„Reformkaiser“ Joseph II. hat sich des Themas im 18. Jahrhundert angenommen. Psychisch Kranke galten damals als Rechtlose, wurden in ihren Familien und in kirchlichen Einrichtungen versteckt oder vegetierten in Armenhäusern dahin. Der Narrenturm war die erste Institution in Europa, die ausschließlich für die Behandlung von „Irren“ geschaffen wurde (allerdings nur bis ca. 1869).
Wer ruhig war, konnte sich in dem fünfstöckigen, ringförmigen Gebäude relativ frei bewegen, Tobende wurden in ihren Zellen angekettet. Erste „Zwangsjacken“ soll es ab 1790 gegeben haben. „Behandelt“ wurden psychisch Kranke mit Aderlass oder kalten Güssen. Immerhin erkannte man aber an, dass sie tatsächlich krank – und damit behandelbar waren.
Und schon damals war klar, dass bei Geisteskranken, die Gesetze brachen, das uralte Prinzip der Vergeltung und Abschreckung nicht greift, weil sie ihr Handeln kaum steuern können.
Der Aspekt der „Schuldfähigkeit“, der bis heute gilt, wurde bereits in der Ägide von Josephs Mutter, Kaiserin Maria Theresia, in der „Constitutio Criminalis Theresiana“ von 1768 festgeschrieben, erklärt Rechtshistoriker Markus Steppan von der Uni Graz: „Ärzte stellten vor einem Richter fest, wie weit die Gemütsverrückung bei einem Rechtsbrecher ausgeprägt ist. Toll- und Wahnsinnige wurden nicht nach dem Strafrecht bestraft.“ Eingesperrt wurden aber auch sie in Irren-, Zucht- oder Armenhäusern – ohne Strafrahmen, auf unbestimmte Zeit.
Im Strafgesetzbuch von 1803 wurde dann zwischen „Geisteskranken“ bzw. „Blödsinnigen“ und „geistig Beschränkten“ bzw. „Schwachsinnigen“ differenziert. Erstere bekamen keine Strafe, zweitere eine Strafmilderung.
Grundrechte
Nach der Revolution 1848 entstand im Kaisertum ein Grundrechtekatalog – und damit bekamen auch Geisteskranke, die in Unterbringung waren, Rechte. Rechte, die in der Zeit des Nationalsozialismus aufgehoben wurden. Psychisch Kranke galten als „wertlos“ für die Gesellschaft, kamen in Konzentrationslager, wurden getötet.
Der Zweite Weltkrieg brachte, wie schon der Erste, eine Vielzahl Traumatisierter. Mit dem Aufkommen von Psychopharmaka in den 1950er-Jahren entspannte sich die Lage etwas, sagt Rechtshistoriker Steppan. Mit geistig abnormen und gefährlichen Rechtsbrechern waren die Psychiatrien aber überfordert.
In den 1970er-Jahren setzte sich SPÖ-Justizminister Christian Broda mit seinem Ansatz „Therapie statt Strafe“ durch und schuf das erste Gesetz für den Maßnahmenvollzug, das über die Jahrzehnte nur geringfügig reformiert wurde. „Brodas Gedanke war, dass Rechtsbrecher nach Möglichkeit resozialisiert werden sollen, um irgendwann ein halbwegs normales Leben führen zu können“, so Steppan.
Bloß: Es gab dafür nie genug Budget – politisch sind mit dem Thema keine Meter zu machen. Die ersten spezialisierten Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher in Wien-Mittersteig und in Göllersdorf in Niederösterreich waren rasch überfüllt. In herkömmlichen Gefängnissen wurden Sonderabteilungen eingerichtet, wo aber oftmals Therapieangebote fehlten.
Vorfälle und Verunsicherung
In den 1990er-Jahren gab es dann drei schwere Vorfälle: 1993 tötete ein Freigänger aus der Anstalt Mittersteig einen 13-jährigen Buben. 1995 erstach ein Häftling in Göllersdorf, der vor der Entlassung stand, seine Psychotherapeutin. 1996 gab es eine spektakuläre Geiselnahme in der Justizanstalt Graz-Karlau.
Das brachte Angst und Verunsicherung. Nicht nur in der Bevölkerung, auch unter den Gutachtern, die einzuschätzen haben, ob ein Insasse noch gefährlich ist oder ob er aus dem Maßnahmenvollzug entlassen werden kann. „Diese Vorsicht ist nachvollziehbar, führt aber wohl dazu, dass manche zu lange in Anstalten untergebracht sind“, sagt Steppan.
Die aktuellen Reformvorschläge von Ministerin Zadić seien nicht der große Wurf, sagt der Experte. Immerhin wird aber Budget für Um- und Ausbauten bereitgestellt, die Schwelle für die Einweisung in eine Anstalt wird erhöht – und Begrifflichkeiten werden zeitgemäß angepasst.
Was im 18. Jahrhundert als „Wahnwitz“, im 19. als „Blödsinn“ und zuletzt als „geistige oder seelische Abartigkeit“ tituliert wurde, heißt im neuen Gesetz „schwerwiegende und nachhaltige psychiatrische Störung“; und die Anstalten heißen künftig „forensisch-therapeutische Zentren“.
So heißt bereits eine Einrichtung in Asten, Oberösterreich. Erbaut 2010 galt sie als Vorzeigeprojekt, war aber auch nicht fehlerfrei: Das Konzept, den Patienten so viel Freiheit wie möglich zu bieten, wurde nachgeschärft, weil es mehrere Ausbrüche und Übergriffe auf Personal gab.
Ministerin Zadić verspricht nun mehr Betreuungsangebote – nicht nur für Asten. Denn eines weiß man mittlerweile: Wegsperren alleine ist keine Lösung.
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