Heinz Fischer zum 85er: "Der Egoismus aus Angst schadet"
Am Montag feiert Heinz Fischer seinen 85. Geburtstag – im Parlament wird eine Feier für den immer noch hoch aktiven Ex-Präsidenten ausgerichtet. Ein Gespräch zu seinem Jubiläum.
KURIER: Das Interview zu Ihrem 80er begann mit Staunen über Ihre beneidenswerte Fitness – so könnten wir eins zu eins auch beginnen, oder? Heinz Fischer:
Heinz Fischer: Nicht eins zu eins, aber ich bin zufrieden.
Joe Biden ist vier Jahre jünger als Sie und stolpert durch seine Präsidentschaft – was ist Ihr Geheimnis?
Es ist wohl zum Teil Veranlagung. Aber ich hab’ in der Jugend beim ASV 13 Fußball gespielt, bis ins fortgeschrittene Alter Tennis gespielt, war joggen, habe nie Zigaretten geraucht. Am meisten halfen mir wohl die 30 Jahre als Präsident der Naturfreunde, mit viel Alpinkursen, Bergsteigen, Wanderungen, Schifahren, etc.
Apropos: Was sagen Sie zur „Aberkennung“ der 14 Himalaya-Gipfelsiege Reinhold Messners?
Ich kann das nicht nachvollziehen. Er hat die kompletten Leistungen erbracht, die man bei der Besteigung eines Berges verlangen kann. Wenn der Gipfel eines Achttausenders dreißig Meter weiter noch einen halben Meter höher ist – was soll’s?
Ihre letzte Bergwanderung war?
Die kommt noch. Aber 2010, mit 72 Jahren, bin ich noch auf den Piz Buin (3.312m) gestiegen.
Wie erleben Sie am Berg den Klimawandel?
Er ist unübersehbar. Besonders der Rückgang der Gletscher. Und Pflanzen oder Bäume, die sonst nur im Tal anzutreffen sind, rücken immer weiter hinauf.
Haben Sie Verständnis für die Klimakleber? Oder für die Menschen, die ihnen zürnen, weil sie Termine, Arzt, Flugzeug versäumen?
Ich habe für beide Verständnis. Wenn das früher meine Kinder gemacht hätten, hätte ich ihnen gesagt: Das ist rücksichtslos, das geht nicht. Aber wenn die jetzige Generation antwortet, das sei die einzige Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen, dann unterscheide ich schon zwischen jenen, die ein überlebenswichtiges Ziel verfolgen, und jenen, die mutwillig und rücksichtlos sind.
Vom Berg zum Burger: Wann haben Sie Ihren letzten Burger gegessen?
Schon sehr lang nicht. Sie beziehen Sich wohl auf den Herrn Bundeskanzler ...
Ja, wie groß ist Ihr Verständnis für den Ton im politischen Diskurs in Österreich, Stichwort: Jedes Kamel kann Bundeskanzler sein?
Ich denke viel nach darüber. Ich habe das Gefühl, dass es früher in der Politik oft auch einen rauen Ton gab, aber auch echte und gute Freundschaften über die Grenzen zwischen Regierung und Opposition hinweg. Ich habe z.B. Sixtus Lanner (ÖVP-Generalsekretär, Bauernbunddirektor, Anm.) als guten, persönlichen Freund geschätzt, habe bei seinem Begräbnis die Grabrede gehalten. Ich war mit Stefan Koren (ÖVP-Finanzminister und Klubobmann) eng befreundet. Es gab viele solche Beispiele. Das scheint in dieser Form sehr selten geworden zu sein.
Giftigen Ton gab’s nicht?
Schon, schon, es sind auch manchmal die Fetzen geflogen. Kreisky wurde als „Jude“ mit einem bösen Beiwort bezeichnet, seine Regierung gehöre auf den „Misthaufen der Geschichte“. Mit den Freiheitlichen gab’s Schreiduelle. Die SPÖ war auch nicht zimperlich. Ein wichtiger Unterschied zu heute ist: Damals gingen manchmal die Emotionen hoch, heute scheint es auch ein geplantes und strategisches Verächtlichmachen des politischen Gegners zu sein.
Am Lagerdenken, „die Sozis“, „die Schwarzen“, leidet die Republik heute noch, oder?
Politik ist auch anderswo ein harter Wettbewerb, schauen Sie in die USA. Das Besondere in Österreich ist, dass für die Sozialdemokraten die Wunden der Jahre 1933/34 noch immer nicht gänzlich verheilt sind und für die ÖVP die Versuchung immer noch vorhanden ist, die Roten in die Nähe der Kommunisten zu rücken...
