Internationale Presse zu Österreichs Neutralität: "Kopf einziehen und hoffen"

Internationale Presse zu Österreichs Neutralität: "Kopf einziehen und hoffen"
Pressestimmen gehen von "Österreich braucht breite Debatte über Neutralität" bis hin zu "Abschied vom Pufferdasein".

Die Frage der österreichischen Neutralität angesichts der NATO-Bietrittsbemühungen Finnlands und Schwedens war am Donnerstag Inhalt zahlreicher internationaler Pressekommentare:

Neue Zürcher Zeitung:

"Österreich dagegen scheint auf seine oft bewährte Taktik zu setzen, sich irgendwie durchzuwursteln, bis der Staub sich legt und man zum alten Trott zurückkehren kann. (...) Als Anfang März unter dem Eindruck des russischen Überfalls Vertreter von (Anm. Bundeskanzler Karl) Nehammers eigener Partei laut über eine Annäherung an die NATO nachdachten, reagierte dieser rasch: `Österreich war neutral, ist neutral und wird neutral bleiben ́, sagte er. Die Diskussion sei für ihn damit beendet. Die oppositionellen Sozialdemokraten und die Freiheitlichen pflichteten eilig bei.

Denkverbote sind in der Politik meistens verfehlt. In diesem Fall ist ein solches geradezu fatal. Österreichs Bundesheer ist in einem blamablen Zustand, laut einem Bericht des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2019 kann der Schutz der Bevölkerung `nur noch sehr eingeschränkt gewährleistet werden ́. Ihren verfassungsmässigen Auftrag ́ können die Streitkräfte so nicht erfüllen.

Vielmehr verlässt sich Österreich darauf, umgeben von NATO-Staaten und durch die vage EU-Beistandspflicht ausreichend geschützt zu sein. Das mag stimmen - auch wenn man in Helsinki und Stockholm zu einem anderen Schluss gekommen ist. (...) Aber die 1955 von den Alliierten auferlegte und längst zum nationalen Mythos erhobene Neutralität ist kein Selbstzweck. In einer veränderten geopolitischen Lage muss sie glaubhaft untermauert werden. Darüber, wie das geschehen kann und was Österreich zur Sicherheit in Europa beiträgt, muss breit diskutiert werden. Auch für die vielzitierte `Insel der Seligen ́ gibt es kein Zurück zur Bequemlichkeit."

Die Welt (Berlin):

"Und dann ist da noch Österreich, das sich 1955 gegen den Abzug der Besatzungsmächte zur Neutralität verpflichtete. Daran wollen nach aktuellen Umfragen weiterhin drei Viertel aller Österreicher festhalten. Blockfreiheit und die alpine Topographie halten sie für die verlässlichere Sicherheitsgarantie als die Beistandsverpflichtung durch den NATO-Artikel 5. Die aufkeimende Debatte versuchte Bundeskanzler Nehammer bereits vor Wochen mit dem Satz zu beenden, Österreich `war neutral, ist neutral und wird neutral bleiben ́.

Dennoch haben gerade 50 Intellektuelle Bundespräsident van der Bellen aufgefordert, von Experten prüfen zu lassen, ob Österreichs Neutralität noch `zeitgemäß ́ sei. Nach Einschätzung der Unterzeichner ist sie das nicht mehr, sondern im Gegenteil `gefährlich für unser Land ́.

Noch sind 52 Prozent der Österreicher der Meinung, dass sie die Neutralität schützt. Aber immerhin 40 Prozent sind bereits nicht mehr überzeugt, dass die Neutralität sie dauerhaft vor kriegerischen Bedrohungen bewahrt. Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine hat dafür gesorgt, dass in Europa so manche Überzeugung zu bröckeln beginnt, die eigentlich in Alpengranit gemeißelt zu sein schien."

Tagesspiegel (Berlin):

"Vier Staaten Europas hatten die militärische Neutralität zu ihrem Erfolgsmodell gemacht: im Norden Finnland und Schweden, in der Mitte Österreich und die Schweiz. Schweden und die Schweiz hatten diesen Status frei gewählt. Finnland und Österreich haben gelernt, aus ihrer Not mit dem russischen Druck eine Tugend zu machen. Von ihrer Werte- und Gesellschaftsordnung gehörten die vier zum Westen, pflegten aber auch Beziehungen zum Osten, inklusive eines einträglichen Handels, und boten sich bei Konflikten als Vermittler an.

Nun streben Finnland und Schweden in die NATO. (...) Österreich und die Schweiz spüren keinen Veränderungsdruck. Sie sind in allen Himmelsrichtungen von NATO-Staaten umgeben. Die bilden ihren Sicherheitspuffer. Putin hingegen hat seine Pufferräume zur Allianz dezimiert."

Dolomiten (Bozen):

"In Österreich ist die `immerwährende Neutralität ́ eine heilige Kuh, die nicht nur nicht geschlachtet, sondern nicht einmal angesprochen werden darf. Im Gegenteil: Jeder Versuch, den sicherheitspolitischen Status Österreichs, der ein höchst unsicherer ist, anzutasten, endet für den Mutigen fatal - der politische Gegner und die Volksmeinung fegen in weg. (...)

Erst mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist ein marginaler Stimmungswandel zu spüren: Das Heeresbudget soll von derzeit 0,6 Prozent möglicherweise auf ein Prozent des BIP in den kommenden 5 Jahren aufgestockt werden. Aber die Neutralität in Frage stellen (und den russischen Bären reizen)? Schon die Frage, ob der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij im österreichischen Parlament zugeschaltet werden soll, hat Angstreflexe etwa bei der SPÖ ausgelöst.

Und dass Kanzler Karl Nehammer zu Selenskij nach Kiew fuhr, war erst wieder gut, als bekannt wurde, dass er auch zu Wladimir Putin nach Moskau fahren würde. Am `mutigsten ́ gab sich noch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der die Neutralität als `Element der Selbstdefinition ́ Österreichs bezeichnete. Sie infrage zu stellen, halte er nicht für richtig, sehr richtig aber sei es, über die künftige Gestaltung der Sicherheitsstruktur nachzudenken. Österreich könne ein Teil eines europäischen Verteidigungssystems sein, nicht aber `an einer Armee teilnehmen. Und auf den Krieg in der Ukraine bezogen: Österreich sei zwar militärisch neutral, nicht aber politisch."

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