High Noon im U-Ausschuss: Worum es heute geht
Was ist im Ibiza-Untersuchungsausschuss nicht alles Thema: vertrauliche SMS zwischen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache; geschredderte Festplatten aus dem Kanzleramt; das Ibiza-Video und dessen verstörender Inhalt sowie diverse Personalrochaden und Absprachen in den Casinos bzw. Unternehmen, an denen der Staat mit Milliarden Euro beteiligt ist.
Haben Sie mittlerweile die Übersicht verloren? Oder hatten Sie diese ohnehin nie so richtig?
Heute, Mittwoch, wird Bundeskanzler Sebastian Kurz dem Ausschuss Rede und Antwort stehen, man könnte von einem „High Noon“ sprechen. Und weil dem ÖVP-Chef der frühere und der amtierende Finanzminister sowie zahlreiche prominente Auskunftspersonen folgen, gibt es vermutlich keine bessere Gelegenheit, um als Beobachter neu in den Ausschuss einzusteigen – immerhin ist der U-Ausschuss einer der relevantesten, geht es doch um demokratiepolitisch so grundsätzliche Fragen wie: Kann man sich in Österreich Gesetze kaufen? Der KURIER bringt Sie auf den aktuellen Stand.
Prominente Besetzung der Auskunftspersonen im Ibiza U-Ausschuss
Warum muss der Bundeskanzler im Untersuchungsausschuss aussagen – und was hat es mit den nun publik gewordenen SMS zwischen ihm und Strache auf sich?
Eigentlich untersucht der U-Ausschuss die Ibiza-Affäre, kurzum: Es wird überprüft, was es mit dem Video, das vor einem Jahr zum Bruch zwischen ÖVP und FPÖ geführt hat, auf sich hat. Hier interessieren vor allem die Behauptungen des damaligen Vizekanzlers Strache. Er hat im Video nicht nur erklärt, wie man beispielsweise mit Vereinen die Regeln zur Parteienfinanzierung sowie öffentliche Ausschreibungen umgehen könne, sondern auch behauptet, der Glücksspielkonzern Novomatic „zahlt alle“ – gemeint: die politischen Parteien. Die Novomatic selbst stellt das in Abrede, Strache hat sich entschuldigt. Die nun öffentlich gewordenen SMS zwischen Kurz und Strache sind nicht sonderlich überraschend. Im Wesentlichen geht es darum, dass Kurz vor dem Platzen der Ibiza-Affäre versucht hat, Strache zu erreichen – dieser machte sich rar. Die demokratiepolitisch spannenden Fragen sind dort zu finden, wo es darum geht, ob sich Promis und Parteispender in Österreich Gesetze kaufen können.
Zuletzt gab es viele Entschlagungen im Ausschuss. Kann der Kanzler die Aussage verweigern?
Nein. Er ist – im Unterschied zu Strache, Gudenus und diversen Managern – kein Beschuldigter, steht also unter Wahrheitspflicht. Das gilt auch für Finanzminister Gernot Blümel, der am Donnerstag geladen ist. Stephanie Krisper (Neos) fordert einen Offenbarungseid des Kanzlers, weil laut Neos die SMS und Unterlagen vom Kanzler viel zu wenig sind.
Gab es unter der türkis-blauen Regierung Postenschacher?
Natürlich gab es den – und das ist nicht grundsätzlich verwerflich. Die öffentliche Hand (also alle Steuerzahler) besitzt Anteile an großen Unternehmen wie Verbund, Telekom etc. und steuert diese fast 20 Milliarden Euro schweren Beteiligungen über die ÖBAG. Als Eigentümervertreter setzt eine Bundesregierung naturgemäß Personen in Aufsichtsräte und Vorstände dieser Unternehmen bzw. Konzerne, denen sie vertraut. Strache hat im U-Ausschuss ausgesagt, die Aufteilung zwischen ÖVP und FPÖ war 2/3 zu 1/3. Also wenn ein Blauer Minister war, dann durfte er die Aufsichtsräte, die in sein Ressort fielen, zu 2/3 mit Blauen besetzen und 1/3 mit Türkisen – und umgekehrt.
Warum ist die Bestellung des FPÖ-nahen Peter Sidlo in die Novomatic dann überhaupt Thema?