... zum neuen Vorsitzenden kommen wir noch.
... obwohl die Sozialdemokratische Partei in der Ersten und Zweiten Republik großes Verdienst daran hatte und hat, dass die Kommunisten in Österreich nie eine relevante Rolle spielen konnten.
Aber das politische Klima in Österreich ist vergiftet, oder?
Ich würde sagen: sehr angespannt. Alles was hilft, das Klima zwischen den Parlamentsparteien zu stabilisieren und zu normalisieren, würde ich gerne unterstützen.
Dieses Klima trägt auch dazu bei, dass eine dritte Partei sehr groß geworden ist.
Ja, aber wir müssen auch auf weitere Ursachen schauen. Das Wachsen der FPÖ hat damit zu tun, dass sie das heikle Problem der Migration rücksichtslos ausnützt und auch sonst mit der Negativmasche operiert. Es wundert mich, dass das nach allen Erfahrungen mit der FPÖ noch zieht.
Würden Sie einen Herbert Kickl als Bundeskanzler angeloben?
Die Aufgabe wird sein, den verfassungsrechtlichen Spielraum des Bundespräsidenten zu nützen, um eine grundrechtsorientierte, fachlich qualifizierte, europafreundliche Regierung zu ernennen, die für eine offene Gesellschaft eintritt und das Vertrauen einer Mehrheit im Nationalrat hat.
Reagiert Europa in der Asylfrage zu zögerlich und falsch?
Es reagiert uneinheitlich und teilweise egoistisch: Die anderen Staaten sollen sich mehr anstrengen, bei uns ist das Boot schon voll.
Wird das Boot nicht langsam voll?
Europa ist kein Boot und mit einem Boot auch nicht vergleichbar.
Der Flüchtlingsstrom aus Afrika wird aber eher größer werden.
Und die Demokratien in Europa haben darauf keine geeigneten Antworten. Das belastet die Demokratien.
Macht Ihnen das Sorge?
Ja. Nicht für Österreich, da hat die Demokratie gute Lebensbedingungen. Aber für die USA zum Beispiel. Und es macht mir der Zwiespalt Sorge zwischen dem richtigen und versprochenen Ziel, die Erweiterung in Europa fortzusetzen, und was das für Auswirkungen auf die Entscheidungsfähigkeit der EU hat.
Das politische Pendel schlägt in Europa derzeit gegen die Sozialdemokraten aus, Skandinavien, die Südländer werden zunehmend rechts regiert.
Es gibt auch sozialdemokratisch regierte Staaten, aber Sie haben recht: Derzeit tut sich die Sozialdemokratie weniger leicht als in der Kreisky-Brandt-Palme Ära.
Warum?
(Denkt lange nach). Das hat damit zu tun, dass sich die Strukturen der Gesellschaft stark verändert und teilweise aufgelöst haben. Eine kompakte Arbeiterklasse mit einer einheitlichen politischen Kultur und starker Solidarität war ein Kraftzentrum, das ausgestrahlt hat. Das hat sich verändert und muss auf andere Weise wettgemacht werden. Außerdem schadet der „Egoismus der Angst“ der linken Mitte.
Wir sprachen über politische Freundschaft: die „Freundschaft“ in der SPÖ war zuletzt auch strapaziert – Sie sprachen im Mai von einer „schweren Krise, wie sie nur selten in der Sozialdemokratie vorkommt.“ Ist die überwunden?“
Es ist jedenfalls ein neues Kapitel aufgeschlagen worden. Die Art, wie man der Vorsitzenden Rendi-Wagner die Arbeit schwer gemacht und sie öffentlich in Frage gestellt hat, hat mich sehr bedrückt. Aber ich denke schon, dass man daraus gelernt hat. Und ein neuer Vorsitzender braucht eine gewisse Zeit, um sich einzuarbeiten.
Wird Andreas Bablers Linkslinks-Kurs in der Partei mitgetragen?
Es gibt keinen Linkslinks-Kurs, es droht keine Spaltung. Die Einheit der Partei ist seit mehr als 130 Jahren in der DNA der SPÖ verankert.
Ist Bablers (frühere) Nähe zum Marxismus mehrheitsfähig in der SPÖ, und ist sie das in Österreich?
