Kanzler Nehammer: Expertenhörig? "Das habe ich so nie gesagt"
Die bevorstehenden Kärntner Landtagswahlen führten Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer zum politischen Aschermittwoch der ÖVP nach Klagenfurt. Bei seiner Rede sprach er auch über die Herausforderungen durch Corona. Stichwort für den KURIER.
KURIER: Sie haben erst kürzlich einen "Versöhnungsprozess" in Bezug auf Corona gefordert. Wurde in den vergangenen drei Jahren in Bezug auf Corona alles falsch gemacht?
Karl Nehammer: Ganz im Gegenteil. Es ist wichtig, alle Seiten zu beleuchten. Es gibt Menschen, die sagen, wir haben zu wenig gemacht. Wir müssen wieder Brücken bauen. Eine Brücke von jenen, die glauben, wir haben zu wenig gemacht, zu jenen, die glauben, es war zu viel. Mir ist an diesem Prozess so wichtig, dass man über den Dialog erkennt, dass alles in bester Absicht passiert ist. Es ging darum, Leben zu schützen. Für die, die belastet waren, ist es wichtig, zu sehen, wie die Entscheidungsabläufe waren, um zu verstehen, wie gehandelt wurde.
Jene Menschen, die Sie in der Pandemie verloren haben, jene Menschen, die nun als Protestwähler der FPÖ ihre Stimme geben, kann man die zurückgewinnen?
Der Dialogprozess ist keine parteipolitische Frage. Wir müssen alles versuchen, dass die sogenannte Teilspaltung der Gesellschaft nicht eine wird, die sich verfestigt. Dass man nur mehr übereinander und nicht mehr miteinander redet. Miteinander sprechen, die Standpunkte kennenlernen, zuhören, das muss in einer gut entwickelten Demokratie – und das sind wir – möglich sein. Ja, es war eine schwierige Zeit und es ist vieles hängen geblieben. Auf allen Seiten. Bei jenen, die sich vor dem Virus gefürchtet haben, bei jenen, die der Wissenschaft misstraut haben. All dies kommt zusammen, darum müssen wir miteinander reden.
Sie sprechen die Wissenschaft an. Ihre Aussage, man sei in der Pandemie "expertenhörig" gewesen, hat bei besagter Wissenschaft für wenig Freude gesorgt …
… das war aus dem Zusammenhang gerissen. Was ich damit betonen wollte, war, dass wir nicht einfach ins Blaue hinaus entschieden, sondern uns beraten haben. Es gab Entscheidungen, bei denen wir der Wissenschaft komplett gefolgt sind und jene, bei denen wir anders entschieden haben. Hinter all dem kann man stehen, es kann auch manchmal nicht gut gewesen sein, aber das Entscheidende ist, dass man erkennt, dass es redlich war. Hier gibt es nichts zu verheimlichen. Man muss immer die Situationen beschreiben. Was war davor? Die Delta-Variante, die beinahe geschlossenen Intensivstationen, die dramatischen Situationen am Anfang in Norditalien – all das muss man aufarbeiten, um überhaupt zu erkennen, warum es diesen Entscheidungsprozess gab. Warum wurden daraus Maßnahmen getroffen und wie kann man sie argumentieren?
Also keine Kritik an den Experten?
Ich habe das so nie gesagt, bzw. ist es verkürzt transportiert worden. Was ich gesagt habe, war: Wir waren auch expertenhörig, haben aber auch politische Entscheidungen getroffen, in denen wir von Expertenmeinungen abweichen mussten, weil es unsere politische Verantwortung ist, das große Ganze im Auge zu haben.
Herr Bundeskanzler, konkret, was wollen Sie den Experten an dieser Stelle sagen?
Auch hier ist es wichtig, in einen Dialog zu treten. Weil auch hier gibt es das Thema, das sich die Experten manchmal auch nicht ausreichend erklären konnten, wie sie zu welcher Expertise gekommen sind. Wir standen einem Virus gegenüber, das sich nicht linear entwickelt hat, sondern dynamisch ist. Und so haben sich auch die Meinungen dazu ständig verändert. Dazwischen muss man dann politische Entscheidungen treffen.
