Intensivpfleger: "Brauchen kürzere Arbeitszeit bei gleicher Bezahlung"
KURIER: Es liegen weniger Corona-Patienten auf den Intensivstationen. Haben Sie auch weniger zu tun?
Ingo Doppler: Wir merken erst seit letzter Woche, dass es langsam abflaut. Wir spüren die Omikron-Welle noch nicht, ich kann aber nur für unsere Station sprechen.
Hat es wegen Corona mehr Kündigungen gegeben?
Bei uns nicht. Aber Fachpersonal hat uns schon vor der Pandemie gefehlt. Nicht jeder ist für die Arbeit auf der Intensivstation geeignet. Viele merken erst bei der Einschulung, wie stressig das ist. Ich spreche hier von erfahrenen Pflegern, die teilweise schon zehn Jahre auf einer Normalstation gearbeitet haben. Unsere Arbeit ist invasiver, man darf sich keine Fehler erlauben.
In welchen Bereichen der Pflege fehlen denn sonst noch Fachkräfte?
In allen. Beginnend beim kleinen Pflegeheim, über die Hauskrankenpflege, bis zu uns. Den größten Mangel haben sicher die Pflegeheime, wo die Fachkräfte durch Hilfskräfte ersetzt werden. Im Heimbereich arbeiten auch ausländische Kollegen im 24-Stunden-Dienst zu einem Dumping-Lohn. Viele sind gut ausgebildet, aber damit drücken sie natürlich das Lohnniveau.
Welcher Bereich ist insgesamt am schlechtesten aufgestellt?
In Wien ist das wahrscheinlich der Bereich der Langzeitpflege, Reha-Einrichtungen oder Altenheime. Dort waren schon immer Pflege- und Hilfskräfte große Mangelware, die dort wirklich Tolles leisten. Die mobile Pflege könnte man sofort aufstocken und damit irrsinnig viel abfangen, was sonst in den Heimen betreut werden muss. Dann kommen wir zu den Normal- und dann zu den Intensivstationen. Es ist sicher ein Pyramiden-Effekt, wo man oben am besten besetzt ist und unten, im niedermedizinischen Bereich, am schlechtesten.
Was sollte sich ändern?
In den niedermedizinischen Bereichen gehört sicher das Gehalt noch aufgestockt. Abseits davon brauchen wir an allen Fronten mehr Fachpersonal, bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit auf maximal 35, besser gleich 30 Stunden pro Woche – bei gleicher Bezahlung und einer zusätzlichen Woche Urlaub. Die arbeiten alle im Schichtdienst, im Tag-Nacht-Rhythmus. Das schmälert die Lebensqualität drastisch, das gehört kompensiert.
Mehr Fachpersonal, aber gleichzeitig Stunden reduzieren? Wie soll sich das ausgehen?
Das muss ein Prozess bei der Ausbildung sein, der hätte schon in den letzten 15 Jahren beginnen müssen. Die Ausbildung ist mittlerweile ein Studium, was sicher die Qualität hebt. Aber die Studenten müssen dafür bezahlen, früher hat man in der Pflegeausbildung ein Gehalt bekommen. Das ist also unlukrativ geworden. In den nächsten zehn Jahren brauchen wir mehr Ausbildungsstätten, um sukzessive das Personal aufzubauen. Schauen wir nach Norwegen oder Schweden, dort funktioniert es gut.
Was könnte die Politik kurzfristig unternehmen?
Kurzfristig geht in der Pflege gar nichts. Mir würde aber noch ein ganz anderes Modell vorschweben. Ich würde ein fünfjähriges Modell mit Matura und Diplom vorschlagen. Das Problem ist, man darf erst mit 17 am Krankenbett stehen darf. Mit 14, 15 beginnt also die Ausbildung, wie an einer HTL. In den ersten Jahren konzentriert man sich auf die Grundschulausbildung, dann geht es in die Pflegeausbildung. Das wäre also ein Abschluss mit Matura und Diplom für den Pflegebereich, mit dem man auf jeder Normalstation arbeiten darf. Wer auf eine Intensivstation oder andere Spezialstationen will, macht seinen Bachelor und studiert weiter. Wer ins Management oder in die Forschung will, setzt noch einen Master drauf.
Hat die Pandemie den Fachkräftemangel verschärft?
Insgesamt ist das wie gesagt kein neues Problem. Da reicht ein Blick in die österreichische Zeitgeschichte: Es ist immer wieder dort zu skandalösen Vorfällen im Pflegebereich gekommen, wo das Personal unterbesetzt oder mangelhaft ausgebildet war. Wo Pflegepersonen nicht mehr gewusst haben, was sie machen sollen und wie sie mit dem Leid umgehen sollen. Da kam es regelrecht zu Morden, etwa im Krankenhaus Lainz.
Haben Sie diesen 500-Euro-Corona-Bonus schon bekommen?
Den haben wir, die Corona-Stationen, tatsächlich bekommen. Einmal von der Gemeinde Wien und heuer vom Bund. Was wirklich frustrierend ist, aber das hat mit der Stadt Wien zu tun: Vor ein paar Jahren hat es eine Gehaltsoptierung gegeben. Die jungen Kollegen sind in ein neues Gehaltsmodell gekommen, das am Anfang deutlich besser besoldet ist und bis zur Pension deutlich abflacht. Da wurden wir, die Älteren, hingehalten. Bei vielen von uns zahlt sich das nämlich tatsächlich auch aus. Im April 2021 hatten wir dann auch die Möglichkeit, zu optieren. Das wird rückwirkend passieren, bis dato ist aber gar nichts geschehen. Soweit ich weiß, werden zehn Leute pro Haus pro Monat optiert. Natürlich sind auch die Kolleginnen und Kollegen bei den auszahlenden Stellen unterbesetzt. Die kommen der Flut an Auszahlung nicht nach. Ich kriege wohl irgendwann mein Geld, aber keiner weiß, wann. Ganz ehrlich, da fühlt man sich gefrotzelt.
Kommentare