Dass Andi Babler in der SPÖ mehrheitsfähig ist, hat er schon bewiesen. Karl Marx ist vor 140 Jahren gestorben, und die Sozialdemokratie hat sich in Programm und Praxis weit über Marx hinaus entwickelt. Aber die Lektüre und die Analysen von Marx haben weder dem großen Humanisten Viktor Adler noch einem Karl Renner, Adolf Schärf oder Bruno Kreisky geschadet, und einem Andi Babler auch nicht.
Marx’ Philosophie hat später Abermillionen ins Unglück gestürzt.
Nicht die Philosophie hat Millionen ins Unglück gestürzt, sondern die rücksichtslose Diktatur der Bolschewiki in Russland, die sich Marxisten nannten, aber Stalinisten waren.
Sind Sie noch SPÖ-Mitglied – als Präsident durften Sie ja nicht?
Es ist keine Vorschrift, aber gute Tradition, dass der Bundespräsident nach seiner Wahl eine allfällige Parteimitgliedschaft ruhend stellt. Als ich 2016 aus dem Amt schied, wurde ich gefragt, ob ich wieder beitreten wolle, aber ich wollte nichts überhasten und eine cooling-off Periode einhalten. Ich bin erst heuer wieder eingetreten.
Um über den Vorsitzenden abstimmen zu können?
Nein, sondern erst nach der Mitgliederbefragung.
Ich fand im Archiv viele Fotos, die Sie lachend mit Wladimir Putin zeigen. War der so gewinnend?
Sie hätten noch viel mehr Fotos gefunden, die bei Gesprächen mit Putin eine ernste Mine zeigen. Aber in der Tat war Putin früher auch ein angenehmer, intelligenter Diskutierer, einer, der Humor hatte. Als er einmal merkte, dass ich bei einem Staatsbankett für ihn die falsche Rede mit hatte, beugte er sich zu mir und raunte: „Das ist dem Breschnjew auch immer passiert.“ – Nachsatz: „Aber der hat’s nicht gemerkt.“
Das Lachen ist uns aber vergangen.
Seit dem Abschluss des Staatsvertrages 1955 hatte Österreich mit der Sowjetunion/mit Russland einen regelmäßigen Besucheraustausch. Auch in Zeiten von Spannungen und großen Meinungsverschiedenheiten, wie z.B. nach der blutigen Niederschlagung der ungarischen Revolution, der brutalen Niederschlagung des Prager Frühlings (Panzerkommunismus!), des militärischen Einmarsches in Afghanistan oder der militärischen Annexion der Krim. Das war unser außenpolitischer Kurs, der auf Konsens beruhte. Wenn Österreich jemanden offiziell einlädt, dann wird der Besuch professionell abgewickelt, man bemüht sich um ein gutes Gesprächsklima. Das hat sich geändert, als Putins Russland die Ukraine unter Bruch aller Zusagen und Erklärungen militärisch brutal überfallen hat.
Was ist Ihre größte Sorge?
Kurzfristig, dass der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, nicht beendet werden kann, sondern mit unabsehbaren Folgen außer Kontrolle gerät. Und langfristig die Folgen der Nichterreichung unserer Klimaziele.
Würden Sie noch einmal Politiker werden, wenn Sie heute 20 wären?
Eigentlich schon. Ich habe persönlich nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ich habe meine Aufgaben in der Politik geliebt und blicke gern auf die Zeit als Abgeordneter, Klubobmann, Wissenschaftsminister, Nationalratspräsident und als Bundespräsident zurück. Wenn wir nicht Politik machen, machen andere Politik mit uns.
Zur Person Heinz Fischer
Am 9. Oktober 1938 in eine sozialdemokratische Familie in Graz geboren (Vater Staatssekretär im Handelsministerium der Regierung Raab, Onkel Volksernährungsminister der Regierung Figl), ist Fischer ein „Urgestein“ der SPÖ: Der studierte Jurist und Professor für Politikwissenschaft war enger Weggefährte Bruno Kreiskys und als solcher Parteisekretär, Klubobmann, Wissenschaftsminister, später Nationalratspräsident.
Am 25. April 2004 gewann Fischer die Präsidentschaftswahl gegen Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP), im April 2010 wurde er für weitere sechs Jahre bestätigt.
Fischer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Der begeisterte Bergsteiger und Fußball-Anhänger (Rapid) war lange Jahre Präsident der Naturfreunde und Schirmherr über Institutionen vom Roten Kreuz bis zu Nachbar in Not.
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