Weil hier der Verdacht im Raum steht, dass die Bestellung mit einem konkreten Gegengeschäft verbunden war, nämlich: mit einer Lockerung im Glücksspielgesetz (es ging um die Sportwetten) – und zwar für die Novomatic. Sidlo wurde von einem Unternehmensberater als schlecht qualifiziert eingestuft.
War der Kanzler direkt in die Vergabe der Posten involviert?
Im Prinzip ja, aber vermutlich nicht in alle Details. Warum? Für die Abwicklung hatte der ÖVP-Chef den nunmehrigen Chef der ÖBAG (Verstaatlichtenholding), Thomas Schmid, sowie seine Minister Gernot Blümel und Hartwig Löger. Für Neos-Fraktionsführerin Krisper ist dieser Umstand übrigens auch das Argument dafür, warum man weiter darauf pocht, Kurz’ Kalender und Korrespondenzen zu sehen – aus diesen sei ableitbar bzw. möglicherweise ersichtlich, wann es mit welchem Mitarbeiter Termine – und damit auch mögliche Absprachen – gegeben hat.
Warum ist der Postenschacher bei den Casinos überhaupt strafrechtlich relevant?
Das „Vehikel“ ist die Untreue: Bereits bestellten Managern wurden hohe Ablösesummen bezahlt, um Vertrauensleute einzusetzen. Ist nachweisbar, dass dieses Geld nicht hätte ausgegeben werden müssen, wurde die öffentliche Hand möglicherweise finanziell geschädigt.
Warum stehen auch Vereine im Fokus?
Strache hat im Video der sogenannten Oligarchennichte skizziert, wie man durch parteinahe Vereine versteckte Parteienfinanzierung am Rechnungshof vorbei schleusen könne. Tatsächlich haben diverse Ministerien Verträge mit Vereinen, in denen frühere Minister und Funktionsträger arbeiten. Ob diese tatsächlich dazu geeignet sind, Geld verdeckt in Parteien zu schleusen, ist offen. So unterhält das Verteidigungsministerium Verträge mit dem FPÖ-nahen Institut für Sicherheitspolitik, sowie mit diversen SPÖ- und ÖVP-nahen Organisationen. Die Aufträge werden allerdings von der Budget-Sektion des Ministeriums geprüft – und auch der Rechnungshof hat darauf ein Auge. Insofern gilt es als eher unwahrscheinlich, dass mit Ministeriumsgeld und über Vereine verdeckt Parteien finanziert wurden oder werden.
Warum spielen Spenden von Heidi Horten, KTM-Boss Pierer, etc. eine Rolle im U-Ausschuss?
Es geht um den erwähnten, mittlerweile legendären Satz: „Novomatic zahlt alle“. Der Verdacht steht im Raum, dass sich Reiche in Österreich Gesetze kaufen können. Heidi Horten spendete 931.000 Euro an die Volkspartei – und zwar monatlich 49.000 Euro, also exakt 1.000 Euro weniger, als es für eine Meldung an den Rechnungshof gebraucht hätte. Beispiel Pierer (436.563 Euro gespendet): Vonseiten der ÖVP wurde urgiert, dass Pierer nicht auf der „Abschleicherliste“ steht. Der Hintergrund: Tausende vermögende Österreicher, die kurz vor Inkrafttreten von Steuerabkommen mit der Schweiz (2013) und Liechtenstein (2014) mehr als drei Milliarden Euro von Banken aus den beiden Ländern auf österreichische Konten haben transferieren lassen, gelten als „Abschleicher“, wenn sie dies ohne eine Selbstanzeige getan haben. Bei Pierer werden 20 Millionen Euro kolportiert.
Apropos Millionen: Novomatic-Gründer Johann Graf hat insgesamt 30 Millionen Euro verschenkt – an Mitarbeiter und ihre Ehefrauen. Hier geht es um die Fragen: Sind das versteckte Boni-Zahlungen, die so nicht versteuert werden müssen? Und deckt das ÖVP-regierte Finanzministerium diese Schenkungen?
Wer wusste vor dem 17. Mai 2017 von dem Ibiza-Video?
Mehr Personen als gedacht. Aus den Einvernahmeprotokollen geht hervor, dass Christian Kerns Wahlkampfmanager Johannes Vetter und dem Ex-SPÖ-Medienmann Nikolaus Pelinka das Video im Wahlkampf 2017 um eine Million Euro angeboten wurde.
Kommentare