An dieser Stelle kommt die Kommission ins Spiel. Sie hat für die Unterschiede zwischen den EU-Staaten (in Malta sind 25 Prozent geimpft, in Lettland und Bulgarien nicht einmal 5; Anm.) eine simple Erklärung: Da sind zum einen die Lieferprobleme der Hersteller. Und da sind außerdem die unterschiedlichen Bestellungen der EU-Staaten. So hat etwa Bulgarien besonders viel vom vergleichsweise billigeren Astra-Zeneca-Impfstoff geordert.
Aber da der britisch-schwedische Pharmariese unter massiven Lieferproblemen leidet, erhielt Bulgarien – wie die meisten osteuropäischen Staaten – bisher weniger als bestellt. Statt ursprünglich 80 Millionen Dosen im ersten Quartal wird Astra Zeneca kaum die Hälfte liefern. Umgekehrt ist es bei jenen Staaten, die eine große Menge vom teureren Pfizer/ Biontech- oder Moderna-Vakzin bestellt haben: Dänemark und Malta etwa werden zügig beliefert und haben beim Impfen die Nase vorne.
Mit „Geheimabsprachen“ oder parallelen Verhandlungen mit den Pharmafirmen habe diese – vorübergehend – ungleiche Verteilung der Impfstoffe nichts zu tun, hieß es aus der Kommission. Ähnlich äußerte sich am Abend Deutschland.
Was heißt das jetzt für die Vorwürfe? Liegen die unterschiedlichen Impfgeschwindigkeiten grosso modo also einfach am Impfstoff-Mix, für den sich einzelnen EU-Staaten entschieden haben?
Hinter vorgehaltener Hand wird das im Kanzleramt in Abrede gestellt und Folgendes berichtet: Im Steering Board konnten einzelne Staaten nicht nur die Menge des Impfstoffes, sondern auch Lieferzeitpunkte definieren. Hier habe es geschicktere und weniger geschickte Länder gegeben. Dem Vernehmen nach war Österreich (wie Belgien, Polen oder Kroatien) zurückhaltend, man könnte auch sagen: ungeschickter. Eine Spitze gegenüber dem Gesundheitsressort.
Soweit, so klar. Aber warum hat sich ausgerechnet der Kanzler mit der Thematik in die Auslage gestellt? Im Wesentlichen soll es Kurz darum gehen, dass die unterschiedlichen Impf-Geschwindigkeiten nicht nur in Österreich Unmut schüren, sondern die innereuropäische Solidarität ad absurdum führen.
Der Grund: Sie widersprechen dem Mantra der Regierungschefs („Alle in der EU bekommen gleich viel bzw. gleich wenig Impfstoff“). „Wie wollen wir erklären“, so fragt der Kanzler im kleinen Kreis, „dass ein EU-Staat im Mai durchgeimpft ist, während ein anderer bis September braucht?“
Hinzu kommt wachsende Ungeduld mit dem Koalitionspartner. Denn glaubt man ÖVP-Strategen, war bis Freitag unklar, wer im Gesundheitsressort die Zeitpläne für die Impf-Lieferungen unterschrieben hat.
Aufklärung
Letzteres konnte das Ressort Anschober leicht aufklären: Es war Ines Stilling, Interimsministerin und nun Generalsekretärin. Im Gespräch mit dem KURIER widerspricht sie der Darstellung, die Länder hätten zusätzliche Liefertermine vorsehen können. „Das ging natürlich nicht, sonst hätte sich jedes Land spätestens den 1. Jänner 2021 genommen.“
Die vom Kurz thematisierten Verhandlungen seien zu einem Zeitpunkt geführt worden, als „niemand wusste, welcher Impfstoff zugelassen wird bzw. ob und wenn ja für welche Impfstoffe es überhaupt eine Zulassung gibt.“
Laut Stilling lief die Sache so: „Es wurden Verträge mit Mindestmengen vereinbart und jedes Land hat unter unterschiedlichen Prämissen entschieden.“ So sei im Sommer für etliche Länder offen gewesen, ob sie im großen Stil eine Tiefkühl-Logistik stemmen können. „Jedes Land stellte sein eigenes Portfolio zusammen und wenn ein Land seinen Anspruch nicht ausgeschöpft hat, konnte ein anderes einspringen, damit die Mindestbestellmenge erreicht wird.“
Bei der Kanzlerkritik bleibt sie diplomatisch: „Das Thema, das der Herr Bundeskanzler aufgebracht hat, hat sich erst zuletzt abgezeichnet.“ Man tage seit Jänner drei Mal die Woche mit dem Kanzleramt. „Und die angesprochenen Verträge mit den Pharmafirmen sind dem Kanzler bekannt.“
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