Am Donnerstag flog er nach Skopje, am Freitag nach Belgrad – danach hat auch für den vielreisenden Johannes Hahn der Urlaub begonnen. Als Erweiterungs- und Nachbarschaftskommissar der EU absolviert der ehemalige ÖVP-Wissenschaftsminister keine Brüssel-Woche ohne Dienstreise, an die zweihundert Mal pro Jahr steigt er in ein Flugzeug. Sein Job: sich um alle Anrainerstaaten der EU kümmern – vom Norden Afrikas bis zur Ukraine. Und die Länder des Westbalkans soll er an die EU heranführen.
In der Vorwoche wurde der 61-jährige Wiener und altgedienter ÖVPler zum dritten Mal hintereinander von der österreichischen Regierung für den EU-Kommissar nominiert. In der Geschichte Österreichs ist das einzigartig, in der EU-Kommission allerdings nicht.
183 Kommissare gab es bisher in der EU, 31 davon waren drei Mal oder noch öfter im Amt. „Die Kommission lebt davon, dass mit neuen Personen frischer Wind und neue Ideen hereingetragen werden“, weiß Franz Fischler. „Drei Mal, das ist wirklich mehr als genug.“ Er selbst war zwei Mal hintereinander EU-Agrar-Kommissar. Das Angebot, sich ein drittes Mal aufstellen zu lassen, schlug er aus, wie Fischler dem KURIER schildert: „Ich habe für mich entschieden: zehn Jahre sind genug.“
Kleiner Unsicherheitsfaktor für Gio Hahn: Die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wünscht sich gleich viele Frauen und Männer für ihr Kollegium. Derzeit aber zeichnet sich erneut ein massiver Männerüberhang ab. Gut möglich also, dass sich von der Leyen mit der Bitte an Wien wendet, doch eine Frau zu entsenden.
Kontinuität
Das würde Kanzlerin Brigitte Bierlein aber vor eine schier unlösbare Aufgabe stellen: Nach dem Koalitionsbruch und den gemischten Kooperationen im Parlament dürfte es keinen anderen Kandidaten geben, der auf die Schnelle eine Mehrheit finden würde.
Hahn wurde im Hauptausschuss vor eineinhalb Wochen einstimmig gewählt – er war der kleinste gemeinsame Nenner. Oder, wie es Liste-Jetzt-Klubchef Wolfgang Zinggl ausdrückt: „Er macht den Job schon lange und ist zumindest nicht negativ aufgefallen.“ Etwas freundlicher setzt er nach: „Er hat in der EU eine gewisse Reputation, und man kann sich darauf verlassen, dass er seine Aufgaben weiterhin solide erledigen wird.“
Das hat auch den FPÖ-Abgeordneten Reinhard Bösch davon überzeugt, die Nominierung Hahns zu unterstützen. In der „jetzigen Lage der Republik“ in Folge des Koalitionsbruchs, so erklärt er, „schien es mir vernünftig, Kontinuität zu sichern“. Auf EU-Ebene herrschten neue Verhältnisse, man stehe aber vor alten, ungelösten Problemen, sagt Bösch. „Ich baue darauf, dass er seine Expertise gut in die Kommission, die im Wesentlichen aus Neulingen besteht, einbringen wird.“
Am Tag nach seiner Kür im Hauptausschuss traf Hahn gleich SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in Brüssel – auch sie war nach dem Gespräch zuversichtlich, weiterhin gut mit dem ÖVP-Mann zusammenzuarbeiten.
Hahns Arbeit in Brüssel fand also die Zustimmung aller Parteien. Wie aber beurteilt man Erfolg oder Misserfolg eines EU-Kommissars?
Phlegmatiker
Der Star des 28-köpfigen Kollegiums war Johannes Hahn in den vergangenen fünf Jahren nicht. Diese Rolle übernahm die Dänin Margrethe Vestager, die als EU-Wettbewerbskommissarin den IT-Giganten Apple und Co. Milliardenstrafen aufbrummte. Dagegen spielte Hahns Ressort der Nachbarschaftspolitik in der Öffentlichkeit nur eine Nebenrolle.
Dazu kommt, dass der Mann, der seinen Ruf als Phlegmatiker nicht wirklich bestreitet, kaum ins Scheinwerferlicht giert. Er webt lieber an seinem Kontaktnetz, vertieft die persönlichen Beziehungen auf seinen Reisen. Es ist sein politisches Kapital.
„Hahn ist nicht als besonders mutig oder charismatisch aufgefallen. Er hat nicht vieles falsch, aber auch nicht vieles richtig gemacht. Die großen Akzente sind ausgeblieben“, meint dagegen Balkan-Experte Vedran Dzihic. Mit einer Ausnahme: Bei der Beilegung des Namensstreits zwischen Griechenland und dem heutigen Nordmazedonien zollt der Politologe dem EU-Kommissar Lob: „Da hat Hahn sehr guten Einsatz gezeigt und sich richtig reingehaut.“
Als schweres Versäumnis kreidet Dzihic ihm jedoch an, dass Hahn die Angriffe des serbischen Premiers Vucic auf die Medien des Landes nicht stärker zurückwies. „Da hat sich Hahn nicht richtig verhalten. Er hätte die europäischen Werte verteidigen müssen.“
Ein Ziel hat Hahn akribisch verfolgt: Die sechs Westbalkanstaaten sollen wieder eine echte Chance haben, der EU beizutreten. Dafür wandte er großen Elan auf, hoffte für Albanien und Nordmazedonien endlich grünes Licht für den Start von Beitrittsgesprächen durchsetzen zu können. Dass es anders kam, lag am Nein mehrer Regierungen, vor allem Frankreichs.
Begrenzte Macht
Und da endet sie auch schon, die Macht eines EU-Kommissars. Gegen die geschlossenen Türen einer EU-Regierung kann kein Kommissar agieren, zumindest bei Entscheidungen der Außenpolitik. „Und selbst im Kreis der EU-Kommission kann kein Kommissar eine Entscheidung im Alleingang treffen“, erklärt Ex-Kommissar Fischler. „Ausgenommen sind nur kleinere Entscheidungen.“
Und mit noch einem Irrglauben möchte Fischler aufräumen: „Der Kommissar aus Österreich ist nicht für Österreich zuständig, sondern für die Belange der ganzen EU. Er muss bei Amtsantritt sogar einen Eid leisten, dass er die nationalen Belange nicht berücksichtigt.“
Das kann einen Kommissar schon in die Zwickmühle bringen. Wenn etwa die Regierung in Wien fordert, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei ein für alle Mal zu beenden – und EU-Kommissar Hahn im Namen der EU aber sagen muss: Die Gespräche seien nur eingefroren.
In Wien hat das Hahn niemand übel genommen. Bei seiner dritten Nominierung war die Türkei jedenfalls kein Thema.
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