"Hump, Dump" und "Luder": Politiker und ihre ausgefallenen Erklärungen
Josef Geisler hat sich telefonisch bei jener WWF-Aktivistin entschuldigt, die er kürzlich bei einer Petitionsübergabe in Innsbruck als „widerwärtiges Luder“ bezeichnet hatte.
Damit wäre an sich schon viel gewonnen. Wäre davor nicht die abenteuerliche Erklärung gewesen, die das Büro des Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreters (ÖVP) der Süddeutschen Zeitung mitgeteilt hatte.
Eine Sprecherin Geislers erklärte, dieser habe den Ausdruck "ohne jedwede Aggression verwendet". "Luada" werde "in Tirol umgangssprachlich für eine schlitzohrige, hartnäckige Person verwendet, die einen austrickst". Der Ausdruck sei zudem "nicht zwingend negativ". Dazu erhielt die SZ noch folgenden geradezu sprachwissenschaftlichen Hinweis: "Ursprünglich stammt der Begriff 'Luder' - wie Sie sicher wissen - aus der Jägersprache und bezeichnet einen Köder zum Anlocken von Raubtieren."
Geisler bei Petitionsübergabe
Damit reiht sich Geisler in eine lange Liste an teils skurrilen und sprichwörtlich gewordenen Erklärungsversuchen in der Politik ein. Die kommunikative Exit-Strategie in Krisenfällen ist eine der wichtigsten Disziplinen in der Politik. Manchmal zieht eine verunglückte Verteidigung sogar noch mehr unerwünschte Aufmerksamkeit auf die Person als der ursprüngliche Fehltritt selbst.
Verantwortung beim Empfänger?
Im Fall von Georg Dornauer, ebenfalls Tiroler Politiker, war 2018 der Schaden durch seine Aussage in Richtung einer Grünen-Landesrätin, er wolle sich diese "nicht in der Horizontalen vorstellen", eigentlich kaum mehr zu übertreffen. Der frischgebackene Tiroler SPÖ-Chef erklärte dann aber, der Sager sei ihm lediglich falsch ausgelegt worden. Er nehme zur Kenntnis, dass "Sexismus beim Empfänger entsteht".
Akustische Ungereimtheiten
Eine Rückblende zur Jahrtausendwende zeigt, dass in den Nullerjahren vermeintliche Hörfehler zu einer beliebten Form der alternativen Deutung wurden.
2002 protokollierte ein ORF-Redakteur nach einem Telefonat mit dem damaligen FPÖ-Politiker Peter Westenthaler den Satz: „Dann gibt es Stunk!“ Westenthaler dementierte. Er habe gesagt „Dann kommt die Trunk!“ Was die damalige SPÖ-Bundesrätin Melitta Trunk mit der Sache zu tun haben sollte, wurde allerdings nie aufgedeckt.
Ebenfalls 2002 bezeichnete Jörg Haider nach Angaben aller anwesenden Journalisten den damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der nach dem Putsch von Knittelfeld die FPÖ verließ, als „Verräter“. Thomas Prinzhorn, damals für die FPÖ im Nationalratspräsidium, erklärte, die Journalisten hätten sich verhört, denn Haider habe Grasser lediglich als „Verwehter“ bezeichnet.
Und noch einmal Tirol: Im September 2007 wurde heftig darüber gestritten ob Landeshauptmann Herwig van Staa (ÖVP) den ehemaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer im Rahmen einer Jubiläumsfeier als „Schwein“ bezeichnet oder nur von „Schweigen“ gesprochen habe, wie van Staa in der Folge erklärte. Die Veröffentlichung eines Tonbandmitschnitts brachte auch keine endgültige Klärung.
Hump, Dump oder doch „Lumpi“
Als Mutter und Ursprung aller dieser behaupteten Verhörer gilt die „Hump-Dump“-Affäre aus dem Jahr 2000. Der bei der schwarz-blauen Regierungsbildung übergangene Hilmar Kabas sagte beim Wiener FPÖ-Landesparteitag laut Berichten mehrerer Ohrenzeugen über den Bundespräsidenten Thomas Klestil: „Er hat sich wie ein Lump benommen, und es ist eine Schande, dass wir so einen Präsidenten haben.“
Kabas' mittlerweile fast legendäre Erklärung des Vorgefallenen: „Das war eher ein Geblödel. Lump hab ich aber im Zusammenhang mit Klestil nicht gesagt. Es war so etwas wie Hump oder Dump, aber so genau weiß ich das nicht mehr.“ Auch auf Nachfrage konnte Kabas nicht erklären, was unter einem „Hump“ oder „Dump“ zu verstehen ist.