Wie hat Corona die Politik verändert?
Es hat uns vieles gelehrt. Wie in jeder Krise wurde uns schonungslos gezeigt, wo die Schwächen in der Organisation sind, wo Abhängigkeiten liegen, die man vorher nicht erkannt hat. Denken Sie an die Schutzausrüstungs- oder Impfstoffproduktion für Europa. Neu war auch, sich rasch mit einer Situation auseinanderzusetzen, die vorher völlig unbekannt war. Es ist wert, die Dinge zu benennen, wie sie sich ereignet haben, um zu verstehen, warum die Sorge- und Fürsorgepflicht der politisch Verantwortlichen für die Menschen in diesem Land notwendig war.
Was hat Corona mit Ihnen ganz persönlich gemacht?
Es hat mit uns allen viel gemacht. Für mich war die Sitzung über den ersten Lockdown eine der prägendsten in meiner politischen Laufbahn. Weil dort die Heftigkeit des Eingriffs, in die Freiheit der Menschen, bewusst wurde. Stets in Abwägung der Umstände und mit dem Gedanken, dass das Virus ist so gefährlich ist und wir noch nicht einmal Schutzausrüstung haben. Da war Abstand halten und Handhygiene die einzige Chance, dem Virus zu begegnen.
Werden Sie noch oft auf Corona angesprochen? Sie treffen im Wahlkampf in Kärnten und bald auch in Salzburg auf viele Bürgerinnen und Bürger.
Im Wahlkampf interessanterweise nicht so sehr. Aber bei Nicht-Wahlkampf-Begegnungen. Etwa bei Erzählungen im Bekanntenkreis, wo es auch die Glaubensfragen gab – von jenen, die alles abgelehnt haben, was über Corona kommuniziert wurde. Das ist wichtig aufzuarbeiten. Was hat Corona mit den Familien und mit dem Freundeskreis gemacht? Es lohnt sich nicht, dass uns ein Virus auseinandertreibt.
Dazu und zu vielen anderen Themen gibt es auch Ihre Rede im März. Geben Sie uns einen Einblick?
Die Rede im März soll zeigen, wohin wir uns weiterentwickeln können, wenn wir wollen. Wir müssen aus dem Krisenmanagement hinaus-, ins Zukunft gestalten hineingehen. Welche Gesellschaftsbereiche betrifft es, wo können wir noch etwas tun? Ich habe nun ein Jahr lang Krise managen dürfen, in dieser Zeit hatte ich viele Begegnungen, auch mit anderen Regierungen und habe viel über Entwicklungen gelernt, hier dürfen wir als Österreich nicht den Anschluss verlieren.
Stichwort Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg: Nach den eher ernüchternden Ergebnissen für die ÖVP bei den Landtagswahlen in Tirol und Niederösterreich, was sind Ihre Erwartungen für die Kärnten-Wahl am 5. März?
Es ist keine einfache Zeit, gerade für jene, die politische Verantwortung tragen. Aber wenn man daran denkt, dass gut eine Woche vor der Wahl in Klagenfurt über 700 Funktionäre zusammenkommen und für Martin Gruber laufen, laufen, laufen, dann ist das ermutigend.
Wagen wir zum Schluss den Ausblick auf ein anderes Datum: den 23. April, den Tag der Salzburg-Wahl. Was erwarten Sie sich von LH Wilfried Hauslauer?
Grundsätzlich ist die schwierige Ausgangslage für alle gleich. Die Salzburger Volkspartei ist stark in den Gemeinden verwurzelt, Wilfried Haslauer, hoch anerkannt als Persönlichkeit. Er ist ein starker Wahlkämpfer. Ich weiß, es ist ein mediales Wollen, Einschätzungen zu erfahren. Aber diese ist derzeit noch nicht möglich.
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