Neun Minuten bis zum Ausschalten des Attentäters ist im internationalen Vergleich rekordverdächtig. Wie war das möglich?
Das war in erster Linie deswegen möglich, weil mit den ersten Schussabgaben gleich drei sogenannte Sektorfahrzeuge entsandt wurden – der erste Einsatzwagen braucht selten länger als fünf Minuten zum Einsatzort. Schnell gab ein Kollege mit entsprechender Tonlage über Funk durch: "Schüsse werden abgegeben". Kurz darauf kam es bereits zur Eskalation und zum Schusswechsel mit den Streifenpolizisten, die den Terroristen verfolgt haben. Vor diesen Kollegen ziehe ich den Hut, denn sie hatten eine bewaffnete Unterlegenheit. Da braucht man schon viel Herz und einen guten Magen, dass man hier nachsetzt, wenn der Täter mit einer Kalaschnikow unterwegs ist. Es ist zwar die Ausbildungsvorgabe, Druck auf den Täter zu machen. Aber das ist die Theorie. Die Kollegen haben uns das genaue Bewegungsprofil des Attentäters übermittelt. Deswegen sind meine WEGA-Kollegen punktgenau an die Örtlichkeit gekommen, wo sich der Attentäter aufgehalten hat. So kam – wie man es im Sport nennt – diese Fabelzeit von neun Minuten zustande. International wurde diese Zeit noch nicht erreicht. Wir haben Gratulationen von Sondereinheiten etwa aus den USA bekommen. Aber wir sind sehr demütig und wissen, dass sich bei diesem Einsatz sehr viele Rädchen in die richtige Richtung gedreht haben. Da war auch viel Glück dabei.
Anfangs gab es den Verdacht, dass mehrere Attentäter in der Stadt unterwegs sind. Wie kam es zu dieser Einschätzung?
Wir hatten zahlreiche Meldungen etwa von einem Mann mit Gewehr in der U-Bahn, Schüssen auf der Mariahilfer Straße oder einer Geiselnahme in einem asiatischen Lokal. Da dachten wir, jetzt haben wir einen Terroranschlag ähnlich wie in Paris: Mehrere Täter, mehrere Örtlichkeiten – oder mit einem Wort: ein Albtraum. In dieser Situation ist es wichtig, die Situation schnell zu verifizieren: Sind die Meldungen echt? Sind es Mystifikationen? Oder sind es Scherzanrufe, wovon es leider zahlreiche gab. Insgesamt hatten wir in der Terrornacht 50 Fake-Einsätze verstreut über ganz Wien. Diese Fake-Meldungen behindern die Polizeiarbeit.
Wie unterscheidet sich ein Anti-Terror-Einsatz in der Methodik voneiner üblichen Polizeiausbildung?
Das Motiv, ob der Attentäter einen Propheten anbetet oder zum Amokläufer wird, weil er den Schulstress nicht aushält, ist für unseren Einsatz de facto irrelevant. Das Ziel der Täter ist in beiden Fällen, einen größtmöglichen Schaden in kurzer Zeit zu verursachen. Normalerweise ist es die Aufgabe der Polizei, die Dynamik aus einer Situation herauszunehmen und zu deeskalieren. Bei Anti-Terror-Einsätzen gibt es einen Paradigmenwechsel. Je früher wir Druck auf einen Attentäter machen, um so weniger Schaden passiert. Damit zerstört man den Plan des Terroristen und seiner Organisation. Dadurch gewinnen wir Zeit. Im Pariser Konzertsaal Bataclan hat man gesehen, dass immer dann Geiseln erschossen wurden, wenn die Polizei die Attentäter nicht beschäftigte – auch wenn dafür nur auf ein Fenster im Theater geschossen wurde. Der Sukkus daraus ist: Die Polizei muss sich in solchen Situationen präsentieren und dem Attentäter signalisieren: "Nimm mich". Da der Terrorist nicht auf die Sondereinheiten wartet, werden auch die Streifenpolizisten auf diese Methode trainiert.
Auch wenn es ein Terrorist war, hat Ihr Kollege einen Menschen erschossen. Welche Unterstützung bekommt er?
Beide Kollegen sind schon längere Zeit bei der Polizei. Der unmittelbare Schütze ist schon seit 15 Jahren bei der WEGA. Er ist ein sehr erfahrener Mann. Wenn man sich nicht komplett der Realität verschließt, dann muss man in einer Sondereinheit damit rechnen, dass es zum Schusswaffengebrauch kommt. Ich will mich jetzt nicht zu weit hinauslehnen, aber ich habe den Eindruck, dass es ihnen angemessen geht. Sie gehen mit der Situation sehr realistisch und reflektiert um. Aber es ist keineswegs so wie im Film. Es gibt kein "Gimme five" von den anderen Kollegen am Gang. Es wird nach so einem Einsatz auch nicht im Irish-Pub abgefeiert.
Binnen weniger Minuten waren 190 Cobra- und über 100 WEGA-Beamte in der City. Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl behauptet, dieses Aufgebot sei deswegen im Dienst gewesen, weil am nächsten Tag Razzien bei Islamisten stattfinden hätten sollen. War das so?
Die Anzahl der Einsatzkräfte war deswegen so groß, weil unsere Kollegen die Nachrichten gehört haben und freiwillig zum Einsatz gekommen sind. Die Polizisten wissen, dass in solchen Situationen jeder Mann gebraucht wird.
Die WEGA bekommt Anerkennung für den Einsatz. Der Verfassungsschutz muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er das Attentat hätte verhindern können. Wäre das möglich gewesen?
Auf wienerisch würde ich sagen, das ist alles "hätti, wari, täti". Das Buch von hinten zu lesen, ist immer leichter. Wir sind eine operative Einheit und haben da zu wenig Einblick.
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