ist, dass sich Patienten im System nicht zurechtfinden. Ist es nicht hoch an der Zeit, den Hausärzten eine stärkere Lotsenfunktion zu geben?
Die Frage, wie Patienten durchs System geführt werden, ist tatsächlich zentral. Beginnen sollte sie aber schon vor dem Kontakt mit den Allgemeinmedizinern. Unser Credo lautet: Digital vor ambulant vor stationär. Wir haben 1450 zu einer Gesundheitshotline ausgebaut, bei der Patienten niederschwellig mit Ärzten sprechen können. Nach der Pandemie ist 1450 leider aus dem Bewusstsein verschwunden. Wir wollen die Nummer zu einem Angebot ausbauen, bei der man rund um die Uhr qualifiziertes Personal erreicht, das mit einem Video-Telefonat abklärt, wer sofort zum Arzt oder ins Spital muss.
Erst diese Woche haben Onkologen bemängelt, dass die Hälfte aller Krebsfälle durch Prävention vermeidbar wäre. Wie steht’s um die Vorsorge?
Nicht so gut, wie man es sich wünschen würde. Wir wollen mit digitalen Angeboten, Influencern und Präsenz in den sozialen Medien vor allem junge Versicherte erreichen und über die Bedeutung von Bewegung und gesunder Ernährung aufklären. Die Sozialversicherung muss gerade gegenüber jungen Menschen als seriöser Versicherer auftreten, der eine wissenschaftsbasierte medizinische Versorgung garantiert. Warum sage ich das? Der Druck, der von Anbietern wie Google Health oder Amazon Care ausgeht, ist real und spürbar. Und im Unterschied zur Sozialversicherung gibt es hier klare Machtinteressen. Diese Konzerne haben eine Agenda, zu der Profite und der Zugriff auf Gesundheitsdaten gehört.
Noch ein anderes Thema: Haben wir die Pandemie jetzt hinter uns?
Was Covid angeht, warten wir auf konkrete Prognosen, aber ich gehe davon aus. Abgesehen davon ist im Winter mit Influenza-Wellen zu rechnen. Hier haben es heuer erstmals geschafft, österreichweit ein einheitliches Angebot zu erstellen. Bund, Länder und Sozialversicherung werden die Influenza-Impfung in Betrieben kostenlos und bei Ärzten zum Preis der Rezeptgebühr von sieben Euro anbieten. Ich hoffe sehr, dass viele dieses Angebot annehmen.
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