Eine Fortsetzung, sogar vor Gericht, fand die Causa im November 2000, als der Salzburger FPÖ-Obmann Karl Schnell auf einer Parteiveranstaltung sagte: „Lump ist da eigentlich ein harmloser Ausdruck. Wir alle kennen diesen Ausdruck. Lumpi nenn i mein Hund – des is a netta, liaba Falott.“ Der Rückgriff Schnells auf die Tierwelt ähnelt wiederum der Luder-Definition aus dem Büro Geisler.
Die „Beidl-Affäre“ um den steirischen FPÖ-Mandatar Wolfgang Zanger im Jahr 2019 zeigt, dass die Verhörer-Methode noch immer angewandt wird. Vom Rednerpult im Nationalrat beschimpfte Zanger Betriebsräte als „Beidln“. Zitat: „Da sieht man, was des für ane Beidln san.“ Mit einer Viertelstunde Verzögerung stellte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka Zanger dann zur Rede. Zanger reagierte zunächst mit verständnislosem Kopfschütteln, bot dann aber doch eine Erklärung für das Gesagte an: „Ich wollte sagen: Trinken wir lieber ein Seidel.“ Ob er die Formulierung „Beidl“ nicht zurückziehen wolle, fragte Sobotka ungeachtet dessen. Zanger bejahte dies.
Zünden von Charmebomben
Charmanter versuchte 2011 Karl-Heinz Grasser, sich aus den damals diskutierten Affären rund um seine Person zu ziehen. In der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ las der Ex-Finanzminister aus einem Brief vor, den ihm angeblich ein weiblicher Fan zukommen ließ: "Sie sind für diese abscheuliche Neidgesellschaft zu jung als Finanzminister gewesen, zu intelligent, zu gut ausgebildet, aus zu gutem wohlhabenden Haus, zu schön und was für alles der Punkt auf dem i ist: auch noch mit einer schönen und reichen Frau verheiratet. So viel Glück darf ein einzelner Mensch nicht haben, da muss man etwas dagegen tun."
Die „Schmalzattacke“ im Fernsehen brachte Grasser nur noch mehr Kritik und Häme ein.
Videos und "b'soffene G'schichten"
Ebenfalls im Jahr 2011 entwickelte sich die sogenannte „Lobbying-Affäre“ mit Bestechungsvorwürfen und strafrechtlichen Folgen. In einem von der britischen Sunday Times veröffentlichten, mit versteckter Kamera gedrehten Video berichtete Ex-Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), wie er als EU-Parlamentarier im Sinne seiner Kunden Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen könne. Strasser stellte den Hintergrund der Aufnahmen so dar: Er sei nur zum Schein auf die Vorschläge der vermeintlichen Lobbyisten eingegangen, um die Hintermänner auszuforschen und anzuzeigen, wozu er „aus terminlichen Gründen“ nicht gekommen sei. Er sehe dies als „politische Kampagne“ gegen ihn und mit seinem Rücktritt wolle er nur Schaden von der Partei abhalten.
Im Mai 2019 sorgte ein weiteres heimlich gedrehtes Video für bis dahin ungeahnte politische Konsequenzen. Heinz-Christian Strache kam nach der Ibiza-Affäre nicht umhin, sich aus allen politischen Ämtern zurückzuziehen. Von seiner Rücktrittspressekonferenz bleiben aber weniger die selbstkritischen Worte („prahlerisch wie ein Teenager“, „peinlich übersteigert“) hängen als die berühmte Beschwichtigung als „b'soffene G'schicht“. Das Video selbst bezeichnete Strache als „gezieltes politisches Attentat“.
Schmutzkübelkampagnen witterte Strache immer wieder, so auch 2007, als in den Medien ein Foto von einem Treffen des Wiener Korporationsringes von 1989 auftauchte, auf dem Strache mit drei erhobenen, gestreckten und gespreizten Fingern der rechten Hand zu sehen ist. Die Geste wurde in Medienberichten als „Kühnengruß“ gedeutet, eine von Neonazis verwendete Variante des Hitlergrußes, der in Österreich nicht explizit verboten ist.
Strache wies dies zurück und erklärte die Geste als alten „Gruß der Südtiroler Freiheitskämpfer“. Kurz darauf zog diese Erklärung wieder zurück und meinte, er könne sich nicht mehr daran erinnern, was die Geste bedeuten sollte, es könne auch die Bestellung von „drei Bier“ gewesen sein.
Türl mit Seitenteilen
Im Oktober 2015, also mitten in der Migrationskrise, war es Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) außerordentlich wichtig, die geplanten „technischen Sicherungen“ an der Grenze zu Slowenien nicht als „Zaun, wie ihn Ungarn gebaut hat" aussehen zu lassen. Lieber sprach der SPÖ-Chef von einem "Türl mit Seitenteilen". Dieser Versuch, einem Zaun seine Funktion abzusprechen, Menschen aufzuhalten, ging als besonders verunglückte politische Kommunikation ins politische Wörterbuch Österreichs ein.
