IHS-Chef Neusser: "Werden mit Schrammen über den Winter kommen"

IHS-Chef Neusser: "Werden mit Schrammen über den Winter kommen"
Russland gehe "wirtschaftlich den Bach hinunter", Europa sei gut auf den Winter vorbereitet, sagt IHS-Direktor Klaus Neusser.

Russland-Sanktionen, Inflation, Wirtschaftshilfen: IHS-Direktor und Ökonom Klaus Neusser war am Sonntag in der ORF-Pressestunde unter anderem zu diesen Themen zu Gast. Entscheidende Fragen: Wirken die Russland-Sanktionen? Und wie geht es jetzt in Europa und Österreich weiter?

Russland "geht den Bach hinunter"

Die EU hat bekanntlich weitere Sanktionen gegen Russland angekündigt. Eine gute Idee? "Man muss sagen, dass die Sanktionen eine große Wirkung auf Russland haben. Das Land geht wirtschaftlich den Bach hinunter", sagt Neusser. Es sei aber nicht klar, was das für den Krieg bedeute. Putin sei mit der Teilmobilisierung nun offenbar militärisch "All-in" gegangen und würde die wirtschaftliche Dimension ausklammern.

Folgen der Sanktionen gegen Russland

Die Probleme für die russische Wirtschaft würden jedenfalls noch massiver werden, meint der Ökonom. Europa sei mit der Modernisierung von Pipelines in Italien und dem Ausbau von Flüssiggas-Terminals hingegen auf "dem richtigen Weg". Das würden die zuletzt fallenden Gaspreise zeigen.

Winter? "Wird gelingen"

FPÖ, SPÖ, ÖVP: Österreichs Politiker wollen auch die Folgen der Sanktionen auf Europa evaluieren lassen. Das IHS hat sich etwa angesehen, was ein Gas-Stopp für Österreich bedeuten würde. Bei einem kompletten Lieferstopp hätte man einen Wohlstandsverlust von "drei Prozent" im Bruttoinlandsprodukt (BIP), so Neusser. Trotz der Maßnahmen werde Europa diesen Winter überstehen: "Ich denke, wir werden hier in Österreich mit ein paar Schrammen über den Winter kommen. Das wird gelingen." Die Gas-Krise sei jedenfalls ein Brandbeschleuniger für die Energiewende. Diese Wende müsse man nun schaffen, deshalb ist Neusser auch gegen eine weitere Aufschiebung der CO2-Steuer.

Beschleunigung der Energiewende

Die Preise auf den Energiemärkten werden indes zwar hoch bleiben, aber "es wird keine massiven Steigerungen mehr geben", sagt Neusser. Die aktuelle Preissteigerung würde jetzt erst verzögert bei den Verbrauchen ankommen, danach aber abflauen.

Kritik an Strompreisbremse

Um Inflation und Energiepreise abzufedern, hat die Regierung bereits Entlastungen in einem Volumen von weit über 30 Milliarden Euro beschlossen. Derzeit verheddere man sich zu sehr in Diskussionen um Preisdeckel und verliere das langfristige Ziel - die Förderung von Wohlstand, die Stärkung der Infrastruktur - aus den Augen, so Neusser. "Es ist einfach so, dass wir jetzt schon sehr viele Maßnahmen getroffen haben", steigt er Experte auf die Bremse. Er habe selbst den Überblick verloren. Maßnahmen wie die Abschaffung der kalten Progression oder die Indexierung der Sozialleistungen würden erst kommendes Jahr greifen. Deshalb würde er vorerst eine "abwartende" Position einnehmen.

Teure Hilfen gegen die Teuerung

Bei der Strompreisbremse hätte man auch weniger als 2.900 Kilowattstunden pro Haushalt deckeln können, sagt Neusser. Stattdessen hätte die Regierung die Kinderbeihilfe erhöhen können. Warum ist es dazu nicht gekommen? "Man hat mich nicht gefragt", sagt Neusser. Was ihn besonders störe: Dass auch Zweitwohnsitze von der Bremse profitieren.

"Wohlstand wieder vermehren"

Fest steht: Ein Teil der Maßnahmen ist nicht gegenfinanziert, geht auf Kosten neuer Staatsschulden. Wenn man in Österreich nun deshalb eine Vermögenssteuer einführe, müsse es "ein Gesamtpaket" geben, bei dem die Einkommenssteuer gesenkt werde, so Neusser. Österreich sei schon ein Höchststeuerland. Was sicher der Fall sei: "Die Pandemie und die Ukraine-Krise hat einen Wohlstandsverlust hervorgerufen." Nun gehe es also wieder darum, den Wohlstand zu vermehren, doch diese Diskussion finde derzeit nicht statt.

Weitere Entwicklung des Gaspreis

Leitzins-Erhöhung: "Guter Zeitpunkt"

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zuletzt den Leitzins angehoben, um der Inflation beizukommen. Prinzipiell sei der Moment dafür günstig, so Neusser, da die Dynamik am Arbeitsmarkt gut sei. Das Worst-Case-Szenario wäre jedenfalls eine Stagflation wie in den 1970er-Jahren: also hohe Inflation und hohe Arbeitslosigkeit.

Apropos Arbeitsplätze: Beim IHS will Neusser so lange bleiben, bis ein Nachfolger gefunden ist. Die Bewerbungsfrist endet Anfang Oktober.

Probleme der hohen Inflation

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