Wenn sich der Präsident verplaudert
In der aktuellen Unübersichtlichkeit der Corona-Krise mussten auch sonst sehr trittsichere Politiker die eine oder andere Scherbe wegräumen.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen musste erklären, warum er trotz der allgemeinen „Corona-Sperrstunde“ um 23 Uhr noch um 0.19 Uhr von der Polizei in einem Schanigarten in der Wiener Innenstadt angetroffen wurde. Der Ex-Grünen-Politiker erklärte nach Bekanntwerden umgehend: „Das tut mir aufrichtig leid. Es war ein Fehler.“ Er habe sich mit seiner Frau und zwei Freunden „verplaudert und leider die Zeit übersehen.“
Vor allem die rasche öffentliche Entschuldigung Van der Bellens hat die Folgen des Fehltritts bisher in engen Grenzen gehalten.
Ungewohnte Bilder
Davor hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach Wochen der immer gleichen Bilder von Pressekonferenzen mit Schutzmaske, Plexiglas und Abstand halten mit einem möglicherweise unfreiwilligen Bad in der Menge im Kleinwalsertal für ungewohnte Bilder gesorgt. Auch nah an seinen Begleitern, darunter der Vorarlberger LH Markus Wallner, stehend wurde Kurz abgebildet. Eine Entschuldigung dafür gab es nicht, aber immerhin ein „Wir haben daraus gelernt.“
Der Bundeskanzler bat in der „ZiB 2“ um Verständnis für die Bewohner der funktionalen Exklave, die nur über Deutschland auf dem Straßenweg erreichbar ist. Die Menschen dort hätten durch die De-facto-Quarantäne „besonders gelitten“ und wären „zehn Wochen“ von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Er erwähnte aber auch „eine große Traube an Journalisten“, die den Mindestabstand nicht eingehalten hätte.
Kleinwalsertal-Besuch - Anschober weicht aus
Der "Mausrutscher"
Ein Blick über die Grenzen Österreichs zeigt, dass es nicht klug ist, die Schuld auf einen „technischen Fehler“ zu schieben. Die deutsche AfD-Politikerin Beatrix von Storch sorgte 2016 für Riesenaufregung, als sie die Frage, ob sie auch auf Frauen und Kinder an Grenzen schießen lassen würde, auf Facebook mit einem „Ja“ beantwortete. Parteiintern soll sich von Storch laut Informationen des Spiegel darauf herausgeredet haben, sie sei auf der Computermaus ausgerutscht.
Von Storch dementierte zwar die „Geschichte mit der Maus“, das sei „einfach zu dämlich.“ Aber der „Mausrutscher“ war in den sozialen Netzwerken längst zum geflügelten Wort geworden.
"covfefe"
Vielleicht tatsächlich ausgerutscht ist US-Präsident Donald Trump, als er 2017 via Twitter das Sinnlos-Wort „covfefe“ hinausjagte. Er löschte zwar den Tweet „Despite of the negative press covfefe“, behauptete aber nicht, dass es ein Versehen gewesen war. Sein Sprecher Sean Spicer fügte noch an: „Ich denke, der Präsident und eine kleine Gruppe an Leuten wissen genau, was er gemeint hat.“
Trump und seine Sprecher präsentierten in der bisherigen Amtsperiode dermaßen viele „alternative Fakten“, dass der Beginn einer Aufzählung wenig Sinn hat. Bereits im Wahlkampf 2016 wurde Trump aber unter anderem mit einem alten Video konfrontiert, in dem er drauf los schwadroniert, wie „ein Star“ alles tun könne, um sich an Frauen heranzumachen („you can grab them by the pussy“). Trump entschuldigte sich sogar, spielte das Ganze an anderer Stelle aber wieder als „Locker Room Talk“, also Umkleidekabinengespräche unter Männern, herunter.
Zwei Scheine und ein Baby
Kompliziert wird es, wenn versucht wird, Bildern in der öffentlichen Diskussion eine völlig neue Bedeutung zu verleihen. So geschehen erst vergangene Woche, als Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher (ÖVP) erklärte, wie jenes Foto zustande gekommen ist, auf dem sie Geld aus dem Familien-Härtefallfonds persönlich einer vierköpfigen Familie übergibt. Auf die Frage im Ö1-Morgenjournal, warum auf dem Foto ein Baby als vermeintlicher Adressat der Zahlung zu sehen ist, antwortete Aschbacher: "Grundsätzlich war es so, dass die Eltern das Geld übernommen haben und das Baby kurz zu dem Geld auch greifen wollte."
In der Welt von Twitter und Facebook ist die Aufregung über solche Erklärungen immer besonders schnell greifbar. Ob die Empörung darüber auch in breiten Bevölkerungsschichten um sich greift, lässt sich meistens erst bei der nächsten Wahl letztgültig feststellen.
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